Hamburg. Rot-Grün steht vor Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen. Geredet wird über die Vergabe von Posten schon jetzt.

Der erste, wenn auch kleine Schritt in Richtung Regierungsbildung ist zwei Tage nach der Bürgerschaftswahl getan: SPD-Landeschefin Melanie Leonhard hat Anna Gallina, ihrer Amtskollegin von den Grünen, einen Terminvorschlag für das Sondierungsgespräch übermittelt, in dem die Chancen für eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition ausgelotet werden sollen. Voraussichtlich werden sich Sozialdemokraten und Grüne am Freitagvormittag im Rathaus treffen.

Offen ist dagegen noch, wann sich die SPD zur Sondierung mit der bei der Bürgerschaftswahl dezimierten CDU trifft, mit der rechnerisch ebenfalls ein Bündnis möglich ist. Dieses Gespräch wird wohl erst in der übernächsten Woche stattfinden, da Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) – und vermutlich nicht nur er – in der kommenden Woche Urlaub machen will.

Blick der SPD geht in Richtung Grüne

Nach den Sondierungen fällt die Entscheidung, mit wem die SPD in ernsthafte Koalitionsverhandlungen einsteigen will. Auch wenn Tschentscher noch einmal deutlich gemacht hat, dass „ein solider Koalitionsvertrag“ mit der Union möglich ist, geht der Blick doch eindeutig in Richtung Grüne. „Es gibt viele Schnittmengen, SPD und Grüne müssen nicht lange verhandeln, wenn es um Verkehrsfragen oder den Klimaschutz geht. Wir sind sehr deckungsgleich in vielen Bereichen“, sagte Tschentscher am Montagabend. „Aber je mehr wir uns jetzt Mühe geben, die offenen Punkte und auch strittigen Themen zu vereinbaren, umso konsequenter kann man die fünf Jahre vernünftig regieren.“

Der Sozialdemokrat verlangt unter anderem von den Grünen ein klares Bekenntnis zum Hafen und zu großen Infrastrukturprojekten wie dem Bau der A 26-Ost, der Hafenpassage, die Teile der Grünen infrage stellen. Die Grünen werden auf eine konsequente Verkehrswende drängen, um nur einen Punkt zu nennen. Eng verknüpft mit den zentralen inhaltlichen Fragen ist die künftige Behördenstruktur und Ressortverteilung, auch wenn darüber zurzeit noch nicht gern öffentlich gesprochen wird. Und daran hängt unmittelbar die Frage, wer Senator und Senatorin wird, was derzeit erst recht nicht gern erörtert wird.

Cornelia Prüfer-Storcks hört auf

Nun hat sich allerdings das Personalkarussell ungeachtet aller Koalitionsoptionen bereits in Bewegung gesetzt: Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) hört nach neun Jahren auf. „Ich habe den Ersten Bürgermeister darüber informiert, dass ich nicht in den neuen Senat eintreten werde. Ich beende meine berufliche und politische Laufbahn“, sagte die 63 Jahre alte gelernte Journalistin gestern dem Abendblatt. „Mein Mann ist im vergangenen Jahr in den Ruhestand gegangen, und wir haben beschlossen, uns noch einmal neu zu orientieren“, sagte Prüfer-Storcks, die in Essen geboren wurde und vor ihrem Wechsel in den Senat dem Vorstand der AOK Rheinland/Hamburg angehörte.

Es gilt als sicher, dass auch Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) – ebenfalls seit 2011 dabei – dem neuen Senat nicht mehr angehören wird. Der Amtsverzicht der beiden Sozialdemokratinnen erhöht die Beweglichkeit Tschentschers bei der Senatsbildung. Denn: Die SPD wird abgeben müssen, weil die Grünen, die ihren Stimmanteil bei der Wahl fast verdoppelt haben, auch personelle Forderungen für den Senat stellen. Bislang stellen die Grünen mit Katharina Fegebank (Wissenschaft), Jens Kerstan (Umwelt) und Till Steffen (Justiz) drei Senatsmitglieder, die SPD einschließlich Tschentscher neun.

Zwei zusätzliche Senatsposten für die Grünen?

Realistisch ist, dass die Grünen zwei zusätzliche Senatsposten fordern werden. Vordergründig wäre Tschentschers Problem also gelöst. Wenn es so einfach wäre … Nach Lage der Dinge erheben die Grünen Anspruch auf die Leitung der Verkehrsbehörde, wie sie es 2015 schon einmal vergeblich getan haben. Jetzt haben sich die Kräfteverhältnisse geändert, und die Ökopartei muss und will beweisen, dass sie der Verkehrswende neuen Schwung geben kann. Das zentrale Pro­blem ist, dass die Ressorts Verkehr und Wirtschaft in einer Behörde geführt werden – vom parteilosen Senator Michael Westhagemann, der auf SPD-Ticket in den Senat gekommen ist.

Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass die SPD auf das Wirtschaftsressort verzichtet, zu dem auch die Zuständigkeit für den Hafen gehört. Denkbar ist also eine Trennung von Wirtschaft und Verkehr, was zwei neue Probleme schafft: Zum Verkehrsressort gehört auch die Verantwortung für die großen Straßenbauprojekte wie eben jene A 26-Ost, die die SPD nicht gern in grüner Hand sähe. Und: Bei einer Teilung entsteht ein zusätzlicher Senatsposten, was öffentlich schwer vermittelbar ist.

Lösbar ist Letzteres zum Beispiel durch Zusammenlegung des Ressorts Verkehr mit der Umwelt- oder der Stadtentwicklungsbehörde. Alternativ ist auch eine (Wieder-)Angliederung der künftig „freien“ Gesundheits- an die Sozialbehörde – diese Kombination existierte bis 2011. Dies wäre eine Aufwertung von Sozialsenatorin Melanie Leonhard, zumal zur Gesundheitsbehörde auch das Thema Verbraucherschutz gehört. Viele in der SPD wünschen sich eine stärkere Rolle der beliebten Parteichefin Leonhard im Senat.

Tjarks gilt als Favorit für den Posten des Verkehrssenators

Im Gegenzug könnte der Bereich Arbeit der (Rumpf-)Wirtschaftsbehörde angegliedert werden, was inhaltlich sinnvoll ist und in Hamburg auch schon Praxis war. Als Favorit für den Posten eines grünen Verkehrssenators gilt Bürgerschaftsfraktionschef Anjes Tjarks, der auf SPD-Seite prinzipiell im Senat hochwillkommen wäre, weil er als verlässlich und kompetent gilt. Bei einer Verschmelzung von Umwelt und Verkehr ist die Frage, ob Jens Kerstan Chef der Behörde bliebe. Das Verhältnis zu Tschentscher gilt als zerrüttet, andererseits hat er starken Rückhalt an der grünen Basis.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Grünen als zweites Ressort die Stadtentwicklungsbehörde beanspruchen, die sehr hohes gestalterisches Potenzial hat. Allerdings war die klassische Baubehörde (mit dem heutigen Wohnungsbauprogramm) meist in SPD-Hand. Es gibt Gegenbeispiele: Der Grüne Willfried Maier führte das Ressort während der ersten rot-grünen Koalition von 1997 bis 2001. Zur schwarz-grünen Zeit von 2008 bis 2010 hieß die Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk (Grüne). Eine Rückkehr der heutigen Bundestags-Vizefraktionschefin gilt als unwahrscheinlich.

Geschlechterverhältnis spielt eine Rolle

Als Parteien mit fortschrittlichem Anspruch müssen SPD und Grüne auf das Geschlechterverhältnis achten. Da wiegt der Verlust von Stapelfeldt und Prüfer-Storcks für die SPD schwer. Dennoch gelten neben Melanie Leonhard die Senatoren Andreas Dressel (Finanzen), Ties Rabe (Schule) und Andy Grote (Innen) als gesetzt, auch weil sie über eine starke Hausmacht verfügen. Wackelig sind dagegen der parteilose Westhagemann und Kultursenator Carsten Brosda (SPD) – ausschließlich aus Proporzgründen. Tschentscher schätzt die Arbeit beider sehr. Sollte nur einer „überzählig“ sein, hätte Westhagemann als Parteiloser wohl schlechtere Karten.

Zwei Namen, die bei der Besetzung des neuen Senats eine Rolle spielen könnten: Der bisherige Justizsenator Till Steffen (l.) und die verhinderte Eimsbütteler Bezirksbürgermeisterin Katja Husen (beide Grüne).
Zwei Namen, die bei der Besetzung des neuen Senats eine Rolle spielen könnten: Der bisherige Justizsenator Till Steffen (l.) und die verhinderte Eimsbütteler Bezirksbürgermeisterin Katja Husen (beide Grüne). © HA | Roland Magunia

Bei den Grünen ist Katharina Fegebank die einzige Frau im Senat. Mit Anjes Tjarks käme ein weiterer Mann hinzu, was auch das grüne Frauenproblem verschärft. Als Aspirantin auf einen Senatsposten gilt Parteichefin Anna Gallina. Als Joker könnten die Grünen auch Katja Husen ziehen, die bei der Wahl zur Eimsbütteler Bezirksamtsleiterin zweimal durchgefallen war. Um bei den beiden Großressorts Verkehr und Stadtentwicklung zum Zuge zu kommen, könnten die Grünen als Kompensation auch den Verzicht auf das Justizressort anbieten. Das wäre aber wohl nur dann der Fall, wenn Justizsenator Till Steffen im Gegenzug den Scharnierposten des Fraktionschefs besetzen würde.