Harburg. Rot-grüne Koalition im Harburger Rathaus will trotzdem die Weichen für die Legislatur stellen. Zur Not per E-Mail.

Die Absage aller Zusammenkünfte bis Ende April trifft auch die Harburger Bezirksversammlung. Noch vor der Allgemeinverfügung des Senats hatte das Präsidium der Bezirksversammlung beschlossen, sämtliche Ausschuss- und Plenums-Sitzungen für genau diesen Zeitraum auszusetzen. Dabei war die rot-grüne Koalition gerade dabei, die politischen Weichen für die nächste Legislatur zu stellen, nachdem im Bürgerschaftswahlkampf eher plakativ agiert wurde.

Die Fraktionsvorsitzenden nehmen die Pause gefasst. Sie waren in die Präsidiumsentscheidung mit einbezogen. „Es nützt ja nichts, der Virusbekämpfung muss derzeit alles untergeordnet werden“, sagt Britta Herrmann (Grüne), „etwas Anderes zu verlangen, wäre unvernünftig.“

Ganz die Arbeit einstellen wird die Bezirkspolitik nicht. Die Fraktionsbesprechungen laufen größtenteils per E-Mail oder Chats und zweimal in der Zwangspause wird sich der Hauptausschuss treffen, um dringende Beschlüsse zu fassen. „So stehen die Finanzierung des Kinderferienprogramms und des Harburger Mädchenprogramms auf der Tagesordnung“, sagt Britta Herrmann, die zugleich auch Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses ist, „diese Beschlüsse müssen jetzt gefasst werden, damit die Träger der Programme planen können.“

Frank Richter ist Fraktionsvorsitzender der SPD im Harburger Rathaus.
Frank Richter ist Fraktionsvorsitzender der SPD im Harburger Rathaus. © xl | Lars Hansen

Ob Britta Herrmann die nächste Sitzung der Bezirksversammlung – wahrscheinlich Ende Mai – überhaupt noch als Abgeordnete miterlebt, ist unklar: Sie wurde in die neue Hamburger Bürgerschaft gewählt und wird die Bezirksversammlung verlassen. Vorgeschrieben ist das nicht, in der Praxis kann man beide Mandate aber kaum gleichzeitig bewältigen.

Manches Thema bleibt in der Corona-Pause liegen

Ohne die Corona-Pause hätte Herrmann zwei Tagesordnungspunkte der nächsten Sitzung, die ihr wichtig wären: „Das wäre unser Antrag, die Harburger Bahnhöfe freundlicher zu gestalten und der gemeinsame Antrag mit der SPD, In Harburg Studierendenwohnen und Azubi-Wohnen zu fördern und zu kombinieren“, sagt sie. „Die Bauarbeiten an den Bahnhöfen laufen bereits und jetzt wäre die Zeit, Einfluss zu nehmen. Und auch bei den Wohnprogrammen müssen wir demnächst Weichen stellen.“

Das sieht man beim Koalitionspartner genauso: „Das Studierendenwerk steckt mitten in der Planung für neue Wohnanlagen“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank Richter, „deshalb wäre es gut, wenn wir unsere Vorstellungen der kombinierten Wohnheime dort deutlich machen können. Studenten sind nicht der einzige Standortfaktor einer Stadt. Wenn Firmen ihre Azubis hier unterbringen können, haben sie bessere Chancen, die Ausbildungsplätze zu besetzen.“

Britta Hermann ist Fraktionsvorsitzende der  Harburger Grünen.
Britta Hermann ist Fraktionsvorsitzende der Harburger Grünen. © xl | Lars Hansen

