Hamburg. Pannen im Wahlkampf: Nicht immer läuft es rund bei den Parteien. Das Regierungsprogramm der SPD ist immerhin fast fertig.
So viele Themen und Termine, so viele Ideen und Gefühle, und dann auch noch ununterbrochen auf Sendung und Empfang auf allen Kanälen – da kann der moderne Mensch schon mal durcheinander kommen. Dass das bisweilen auch Spitzenpolitikerinnen so geht, hat Bürgermeisterkandidatin Katharina Fegebank beim Grünen-Bundesparteitag am vergangenen Wochenende in Bielefeld demonstriert. Sie bedankte sich in ihrer Rede dafür, dass Vorredner Winfried Kretschmann ihren „Gefühlsspeicher mit so viel positiver Energie angefüllt“ habe, „dass er für mich und für uns in den nächsten 100 Tagen, die es noch sind bis zur Wahl am 27. Februar 2020, nach vorne bringen wird“.
Abgesehen davon, dass dieser Auftaktsatz ihrer Rede im sprachlogischen Nirwana endete (was bei lebendigen, frei gehaltenen Reden öfter vorkommt und meist gar nicht stört), enthielt er auch einen faktischen Fehler: Gewählt wird in Hamburg am 23. Februar, nicht am 27. Februar. Ein möglicher Grund für den Versprecher: Am 27. Februar hat Fegebank Geburtstag. Die Parteifreunde dürften sich nach der Rede beeilt haben, Fegebank den richtigen Wahltermin zu nennen. Nicht, dass die Zwillingsmutter noch den historischen Tag verpasst, an dem sie als erste Frau und Grüne die Macht im Rathaus übernehmen will.
Wenn Grünen-Kinder zum Wahlkampf-Hit werden
Apropos Mutterschaft: Ihre Kinder sind für Fegebank öfter mal Gegenstand der Wahlkampfkommunikation. Nachdem sie sich Ende 2018 mit ihren Töchtern Ava Felizia und Carla Valentina im Senat fotografieren ließ, gab sie jetzt der „Brigitte“ ein Interview, in dem sie über Vereinbarkeit von Beruf und Familie spricht. Manche in anderen Parteien werfen ihr vor, den Nachwuchs für ihren Ehrgeiz zu instrumentalisieren.
Schließlich haben auch andere Spitzenpolitikerinnen wie Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD), Sozialsenatorin und SPD-Chefin Melanie Leonhard, FDP-Landeschefin Katja Suding oder die frühere Hamburger CDU-Bildungspolitikerin und heutige Kieler Ministerin Karin Prien Kinder – ohne diese oft zum Thema zu machen oder in die Kamera zu halten. Fegebank ficht das nicht an, und schaden wird es ihr wohl auch nicht – zu wichtig wirkt ihr Anliegen, Verbesserungen für berufstätige Mütter bzw. Eltern erreichen zu wollen.
Die Grünen dürfen sich nicht zu radikal geben
Schwieriger für die Grünen könnte das werden, was der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) da in dieser Woche präsentierte. Zwar ist der BUND eine eigenständige Organisation – er wird aber als Verbündeter der Grünen wahrgenommen. Dass BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch am Donnerstag in seinem „Klimanotfallplan“ ein praktisch autofreies Hamburg, den Stopp des Straßenbaus, ein Ende des massiven Wohnungsbaus und ein Verbot nicht klimaneutraler Flüge ab 2035 forderte, könnte den Grünen schaden, glauben manche.
Denn die müssten sich, wenn sie eine Mehrheit der Hamburger hinter sich bringen wollen, klar, aber auf keinen Fall zu radikal geben. Abschreckend dürfte auf viele schon die von Fegebank kürzlich aufgestellte (sprachlich ungelenke) Forderung wirken, Hamburg solle nicht nur „Tor zur Welt“, sondern auch „Labor zur Welt“ werden, in dem man „Experimente“ machen wolle. Denn wer bitte möchte in einem Versuchslabor leben? Zu nahe liegen da die Begriffe von Versuchskaninchen und Laborratten.
Der BUND-Vorstoß könnte womöglich SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher helfen. Nicht weil der auch Labormediziner ist und also Fachmann für Experimente – sondern weil er stets davor warnt, das Klimathema isoliert zu betrachten. Schließlich gehe es auch um wirtschaftliche und soziale Fragen. Von einer CO2-Verringerung kann ja kein Mensch Miete oder Bionudeln bezahlen. Dass der BUND auch den Wohnungsbau bremsen und dabei einen schnelleren Anstieg der Mieten in Kauf nehmen will, scheint der SPD mit ihrem Wahlkampfmotto recht zu geben, in dem sie fordert, „die ganze Stadt im Blick“ zu behalten.
