Hamburg. Die Rathaus-Koalition will das Klimaschutzgesetz vor der Bürgerschaftswahl verabschieden. Die CDU fordert eine gründliche Beratung.
Zeit ist ein bisweilen unterschätzter Einflussfaktor in der parlamentarischen Demokratie. Wann eine Regierung einen Gesetzentwurf ins Parlament einbringt, kann für die Beratung der Abgeordneten von ebenso entscheidender Bedeutung sein wie die Frist, die der Ersten Gewalt zur Erörterung bleibt, weil äußere Umstände eine zügige Verabschiedung angeblich oder tatsächlich verlangen.
Eine rasche Zustimmung kann Kritiker schneller mundtot machen oder ein ungeliebtes Thema zügig „abräumen“. Mit anderen Worten: Zeitmanagement kann ein Herrschaftsinstrument der Regierenden sein – und ist es oft. Häufig ist dann von einem „Hauruckverfahren“ die Rede oder davon, die Regierung wolle ihr Vorhaben im Parlament „durchpeitschen“.
Klimaplan erst drei Monate vor der Wahl eingebracht
Nun wäre es billig, dem rot-grünen Senat zu unterstellen, er habe den umfangreichen Klimaplan, den Entwurf für das erste Klimaschutzgesetz und obendrein den Vorschlag für eine Verfassungsänderung mit der Verankerung des Klimaschutzes als Staatsziel absichtlich erst in dieser Woche und damit nur knapp drei Monate vor der Wahl am 23. Februar in die Bürgerschaft eingebracht, damit die Abgeordneten das komplexe Werk mit zahlreichen Annahmen und Prognosen hinsichtlich der Verringerung des CO2-Ausstoßes nicht in all seinen Verästelungen durchdringen und hinterfragen können.
Das verkennt das lange Ringen von SPD und Grünen um dieses zentrale Wahlkampfthema, bei dem es nicht zuletzt um den Streit über die Deutungshoheit der beiden Hauptgegner im Rennen um Platz eins bei der Wahl geht, wie die verbalen Scharmützel zwischen Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) während der Landespressekonferenz am Dienstag gezeigt haben.
Rot-Grün: Die Bürgerschaft soll am 29. Januar abstimmen
Der nüchterne Blick auf den Terminkalender zeigt jedoch, dass die Wirkung des rot-grünen Plans genau diese ist: Die Zeit ist reichlich knapp. Zunächst einmal hatten die Senatsentwürfe die Bürgerschaft am Mittwoch noch gar nicht offiziell „erreicht“. Die Einbringung erfolgt zur Sitzung am 18. Dezember, oder die Drucksachen werden vorab überwiesen. Abzüglich der zwei Wochen Weihnachtsferien bleiben der Bürgerschaft im besten Fall rund fünf Wochen, um die Ausschussberatungen, die Diskussionen in den Fraktionen und die Plenumsbefassung über die Bühne zu bringen.
Jedenfalls wenn es nach dem Willen der rot-grünen Koalition geht: SPD und Grüne wollen in der Sitzung am 29. Januar über das Gesetzespaket mindestens in erster Lesung abstimmen lassen. Sollte die Opposition von CDU, FDP, Linken und AfD der sofortigen zweiten Lesung nicht zustimmen, um Zeit zu gewinnen, dann bliebe als Ausweichtermin für die letzte Abstimmung noch die letzte Sitzung vor der Wahl: am 12. Februar.
Trepoll: "Das werden wir so nicht länger mitmachen"
Am Mittwoch muckte die Opposition in der Debatte über die Regierungserklärung des Ersten Bürgermeisters gegen den rot-grünen Zeitplan vernehmlich auf. „Die Missachtung des Parlaments ist unter Rot-Grün leider zur Regel geworden. Das werden wir so nicht länger mitmachen“, sagte CDU-Fraktionschef André Trepoll und drohte damit der Koalition. „Verantwortungslos“, lautete das Urteil von Trepolls FDP-Kollegin Anna von Treuenfels-Frowein. „Undemokratisch“, befand Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir.
Trepoll sagte, wie er sich eine gründliche Beratung des Parlaments vorstellt: Expertenanhörungen in allen beteiligten Ausschüssen – mindestens in denen für Umwelt, Wirtschaft, Verkehr und Haushalt. Darüber hinaus soll die Bürgerschaft ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag geben, das die CO2-Berechnungen des Wuppertal Instituts überprüft, das im Auftrag des Senats gearbeitet hat. Kaum vorstellbar, dass die Expertise in wenigen Wochen vorliegt ...
Die Sache könnte heikel werden
SPD und Grünen schwante da schon, dass die Sache noch ziemlich heikel werden könnte. Erste Gespräche zur Abstimmung der Koalitionsfraktionen liefen bereits während der Debatte. Dabei ist Trepolls Vorgehen keineswegs neu, und die Aufführung des Stücks wurde mit anders verteilten Rollen bereits mehrfach in der Bürgerschaft gegeben.
