Hamburg. Wegen der Corona-Pandemie waren bei der ersten Sitzung der neuen Bürgerschaft nur gut die Hälfte der Abgeordneten anwesend.

So still und leer war es wohl noch nie zu Beginn einer Bürgerschaftssitzung. Und schon gar nicht bei der ersten Zusammenkunft nach einer Bürgerschaftswahl, wenn die neu gewählten Abgeordneten erstmals ihre Plätze einnehmen und üblicherweise viele Angehörige und Freunde das Geschehen von den Zuschauerlogen aus verfolgen. Doch gestern, zum Auftakt der konstituierenden Sitzung der 22. Legislaturperiode, nichts von alledem. Im Plenarsaal war es beinahe andächtig ruhig.

Nur gut die Hälfte der 123 am 23. Februar gewählten Abgeordneten war gekommen, keine Zuschauer waren zugelassen, und nur rund ein Dutzend Journalisten verfolgte das Geschehen. Auf der Senatsbank saßen lediglich der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) – zwischen beiden ein freier Stuhl. Wenn Tschen­tscher und Fegebank auf Sicherheitsabstand gehen, obwohl gar kein Wahlkampf mehr ist, dann ist klar, dass das Coronavirus auch die Bürgerschaft im Griff hat.

Fraktionen hatten vereinbart, nicht vollzählig teilzunehmen

Die Fraktionen hatten sich zuvor darauf verständigt, dass anteilig nicht alle Abgeordneten an der Sitzung teilnehmen, damit für die Anwesenden aus Schutzgründen mehr Platz zum Nachbarn bleibe. Nur die sechs Abgeordneten der AfD-Fraktion waren vollzählig erschienen.

Der Start in die Legislaturperiode folgt einem alten parlamentarischen Brauch: Der oder die älteste Abgeordnete eröffnet die Sitzung. „Ich bin am 2. Februar 1950 geboren. Ist jemand im Saal älter als ich?“, fragte die SPD-Abgeordnete und Parlamentsnovizin Dagmar Wiedemann in die Runde. Da sich niemand meldete, eröffnete Wiedemann als Alterspräsidentin die Sitzung, assistiert von den beiden jüngsten Abgeordneten, Rosa Domm (21, Grüne) und Sarah Timmann (22, SPD), als Schriftführerinnen.

Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit eindeutig wiedergewählt

In ihrer Eröffnungsrede betonte Wiedemann, dass „in dem freiheitlichen, demokratischen und toleranten Rechtsstaat Hamburg kein Platz für Rassismus, Ausgrenzung und Hass“ sei. Da brandete langer Beifall auf. „Nicht alle Abgeordnete, die durch demokratische Wahlen ins Amt gekommen sind, müssen auch demokratische Abgeordnete sein“, sagte Wiedemann, ohne die AfD direkt zu erwähnen. „Aber geben wir jeder und jedem Abgeordneten die Chance zu beweisen, dass sie es sind“, so Wiedemann. Da klatschten nur die AfD-Abgeordneten.

Im Zentrum der abgespeckten Tagesordnung der Bürgerschaft stand die Wahl einer Bürgerschaftspräsidentin oder eines Präsidenten. Wie bereits berichtet, hatte die SPD-Fraktion Amtsinhaberin Carola Veit vorgeschlagen, einen Gegenkandidaten gab es nicht. Und das Ergebnis für Veit, die bereits seit 2011 Bürgerschaftspräsidentin ist, war eindeutig: Sie wurde mit 68 Jastimmen, einer Neinstimme und fünf Enthaltungen bei 74 abgegebenen Stimmen gewählt.

In den aufbrandenden Applaus hinein erhielt Veit von SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf einen Blumenstrauß. Aber die weiteren Gratulationen verliefen typisch für Corona-Zeiten: leichte Verneigungen in respektvollem Abstand. Nur Ex-CDU-Fraktionschef André Trepoll fiel etwas aus dem Rahmen, als er Veits Ellenbogen mit seinem Ellenbogen berührte – der Heinsberger Gruß.

Carola Veit: Corona-Pandemie „eine der größten Belastungsproben“

Veit stellte die Pandemie, die „wohl eine der größten Belastungsproben seit Gründung unseres demokratischen Gemeinwesens darstellt“, in den Mittelpunkt ihrer Dankesrede. Das öffentliche Leben sei in einem bislang nicht gekannten Ausmaß beschränkt, der Alltag völlig umgekrempelt. „Wir werden einen langen Atem brauchen, und es ist nicht auszuschließen, dass die Behörden weitere Auflagen erteilen“, sagte Veit. Das könne Unmut hervorrufen. „Darauf gibt es nur eine Antwort: Es ist nicht zu ändern, und niemand sollte so tun, als habe er bessere Lösungen in der Tasche. Gefragt ist jetzt Geschlossenheit und nicht Besserwisserei“, rief die Präsidentin unter starkem Beifall.

Eindringlich appellierte Veit an den Gemeinsinn und die Hilfsbereitschaft in der Nachbarschaft, aber auch an Vertrauen in die Entscheidungen der Experten. „Wenn wir nach oder gar vor jeder Entscheidung in der aktuellen Krise erst endlose Debatten führen, wenn jeder immer und überall seinen Senf dazugeben will, werden wir eher grandios scheitern. Konstruktive Anregungen ja, Genöle nein“, sagte Veit unter Beifall.

Arbeit der Bürgerschaft "zunächst auf Sparflamme"

„Unsere parlamentarische Arbeit wird nun zunächst auf Sparflamme laufen müssen“, kündigte die Präsidentin an. Trotz aller zu erwartenden Kontroversen setze sie auf eine „respektvolle, gern hanseatische Atmosphäre“.

Weil noch nicht klar ist, welche Fraktionen den künftigen Senat tragen werden, wurden weitere Wahlen zum Bürgerschaftspräsidium verschoben. Dahinter steht auch das heikle Thema, wer für den Posten des Ersten Vizepräsidenten das Vorschlagsrecht erhalten soll, das der zweitstärksten Fraktion zusteht. Das wären jetzt die Grünen. Falls es zu einer rot-grünen Koalition kommt, gibt es aber Bestrebungen, dass die größte Oppositionsfraktion – die CDU – das Vorschlagsrecht erhält.

Die CDU-Abgeordneten wählten Dennis Thering vor Beginn der Bürgerschaftssitzung einstimmig zu ihrem neuen Vorsitzenden. Thering löst André Trepoll ab, der nicht erneut kandidiert hatte. Die SPD-Fraktion bestätigte den bisherigen Vorstand mit dem Vorsitzenden Dirk Kienscherf an der Spitze. Auch Die Linke setzt mit den beiden bisherigen Vorsitzenden Cansu Özdemir und Sabine Boeddinghaus auf Kontinuität.