SPD liefert beim Klima eine gute Show
Allerdings hat Tschentscher in dieser Woche den Eindruck erweckt, dass er den Klimaschutz eher als Wahlkampfgag versteht. Das „Bündnis für die Industrie der Zukunft“, das er am Montag mit Matthias Boxberger, dem Chef des Industrieverbandes, im Senatsgästehaus unterzeichnete, enthält nämlich nicht eine neue und konkret bezifferte Selbstverpflichtung der Industrie zur CO2-Reduktion. Die einzige genannte Einsparzahl von 560.000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr bezieht sich vor allem auf längst bekannte politisch inspirierte Projekte und wird nur vage als „Zielsetzung“ formuliert. In der Pressemitteilung des Senats taucht dann auch keine einzige konkrete Zahl zu neuen Einsparungen auf.
Man muss dabei daran erinnern, wie hoch Tschentscher das Ganze selbst eingeflogen hatte. In einer aus SPD-Sicht wegweisenden Rede hatte er im Februar im Überseeclub den Klimaschutz zu seinem eigenen großen Thema machen wollen. Er wolle analog zum Bündnis für das Wohnen und das Handwerk ein „Bündnis für Industrie der Zukunft“ formen, versprach Tschentscher – auch um „neue Projekte für den Klimaschutz zu entwickeln“. Wirklich Zählbares kam dabei nun nicht heraus. Offenbar mochte die Industrie dem Senatschef nicht besonders weit entgegenkommen.
Geburtswehen beim wenig revolutionären Wahlprogramm
Etwas konkreter als Tschentschers windelweiches Industriebündnis kommt da immerhin das Wahlprogramm seiner SPD daher. Allerdings gab es in dieser Woche ein nicht sehr professionell wirkendes Hin und Her um das zuletzt 89 Seiten starke Dokument. Mitte der Woche vereinbarte Tschentscher intern, das am Dienstag im Landesvorstand beschlossene Programm werde am Donnerstag verschickt und danach vorgestellt. Daraus aber wurde nichts. Die Parteizentrale schaffte es nicht rechtzeitig, die am Dienstag beschlossenen Änderungen einzuarbeiten. Offenbar gibt es neuerdings Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Senatschef und Partei.
Revolutionär Neues steht allerdings auch nicht drin in dem Entwurf, der dem Abendblatt vorliegt. Der schon oft bemühte Hamburg-Takt soll bis 2030 überall binnen fünf Minuten ein ÖPNV-Angebot bereitstellen. HVV-Schülertickets sollen schrittweise gratis werden, für Azubis wird ein 365-Euro-Ticket versprochen. Es sollen 40 neue Schulen und auf deren Geländen Kitas mit 5000 Plätzen entstehen. Die Zahl der geförderten Neubauwohnungen soll von 3000 auf 4000 jährlich steigen. Hamburg soll bis 2050 klimaneutral werden.
Die Hafenquerspange soll kommen, und die SPD möchte ein „Haus der digitalen Welt“ errichten. In diesem „bundesweit einzigartigen Ort“ soll „Digitalisierung erlebbar und erlernbar“ und die Zentralbibliothek untergebracht und zu „einer der modernsten Bibliotheken Europas“ werden. Man müsse nun zu beten anfangen, unken manche, dass der städtische Digitaldienstleister Dataport da nicht beteiligt werde. Sonst funktionierten am Ende nicht mal die Telefone.
CDU will MetroTram bauen – auf merkwürdiger Strecke
Trotz des Zweikampfs zwischen SPD und Grünen gelang es am Mittwoch auch einmal der CDU, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – mit dem Vorschlag einer MetroTramAltona. Diese regionale Stadtbahn solle die westlichen Stadtteile anbinden und könne schon in vier, fünf Jahren fahren, versprach CDU-Spitzenkandidat Marcus Weinberg. Der von Stadtbahn-Fans bejubelte Vorschlag hat allerdings mindestens einen Haken: Die Weinberg-Bahn soll ziemlich genau auf der Strecke fahren, die auch von der geplanten S 32 bedient werden soll – und der hatte die CDU gerade zugestimmt.
Weinbergs Vorteil: Seine Pläne müssen nicht besonders realistisch sein. Denn er wird angesichts der Umfragen sowieso nicht Bürgermeister, bestenfalls Juniorpartner. Oder um es in seinen eigenen Worten zu sagen: „Ich kann mir als Prinz die schönste Prinzessin aussuchen.“ Und da sei vor allem eines wichtig: „Das Kleid des Prinzen muss schon gut aussehen, damit die Prinzessin entzückt ist.“ Und schick sehen Stadtbahn-Animationen ja schon aus – vor allem für Grüne.