Ein Beispiel: Im Frühjahr 2012 wollte der damalige SPD-Alleinsenat den Anteil Hamburgs an der Reederei Hapag-Lloyd von 24 auf 36,9 Prozent im Hauruckverfahren erhöhen. Für die 420-Millionen-Euro-Investition brauchte der Senat die Zustimmung der Bürgerschaft. Jens Kerstan, als damaliger Grünen-Fraktionschef noch in Opposition, zog sogar vor das Verfassungsgericht, um die Abstimmung um einen Monat zu verschieben und so Zeit genug für die Einholung eines Wertgutachtens zu haben.
„Der Senat hat in gravierendem Maße seine Sorgfalts- und Informationspflicht verletzt. Ich kann als Abgeordneter nicht einschätzen, ob der Preis von 420 Millionen Euro für 13 Prozent Anteile am Unternehmen angemessen ist“, sagte Kerstan damals. Das Gericht wies den Eilantrag des Grünen auf Verschiebung zurück, der Weg zur Abstimmung war frei. Hätte die Bürgerschaft ihr Okay nicht gegeben, wäre der Deal wegen des Ablaufs der Übernahmeoption der Hapag-Lloyd-Anteile durch die Stadt nicht zustande gekommen.
Streit um autofreie Zone in Ottensen
Streit um Zeit zur Beratung gibt es auch aktuell in der Bezirksversammlung Altona. Da ist es die CDU, die zusammen mit den Grünen auf eine Entscheidung noch vor der Wahl darüber drängt, ob das Areal rund um den Spritzenplatz in Ottensen auf Dauer zur autofreien Zone erklärt werden soll. Dort spricht die SPD nun von einer „Farce“, der Versuch laufe noch, und die Politik brauche mehr Zeit, um die Bürger an einer Entscheidung angemessen zu beteiligen.
Zurück zur Bürgerschaft: Rot-Grün will Experten in Sachen Klimawandel am 7. Januar im Umweltausschuss befragen – nicht jedoch in anderen Ausschüssen, wie Trepoll gefordert hatte. „Bei diesem Thema sind Expertenanhörungen genau der richtige Weg. Es ist ja auch klar geworden, dass dieser Plan noch große Umsetzungslücken hat. Wir sind auch bereit, dafür Ausschüsse gemeinsam tagen zu lassen“, sagte Trepoll dem Abendblatt am Freitag.
In einem Punkt ist der Senat auf die Opposition angewiesen
Trepoll weiß, dass er diese Anhörungen in den Ausschüssen nicht durchsetzen kann. Das sind Mehrheitsentscheidungen. Rot-Grün kann die Vorschläge also einfach niederstimmen. Das Gleiche gilt für ein externes, unabhängiges Gutachten, das die Bürgerschaft laut CDU-Antrag einholen soll. „Wenn sich Rot-Grün einer vernünftigen Beratung im Parlament völlig verweigert, fehlt mir dafür als Abgeordneter jegliches Verständnis. Wenn sich der Senat von externen Klimaexperten beraten lässt, dann muss auch das Parlament diese Möglichkeit wahrnehmen“, sagte Trepoll.
Nur in einem Punkt ist die rot-grüne Koalition auf Stimmen aus der Opposition angewiesen: Für die Änderung der Verfassung ist eine Zweidrittelmehrheit in der Bürgerschaft nötig. Erforderlich sind also 81 der 121 Stimmen, SPD und Grüne kommen zusammen nur auf 72 Abgeordnete. Es ist dieser oppositionelle Widerhaken, der die Koalitionsfraktionen zu einer gewissen Kompromissbereitschaft zwingt. Zwar hat die geplante Ergänzung der Präambel der Verfassung mehr symbolische Bedeutung, aber sie ist SPD und Grünen als politisches Bekenntnis sehr wichtig. „Insbesondere nimmt die Freie und Hansestadt Hamburg ihre Verantwortung für die Begrenzung der Erderwärmung wahr“, soll als Staatsziel eingefügt werden.
Taktik vor der Wahl
Nun werden alle Parteien und ihre Fraktionen die öffentliche Wirkung ihres Handelns so kurz vor der Wahl genau kalkulieren. Wenn die Opposition den Eindruck erweckt, sie wolle einen Beschluss über das Klimapaket vor dem 23. Februar verhindern, dürften Wählerinnen und Wähler schnell denken, diese Parteien nähmen es mit dem Klimaschutz nicht so ernst. SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf warf Trepoll in der Debatte am Mittwoch denn auch sofort vor, die CDU wolle die Entscheidung für den Klimaschutz blockieren. Das Wort lehnt Trepoll ab. Er wird genau wissen, warum.