Hamburg. Noch-Fraktionschef Trepoll attackiert von Beust und Ahlhaus – Junge Union fordert ein neues Grundsatzprogramm.
Nein, drum herumreden oder vorsichtige Diplomatie waren keine Option – nicht bei diesem Ergebnis, dem schlechtesten aller Zeiten für die Hamburger CDU: 11,2 Prozent. Und so versuchte es auch niemand beim Nachwahl-Parteitag am Donnerstagabend im Musiksaal am Besenbinderhof.
„Ich habe in den vergangenen Monaten viele Reden halten dürfen und müssen, aber dies ist die schwierigste“, sagte der gescheiterte Spitzenkandidat Marcus Weinberg. „Weil ich ein Ergebnis zu verantworten habe, das sauschlecht ist. Ich habe kein besseres Ergebnis mitgebracht, das wird Euch und Ihnen nicht gerecht. Diese Partei hat mehr verdient.“
Weinberg: "Wir erreichen gewisse Milieus nicht mehr"
Zugleich aber warnte Weinberg die CDU: „Das Zerfleischen von Personen oder ein komplettes Umdrehen der Partei wird uns nicht helfen.“ Dabei verteidigte der 52-Jährige auch sein zuletzt in der Partei oft kritisiertes Konzept der „Anschlussfähigkeit“.
Es gehe dabei nicht darum, anschlussfähig an andere Parteien zu sein – sondern an die Menschen in der Großstadt. „Wir erreichen gewisse Milieus nicht mehr“, so Weinberg, es gebe kaum noch Zugang der CDU zu Studierenden, Auszubildenden oder Gewerkschaftern. Die Partei müsse aber „sprachfähig“ in allen Milieus bleiben oder wieder werden. Dafür brauche man ein langfristiges Konzept.
Junge Union stellt sich klar gegen Weinberg-Kurs
Die klarste Gegenrede dazu hielt der Chef der CDU-Jugendorganisation Junge Union (JU), Philipp Heißner, der selbst sein Mandat bei der Wahl verloren hatte. „Die Anschlussfähigkeit an andere Parteien haben wir geschafft, aber nicht die an die Bürger in dieser Stadt“, sagte Heißner. „Es funktioniert nicht, anderen hinterherzulaufen.“
Als Beispiele nannte er das Projekt autofreies Ottensen und die Eimsbüttler Verkehrswende, an denen die CDU beteiligt gewesen sei. Das habe der CDU in Ottensen vier Prozent gebracht und in Eimsbüttel fünf. Der Wahlkampf sei ein „komplettes kommunikatives Desaster“ gewesen, so Heißner.
Das habe auch daran gelegen, dass die CDU-Wahlkämpfer sich das alles „selbst nicht mehr abgenommen“ hätten. Die Partei müsse wieder zu einer klaren Programmatik zurückfinden, so Heißner. So dass man jeden Hamburger nachts um drei wecken könne und der sofort wisse, wofür die CDU stehe.
Trepoll kritisiert Altbürgermeister von Beust und Ahlhaus
Noch-Fraktionschef André Trepoll hatte das Wahlergebnis bereits zuvor als „Katastrophe“ bezeichnet. Es sei angesichts des personalisierten Duells zwischen SPD und Grünen falsch gewesen, auch als CDU in erster Linie auf die Person des Spitzenkandidaten zu setzen.
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Trepoll übte aber auch scharfe Kritik an den Altbürgermeistern Ole von Beust und Christoph Ahlhaus und Ex-Senator Wolfgang Peiner, die sich teils auch vor der Wahl schon sehr kritisch über die eigene Partei geäußert hatten. „Ich habe es satt, ungefragte Ratschläge von ehemaligen Bürgermeistern und Senatoren in der Zeitung zu lesen“, so Trepoll unter sehr großem Applaus. „Auch diese Herren tragen für unsere Situation eine Mitverantwortung.“
Wersich kann sich vorstellen, wieder Gesundheitssenator zu werden
Ex-Senator Dietrich Wersich plädierte in seiner Rede vehement dafür, sich der SPD als konstruktiver Koalitionspartner anzubieten. Wenn die SPD eine Koalition für wirtschaftliche Stärke und innere Sicherheit ablehne, sei das der erste und wichtigste Schritt in eine kraftvolle Opposition. Die Partei habe sehr gute Leute, die Senatoren oder Staatsräte werden könnten – zur Not werde er selbst wieder Gesundheitssenator, so Wersich. „Schluss mit Depressionen!“, forderte er. „Sonst muss unsere Partei auf die Couch“
Der voraussichtlich kommende Fraktionschef Dennis Thering beschwor ebenfalls den Optimismus. „Wir werden uns nicht eingraben“, so Thering. „Wir werden vorangehen, wir haben eine tolle Truppe.“
Ploß tritt in den Fettnapf
Der als neuer Hamburger Parteichef gehandelte Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß trat erstmal in den Fettnapf. Bei der neuen geschrumpften Fraktion gehe eben „Qualität vor Quantität“, sagt er. „Danke“ schallt es darauf von gerade Rausgewählten aus dem Publikum. Ploß warnte vor einer Diskussion über eine „liberalen oder konservativen Kurs“. Das sei keine Diskussion, die die Menschen am Abendbrottisch oder in den Sportvereinen führen.
