Hamburg. Im Wahlkampf setzt die Partei weiter auf die Mitte und eine starke Wirtschaft – und grenzt sich vom neuen Bundeskurs ab.

Bis kurz vor Schluss der Pressekonferenz hatte er souveräner als sein Hamburger Amtskollege gewirkt, aber dann warf Stephan Weil (SPD) seine Wasserflasche um. „Sie haben mich so aufgeregt“, kommentierte der niedersächsische Ministerpräsident seine kleine Ungeschicklichkeit ironisch in Richtung der Journalisten und wischte seinen Tisch im Raum 151 des Hamburger Rathaus trocken. Tatsächlich war es am Ende des Auftritts von Weil und Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Dienstag nicht mehr um das eigentliche Thema, gemeinsame Ziele in der Energiepolitik, gegangen, auch nicht um Schulabkommen oder Mobilitätsprojekte.

Zwei Tage nach Ende des Bundesparteitags wollten die Journalisten nun wissen, wie die beiden SPD-Regierungschefs zur neuen Parteiführung und zu einem Linkskurs stünden und ob die SPD denn überhaupt noch Kanzlerkandidaten aufstellen solle – was der neue Parteichef Norbert Walter-Borjans vor einer Weile verneint hatte. All das nicht unbedingt Lieblingsthemen der beiden Ministerpräsidenten.

Stephan Weil fasst sich kürzer als Tschentscher

Der gemeinsame Auftritt hinterließ bei vielen der Zuschauer vor allem zwei Eindrücke. Zum einen zeigte Weil einmal mehr, dass er schnell und sachkundig auf den Punkt kommen, klar auf Fragen antworten und knappe, kernige Botschaften senden kann – sei es bei Fragen der Energiepolitik oder in der Debatte über den Kurs seiner SPD. Bürgermeister Tschentscher dagegen sprach bei fast jeder Antwort geschätzt dreimal so lange, sagte aber in der Sache meist weniger als Weil. Neben dem knappen Niedersachsen habe der zur Weitschweifigkeit neigende Hamburger schon beim Auftritt in Berlin blass gewirkt, hieß es hier und da.

Vor allem aber machte der Dienstag noch einmal klar, wie sehr der neue Kurs der SPD den Praktikern in Regierungsverantwortung zu schaffen macht - und wie sie ihn in der Praxis geflissentlich ignorieren. Daran änderten auch die Solidaritätsbekundungen in Richtung des neuen Führungsduos nichts. Tschentscher und Weil machten deutlich, dass sie das Klimapaket nicht komplett wieder aufschnüren wollen, nur weil ihre Partei per Beschluss einen höheren CO2-Einstiegspreis gefordert hat.

Man wolle den Menschen keine „Schocktherapie“ verordnen, sondern Zeit geben, sich auf neue Vorgaben einzustellen. Mithin: Die SPD-Regierungschefs wollen sich nicht von der Partei diktieren lassen, was sie im Vermittlungsausschuss zu tun haben.

Hamburger SPD von Bundesparteitag genervt

Das alles passte zum Gesamtbild der Woche. Vor allem Hamburger Genossen waren vom Bundesparteitag am Wochenende ziemlich missgelaunt zurückgekommen – nicht nur, weil Olaf Scholz das Rennen um den Parteivorsitz verloren und der Hamburger Niels Annen aus dem Bundesvorstand geflogen war. Viele hatten das Treffen als eine Art Festival der Fundamentalisten wahrgenommen.

Zwei Drittel der Reden mit bisweilen abstrusen Forderungen seien von Leuten aus Landesverbänden gehalten worden, die keine Regierungsverantwortung trügen, hieß es genervt aus der Hamburger SPD. „Je weiter weg von der Verantwortung, umso schriller die Töne“, so ein Mitglied des Landesvorstands. „Wir müssen uns überlegen, ob das der richtige Ton für die SPD der Zukunft ist.“

Forderungen des Juso-Chefs für Hamburger Wahlkampf fatal

Der Hintergrund des Unmuts ist klar: Hamburgs SPD ist nur deshalb meist so stark gewesen, weil sie fest in der Mitte verankert ist und stets auch die Wirtschaft im Blick hatte. Das jedenfalls ist die Auffassung selbst bei Genossen, die sich eher zum linken Flügel rechnen oder bei Gewerkschaftern.

Linke Forderungen nach Enteignungen, wie sie vom täglich über alle Kanäle flimmernden Juso-Chef Kevin Kühnert gekommen sind, seien im Hamburger Wahlkampf ebenso fatal wie umfassende Regulierungen des Wohnungsmarktes, Vermögenssteuer, eine neue Verschuldungspolitik oder der Eindruck, die SPD rücke nun weit nach links und wolle ab jetzt den Kapitalismus grundsätzlich bekämpfen, statt ihn gerecht und solidarisch zu gestalten.

