Hamburg. Bürger warten im Durchschnitt mehr als zwei Jahre auf Bescheide. Mittlerweile haben zwölf Betroffene die Stadt verklagt.

Der Fahrradclub ADFC, die Linke und ein betroffener Kläger haben dem Senat vorgeworfen, Anträge auf Tempo 30 bewusst langsam zu bearbeiten und Gerichtsverfahren zu verzögern. Hintergrund ist eine nach wie vor hohe Anzahl nicht beschiedener Anträge und die schleppende Beantwortung von Anfragen der Gerichte durch die Innenbehörde von Senator Andy Grote (SPD).

„Wenn es um Tempo 30 geht, bewegt sich Rot-Grün im Schneckenmodus“, sagte Linken-Verkehrspolitikerin Heike Sudmann. „Beschlüsse des Verkehrsausschusses werden ewig hinausgezögert, Gerichtsfristen ignoriert. Selbst in 13 Monaten schafft es die Innenbehörde noch nicht mal, wenigstens die horrenden Antragsgebühren zu senken.“ Statt sich hinter aufwendigen Einzelfallprüfungen zu „verstecken“, könne der Senat in weiten Bereichen der Stadt zum Schutz der Gesundheit Tempo 30 festlegen, so Sudmann. „Doch die Angst vor der Autolobby ist beim Senat größer als der gesunde Menschenverstand.“

Zu viele Anträge auf Tempo 30: Innenbehörde führte Gebühr ein

Hintergrund: Hunderte Hamburger haben in den vergangenen Jahren Anträge auf Einrichtung von Tempo-30-Abschnitten vor ihrer Haustür wegen hoher Luft- oder Lärmbelastung gestellt. Das ist laut Straßenverkehrsordnung und Gerichtsurteilen möglich, wenn Anwohner einer nicht zumutbaren gesundheitsschädlichen Belastung ausgesetzt sind.

Nachdem auch aufgrund einer Kampagne des ADFC immer mehr Hamburger diese Möglichkeit nutzten, hatte die Innenbehörde eine Gebühr von 360 Euro für die Bearbeitung eingeführt, was viele Antragsteller abschreckte – und nicht nur bei der Opposition, sondern auch bei Grünen für Kritik sorgte. Bereits im Januar 2019 wurde der Senat vom Verkehrsausschuss der Bürgerschaft aufgefordert, die Gebühren sozial zu staffeln. Passiert ist das bisher allerdings nicht.

Antragsteller warten im Durchschnitt 816 Tage auf einen Bescheid

Laut Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Verkehrspolitikerin Heike Sudmann sind seit Oktober 2018 bis Anfang Februar 2020 insgesamt 61 neue Anträge eingegangen. Davon wurden fünf negativ und einer positiv beschieden. Im „statistischen Mittelwert“ warten die Antragsteller laut Senat 816 Tage, also mehr als zwei Jahre auf einen Bescheid. Der älteste der noch nicht beschiedenen Anträge liegt demnach bereits seit 1173 Tagen in der zuständigen Stelle der Hamburger Verwaltung vor.

Mittlerweile haben zwölf Betroffene die Stadt verklagt – entweder ohne Bescheid wegen Untätigkeit der Behörden oder aufgrund der Ablehnung ihres Antrages bzw. ihres Widerspruchs gegen einen ablehnenden Bescheid. Die älteste Klage stammt vom März 2015. Bisher wurde laut Senat in dieser Sache kein einziges Urteil gefällt.

Streit um Methodik der Lärmmessung

Streit gibt es bei den Anträgen auch über die Methodik der Lärmmessung. Dabei geht es darum, dass nach den Regelungen bereits Fahrzeuge ab 2,8 Tonnen Gewicht als Lkw zu zählen sind, während dies die Hamburger Behörden erst ab 3,5 Tonnen so handhaben – dafür aber einen Korrekturaufschlag hinzufügen.

Diese Frage ist auch Teil des laufenden Gerichtsverfahrens des Autors und früheren Journalisten Elmar Schnitzer, der am Sülldorfer Brooksweg wohnt. Er hatte schon vor der Bescheidung seines Antrags geklagt, weil er es Leid war, eine gefühlte Ewigkeit auf die Antwort der Verwaltung zu warten. „Mein Antrag ist gerade eben von der Polizei abgelehnt worden, nach fast drei Jahren, mit einer Begründung, die die Einlassung ihres eigenen Justiziariates konterkariert und schlicht an den Haaren herbeigezogen bis aberwitzig ist“, sagt Schnitzer. Der Bescheid habe aber keinen Einfluss auf seine Klage beim Verwaltungsgericht.

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ADFC: Hamburger Senat verschleppt Tempo-30-Anträge

Die Stadt verschleppe die Verfahren und arbeite mit abschreckenden Gebühren und Tricks, um den Bürgern ihre Rechte zu verwehren, befindet ADFC-Sprecher Dirk Lau. „Mit deutlich über 500 Anträgen auf verkehrsbeschränkende Maßnahmen haben wir viel Druck auf die Hamburger Politik ausgeübt“, so Lau. „Es ist nun nur noch eine Frage der Zeit, bis die Gerichte die autofixierte Haltung des Senats stoppen.“

Die Innenbehörde verwies auf Nachfrage auf ihre Aussage in der Antwort auf eine Linken-Anfrage. Darin betont sie, dass die Maßnahmen des Lärmaktionsplans weiterentwickelt würden, um die Beeinträchtigungen durch vor allem vom Straßenverkehr ausgehenden Lärm weiter zu reduzieren. An der von der Bürgerschaft geforderten Änderung der Gebühren werde derzeit gearbeitet.