Richter liegt außerdem ein Antrag seiner Fraktion am Herzen, in dem gefordert wird, das Umfeld der TUHH-Institute und der Tech-Firmen im Binnenhafen flächendeckend mit 5G-Mobilfunk auszustatten. „Das muss schnell auf den Weg gebracht werden“, sagt er. In dem Fachausschuss, dem er vorsteht, dem Stadtentwicklungsausschuss, bedeutet die Zwangspause, dass sich ein Bebauungsplanverfahren verzögert: „Wilstorf 43“, sagt Richter, „das Areal an der unteren Hohen Straße und am Außenmühlenweg. Hier musste die öffentliche Plandiskussion abgesagt werden. Ohne diese Öffentlichkeitsbeteiligung kann das Verfahren nicht weitergehen, denn Einwände, die dort vorgebracht werden, müssen zur Kenntnis genommen und in die Pläne eingearbeitet werden, oder aber begründet unbeachtet bleiben.“ Da durch die Pläne des Investors die Existenz unter anderem der Obdachloseneinrichtung „Harburg Hus“ gefährdet sein könnte, ist mit Einwänden zu rechnen.

CDU kann mit der Pause leben

Die größte Oppositionsfraktion ist die CDU, Ihr Vorsitzender Ralf-Dieter Fischer ist damit Oppositionsführer. „Wir können mit der Pause leben“, sagt er, „auch wenn wir schon gerne einige Themen auf den Tisch gebracht hätten, wie beispielsweise den Stillstand im Rieckhof-Viertel. Nun müssen wir uns entsprechend darauf vorbereiten, nach der Pause Entscheidungen mit zu beeinflussen. Zur Vorbereitung bleibt uns da das bewährte Instrument der schriftlichen Anfrage. Dafür braucht man keine Sitzung.“

Die Sitzungen des Hauptausschusses finden aus Corona-Gründen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, haben aber dennoch einen öffentlichen Teil. Dessen Tagesordnung, Anträge und Protokolle sollen im Ratsinformationssystem Allris unter sitzungsdienst-harburg.hamburg.de/bi/allris.net.asp im Internet veröffentlicht werden. Die nächste Sitzung findet am 23. März statt. Die Abgeordneten werden mit großem Abstand voneinander sitzen. Die Tagesordnung stand bei Redaktionsschluss noch nicht online.

Kommentar

Zwangspausen zur falschen Zeit

Lars Hansen

Die Corona-Pause trifft die Bezirksversammlung zur Unzeit. Sie bedeutet nämlich nicht den ersten Stillstand der Bezirkspolitik in den letzten Jahren, sondern seit Mitte 2018 bereits den vierten. Damals überwarfen sich vor der Sommerpause CDU und SPD, die zuvor eine stabile große Koalition gebildet hatten, über die Nachbesetzung der Bezirksamtsleiter-Stelle, die durch den Tod von Thomas Völsch vakant geworden war. Monatelang blockierte die Personalie die geregelte Arbeit des Gremiums und seiner Ausschüsse, bis die SPD die Koalition aufkündigte. Danach folgte übrigens eine sehr konstruktive Phase wechselnder Mehrheiten in der Bezirksversammlung, in der alle Parteien gemeinsam tragfähige Lösungen für die Probleme im Bezirk fanden.

Es folgte der Bezirksversammlungswahlkampf im Frühjahr 2019 und die anschließenden Wahlen. Danach war klar: Es würde eine Rot-Grüne Koalition geben. Die Koalitionsverhandlungen zogen sich in die Sommerferien bis in den August. Erst ab September wurde die reguläre Arbeit wieder aufgenommen.

Nun folgte allerdings der Bürgerschaftswahlkampf, in dem die Parteien – auch die kleinen – mehr an ihrem Profil arbeiteten, als an Problemen. Und kaum rollt die echte Politik wieder an, bremst Corona.

Dabei gibt es viel zu entscheiden und zu gestalten: Die Infrastruktur in den Neubaugebieten im Westen, die Verkehrsprobleme im gesamten Bezirk, die Balance zwischen bezahlbarem Wohnraum und lebenswerten Quartieren – all das ruft nach der Ortskenntnis der Bezirkspolitiker und kann nicht dem grünen Tisch der Fachbehörden überlassen werden. Es wird Zeit, dass in der Bude wieder gequasselt wird!