Hamburg. Bei ihrer Mitgliederversammlung am Mittwoch beschließen die Grünen Sondierungsgespräche mit der SPD. Termin steht bereits fest.

Eine „Auswertung“ der Bürgerschaftswahl hatten sie angekündigt. Das hätte man auch als kritischen Ansatz verstehen können. Da die Einladung allerdings von den Hamburger Grünen kam, war für die Mitgliederversammlung der Partei in erster Linie eine fröhliche und wohlwollende Auseinandersetzung zu erwarten. So lief es dann am Mittwochabend im Bürgerhaus Wilhelmsburg überwiegend – doch schon während der ersten Stunde in Feierlaune drangen auch nachdenkliche Töne und Kritik durch.

Grund zur Freude haben die Grünen natürlich: Unter ihrer Spitzenkandidatin Katharina Fegebank hatten sie mit 24,2 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis bei einer Bürgerschaftswahl geholt und damit ihr Resultat aus dem Jahr 2015 (12,3 Prozent) fast verdoppelt.

Der zweite Platz der Grünen ist am Mittwoch im Wortsinn nachrangig

Eigentlich wollten die Grünen aber noch viel mehr erreichen: Ihr erklärtes Ziel war, die bisherige Zweite Bürgermeisterin Fegebank zur Ersten Bürgermeisterin zu machen und SPD-Amtsinhaber Peter Tschentscher zu schlagen. Zeitweise sah es sogar danach aus, als ob das wirklich klappen könnte: Anfang Januar hatten die Grünen in Umfragen fast zu ihrem großen Koalitionspartner aufgeschlossen. Doch am Ende gewann die SPD mit 39,2 Prozent klar die Wahl, obwohl sie gegenüber 2015 mehr als sechs Prozentpunkte verlor.

Warum die Grünen zuletzt so weit zurückfielen, ist für die Partei am Mittwoch in Wilhelmsburg allerdings nachrangig. „Wir haben nicht den ersten Platz geholt, aber gewonnen haben wir trotzdem“, ruft die Landesvorsitzende Anna Gallina unter dem Jubel der etwa 350 Mitglieder im Saal.

Sondierungsgespräche mit der SPD beginnen schon am Freitag

Die Grünen seien kontinuierlich in der Offensive gewesen. „Mit den Themen autofreie Innenstadt, Verkehrswende und Klimaschutz haben wir den Wahlkampf dominiert.“ Der Auftrag der Wähler sei eindeutig: Fortsetzung der rot-grünen Koalition, „aber mit deutlich stärkeren Grünen“, sagt Gallina. Bisher besetzen die Grünen mit den Ressorts Umwelt, Justiz und Wissenschaft drei von elf Senatorenposten.

Nun wird die Partei selbstbewusster auftreten. Der Termin für das erste Sondierungsgespräch mit der SPD steht schon fest: Am Freitag wollen die möglichen Koalitionspartner im Kurt-Schumacher-Haus vier Stunden lang zusammenkommen.

Für die Sozialdemokraten werden Peter Tschentscher, SPD-Landeschefin Melanie Leonhard und Fraktionschef Dirk Kienscherf dabei sein. Für die Grünen werden Katharina Fegebank, Anna Gallina und Anjes Tjarks sprechen. Die SPD hatte allerdings schon erklärt, es werde auch ein Gesprächsangebot an die CDU geben.

Fegebank: "Mich haben wildfremde Menschen umarmt"

Für Sondierungs- und Koalitionsgespräche bekommt die Grünen-Parteispitze am Mittwoch wie erwartet die Zustimmung der versammelten Mitglieder. „Jetzt holen wir das meiste aus den anstehenden Gesprächen raus und zeigen dann der Stadt, wie sie in den nächsten Jahren noch mal deutlich, deutlich grüner werden kann“, ruft Fegebank.