Die redeten über andere Themen, etwa über Sicherheit oder Kampf gegen Extremismus. Dem schloss sich auch der Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries an, der als bekennender HSV-Fan mit Blick auf Peter Tschentscher hinzufügte: „Es ist nicht gottgegeben, dass der HSV die Derbys verliert und auch nicht, dass ein Bremer in Hamburg Bürgermeister ist.“
Zu Beginn des Parteitags hatte Parteichef Roland Heintze gesagt, dass die Ursachen für die Niederlagen schon in den vergangenen Jahren liege. Dafür trage er als Landesvorsitzender die Verantwortung, so Heintze. Marcus Weinberg dankte er für seinen Einsatz. Dieser habe „gerackert und gekämpft bis zur letzten Minute“. Einen Rücktritt plant Heintze offenbar nicht. Er wolle die Ergebnisse mit der Partei gemeinsam aufarbeiten und „meinen Teil in den nächsten Monaten beitragen“, so Heintze.
Junge Union will "Projekt 2025"
Unterdessen hat die CDU-Jugendorganisation Junge Union (JU) scharfe Kritik an der Mutterpartei geübte. In einem Positionspapier mit dem Titel „Projekt 2025“, das dem Abendblatt vorliegt, fordert der Hamburger JU-Vorstand um den Vorsitzenden Heißner eine „schonungslose Analyse und einschneidende Maßnahmen, um die CDU in Hamburg wieder mehrheitsfähig zu machen“.
Es sei falsch, die Verantwortung für die Niederlage vor allem in Thüringen oder der Bundespolitik zu suchen. „Fehlende Profilierung, der Schlingerkurs in der Spitzenkandidaten- und Wunschkoalitionsfrage sowie eine stellenweise völlig unklare Kampagne haben uns massiv geschadet“, heißt es in dem Beschluss. „Eklatante strategische Fehler sowie Kommunikations- und Organisationspannen haben dazu geführt, dass die CDU Hamburg massiv an politischer Relevanz verloren hat.“ Zudem habe die Partei Kernpositionen, etwa zum Thema Rote Flora oder G9 an Gymnasien vorzeitig verworfen und auf ein bereits mehrfach gescheitertes Thema Stadtbahn gesetzt.
Alles neu wünscht sich die Junge Union
Neue Köpfe und neue Ideen müssten jetzt in den Vordergrund rücken, so der einstimmige JU-Vorstandsbeschluss. Vertreter der jungen Generation müssten künftig deutlich stärker berücksichtigt werden. Die Hamburger CDU brauche ein neues Grundsatzprogramm.
Nötig sei auch ein besseres Talentmanagement. Zudem müsse die Partei die immer bloß gepredigte Digitalisierung endlich umsetzen – etwa bei der Beteiligung der Mitglieder. Die Parteiarbeit müsse straffer organisiert werden, so die JU. „Die derzeitigen organisatorischen Rahmenbedingungen lassen ein tiefergehendes Engagement von gesellschaftlichen Leistungsträgern oft nicht zu“, so das Papier.
„Deswegen fordern wir ein effizienteres Management. Dazu gehört eine grundsätzliche Zeitbegrenzung von angesetzten Sitzungen. Gremiensitzungen, die sich unnötig in die Länge ziehen, können sich Menschen mit engem Terminplan nicht erlauben.“ Es müsse auch „möglich sein auch aus dem Ausland oder Büro per Telefonschalte/Videoschalte an den Sitzungen teilzunehmen. Nur so kann es gelingen auch die Kompetenzen derjenigen einzubeziehen, die auch an anderer Stelle viel gefragt sind“.