Hamburgs Genossen haben immerhin die Hoffnung, dass sich Norbert Walter-Borjans, Saskia Esken und deren Förderer Kühnert bis zur Hamburg-Wahl am 23. Februar 2020 nun mit radikaleren Forderungen zurückhalten. „Die wollen ja auch nicht bei ihrer ersten Wahl gleich an einer Klatsche schuld sein“, sagt einer aus dem Vorstand. Ein anderer fügt hinzu, Berlin zeige, wo linkspopulistische Politik hinführe: Durch den Mietendeckel gehe die Zahl der Baugenehmigungen zurück – die Umfragewerte der SPD auch. In Hamburg habe man den Mietenanstieg durchs Bauen fast gestoppt.

In Hamburg hält man es mit dem Motto der Parteichefin

„Der Bundesparteitag hat nichts mit der Bürgerschaftswahl zu tun“, gab der Ex-Parteichef und Altonaer Kreisvorsitzende Mathias Petersen jetzt das Mantra vor. „In Hamburg geht es darum, dass wir weiter Wohnungen bauen, es geht um gebührenfreie Kitabetreuung, darum dass wir die U- und S-Bahnen ausbauen, die Preise für den HVV senken, dass wir bei den alternativen Kraftstoffen neben Strom auf Wasserstoff setzen und vieles mehr. Die Hamburger SPD orientiert sich, nicht erst seit Helmut Schmidt, an der Realität und nicht an visionären Bundesparteitagsbeschlüssen.“

Bei der Sitzung des Landesvorstandes am Dienstag wurde dann auch noch einmal klar, dass man nicht daran denkt, die ungeliebten neuen Parteichefs im Wahlkampf nach Hamburg zu holen. Das habe man bisher ja auch nicht getan, außerdem seien die Planungen schon abgeschlossen, sagte Parteichefin Melanie Leonhard laut Sitzungsteilnehmern. Widerspruch gab es keinen. Statt unerfahrener Visionäre zu holen, will man regierende Genossen wie Weil, Schwerins Regierungschefin Manuela Schwesig und Familienministerin Franziska Giffey für eine Politik der Mitte werben lassen.

Hamburgs SPD steht für starke Wirtschaft

Eimsbüttels SPD-Chef Milan Pein lobte zwar ausdrücklich das neue SPD-Sozialstaatskonzept und den Abschied von Hartz IV – beides schon von Andrea Nahles auf den Weg gebracht. Er betonte aber auch: „Die SPD steht in Hamburg weiter für das, was die Menschen von ihr erwarten: für eine starke Wirtschaft und eine soziale Stadt.“ Das sieht auch Wandsbeks Kreischef und Finanzsenator Andreas Dressel so. „Wir werden deutlich zeigen, dass wir den Kurs der Mitte weiterfahren, ganz konkret und machbar“, sagt Dressel. „Wir sind die Mitte in Hamburg und niemand anders.“

Der Mitte-Kreischef und Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs ist zumindest an dieser Stelle einig mit Dressel. Am Ende gebe es ein Duell zwischen Tschentscher und der grünen Bürgermeister-Kandidatin Katharina Fegebank. „Dabei geht es um die Frage: Wer kann die Grundfunktionen der Stadt?“, so Kahrs. „Die Grünen können Umwelt. Da gibt es jetzt auch gute Absprachen. Bei Autobahnbau, Wirtschaft, Wohnungsbau usw. sind die Grünen schwierig.“

"Deutschland-Koalition" im Bezirk Mitte

Obwohl an dieser Stelle einig, könnten Kahrs und Dressel nach der Wahl zu Gegenspielern bei der Debatte um mögliche Bündnisse werden. Der Parteirechte Kahrs hatte nach dem Grünen-Chaos in Mitte binnen Tagen im Bezirk eine „Deutschland-Koalition“ aus SPD, CDU und FDP gezimmert. Es hänge vom Wahlergebnis ab, ob das ein Modell für ganz Hamburg sein könne, sagt Kahrs.

Davon will Dressel nichts wissen. Er plädiert für eine Fortsetzung des Bündnisses mit den Grünen. „Wir haben das zusammen gut gemacht, auch in menschlich angenehmer Atmosphäre“, sagt er. Damit die bei den Hamburgern laut Umfragen beliebteste Konstellation auch nach dem Februar weiterarbeiten könne, müsse man auch im Wahlkampf pfleglich miteinander umgehen: „Wir dürfen die Stimmung nicht vergiften.“

Eines hat diese Woche bei all dem klar gemacht: In Hamburg setzen die Genossen jetzt noch stärker auf das Leitmotto von Parteichefin Leonhard: „Nur Konkretes wird wirksam.“ Es reiche ja, wenn die in Berlin sich in Visionen und Oppositionssehnsüchten ergingen, hieß es. Da machten Hanseaten nicht mit. Oder wie einer sinngemäß meinte: Zur Not baue man in Bergedorf eine Firewall gegen die irre gewordenen Berliner.