Das neue Selbstbewusstsein der Grünen bringt sie so zum Ausdruck: „Egal, wo ich war, ich habe Schulterklopfen geerntet“, sagt sie. Beifall brandet auf. „Mich haben wildfremde Menschen umarmt aus dem Auto heraus an der Ampel“, sagt Fegebank. „Das ist schon ein anderes Gefühl, durch die Stadt zu gehen.“

Fegebank: "Es war richtig, ins Duell zu gehen"

Sie spüre aber auch, dass mit den Grünen nun große Erwartungen verbunden seien. Vehement verteidigt sie die Entscheidung, aus der Rolle der Juniorpartnerin in der rot-grünen Koalition heraus gegen SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher anzutreten. Dafür hätten die sehr guten Umfrageergebnisse für die Grünen gesprochen.

„Es war absolut richtig, ins Duell zu gehen, die Herausfordererrolle zu übernehmen“, ruft Fegebank. Es sei eine „mitunter schwierige Situation“ gewesen. Aber: „Ich habe mich wohl gefühlt in dieser Rolle.“

Vieles spricht für die Fortsetzung der rot-grünen Koalition

Noch bis zum Wahlabend hatte die grüne Parteispitze sich zumindest teilweise um Abgrenzung zur SPD bemüht – nun rückt wieder die Kooperation in den Vordergrund. Obwohl noch nicht feststeht, dass es zu einer Fortsetzung der rot-grünen Koalition kommt, spricht aus Sicht der Grünen vieles dafür. Fraktionschef Anjes Tjarks findet am Mittwoch erst schmeichelhafte Worte für die SPD. „Wir als Grüne sind weit gekommen, aber wir hatten einen sehr beliebten und starken Gegner“, sagt er.

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Dann verweist Tjarks auf die Stärken beider Parteien: Die Grünen haben bei der Bürgerschaftswahl die meisten Stimmen bei den Unter-45-Jährigen geholt, die SPD schnitt am besten bei den Wählern über 45 ab; die Grünen punkteten in der Innenstadt, die SPD lag in den meisten umliegenden Stadtteilen vorn. „Wir haben bewiesen, dass Rot-Grün eine enorme integrative Kraft hat – über Generationen und Stadtteile hinweg“, sagt Tjarks. Das sei sehr bedeutsam in einer Zeit, in der andere Politiker die Gesellschaft zu spalten versuchten – und vor dem Hintergrund, dass es sonst in keinem anderen Bundesland eine rot-grüne Koalition mehr gebe.

Zwei-Drittel-Mehrheit für SPD und Grüne in der Bürgerschaft

Mit 54 Mandaten für die SPD und 33 für die Grünen würden beide Fraktionen zusammen eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Bürgerschaft besitzen, die aus insgesamt 123 Sitzen bestehen wird. „Aus dieser großen Mehrheit ergibt sich eine besondere Verantwortung, angemessen mit der Opposition umzugehen“, sagt Tjarks. „Eine Mehrheit zu haben, heißt nicht, immer Recht zu haben.“

Es folgt eine umjubelte Zeremonie, die fast eine Viertelstunde lang dauert: Fegebank und Tjarks rufen die wiedergewählten und die neuen grünen Abgeordneten auf die Bühne, 33 Menschen, 22 von ihnen sind Frauen, fünf von ihnen sind jünger als 28, sie alle bekommen gelbe Chrysanthemen, posieren zusammen für die Fotografen in der Halle.

In der Aussprache erklärt dann Grünen-Mitglied Manfred Ossenbeck, er müsse nun auch mal „den Finger in die Wunde“ legen. Den Grünen werde zwar viel Kompetenz bei der Umwelt- und der Verkehrspolitik zugetraut. Anders sehe es allerdings etwa im Bereich Wirtschaft aus, wo es nur „Kompetenz-Zuwächse“ gebe. „Wenn wir aber das Ziel haben, erste Partei in dieser Stadt zu werden, dann ist das nicht ausreichend“, sagt Ossenbeck. In die gleiche Kerbe schlägt Zohra Mojadeddi. Sie habe viel mit Unternehmen zu tun, sagt die Volkswirtin. „Und ich vermisse uns Grüne. Da ist noch sehr, sehr viel zu machen.“