Hamburger Landgericht stellt die Bewertung der guten oder normalen Wohnlage infrage. Senat wusste angeblich nichts von Urteil.
Zahlen womöglich Tausende Hamburger zu hohe Mieten? Das jedenfalls vermutet die CDU. Hintergrund ist ein Urteil des Hamburger Landgerichts, das den für Miethöhen maßgeblichen Mietenspiegel betrifft. In dem Urteil geht es um die Zuordnung von Wohnungen zu den Kategorien „gute“ oder „normale“ Wohnlage. Diese entscheidet auch mit über die erlaubten Höchstmieten.
Für den Mietenspiegel 2017 wurde erstmals seit 1995 die Methode geändert, nach der insgesamt mehr als 23.100 Straßenabschnitte kategorisiert werden. Nach der neuen Methode werden folgende Faktoren bei der Bewertung einbezogen:
- der aus dem Sozialmonitoring hervorgehende „Statusindex“ des Gebiets (26 Prozent)
- der von der Finanzbehörde festgelegte Bodenrichtwert, also der geschätzte Grundstückswert (20 Prozent)
- der Grünflächenanteil (16 Prozent)
- die Einwohnerdichte (13 Prozent)
- die Anzahl der Fahrspuren auf der Straße (11 Prozent)
- die Entfernung zu U-/S-Bahn/AKN (6 Prozent)
- Lärmbelastung (5 Prozent)
- Entfernung zum Metrobus (3 Prozent)
- Entfernung zum Einzelhandel (1 Prozent)
Das ergibt kurioserweise 101 Prozent.
Landgericht: Mietenspiegel gewichtet falsch
Das Landgericht stellte die Gewichtung dieser Faktoren bei der Ermittlung der Wohnlage nun in einem bisher wenig beachteten Urteil aus dem Mai infrage. „Für den Mieter spielen … Werte wie etwa Statusindex und Bodenrichtwert, die mit insgesamt 46 Prozent in die Bewertung eingeflossen sind, nur eine untergeordnete Rolle bei der Bewertung ihrer Wohnlage“, so die Richter.
Die Entfernung zu öffentlichen Verkehrsmitteln, zum Einzelhandel und die Lärmbelastung, die lediglich mit 15 Prozent in die Bewertung eingeflossen sind, spielten dagegen „regelmäßig eine deutlich gewichtigere Rolle“. Daher „erachtet die Kammer die Gewichtung der für die Ermittlung der Wohnlagenkennzahl herangezogenen Werte“ als „nicht entscheidend für die Frage der Ermittlung des angemessenen Mietpreises innerhalb des einschlägigen Rasterfeldes des Hamburger Mietenspiegels“, so die Richter.
CDU spricht von "Ohrfeige für den Senat"
Für CDU-Stadtentwicklungspolitiker Jörg Hamann ist diese Entscheidung eine „Ohrfeige für den Senat“. Denn damit bestehe nun „erhebliche Rechtsunsicherheit für sämtliche Mieterhöhungen in Hamburg“, so Hamann. „Vermutlich zahlen Tausende Mieter zu viel Miete. Dann behauptet der Senat noch, die Rechtsprechung dazu nicht zu kennen. Unfähigkeit und Unkenntnis! Es besteht dringender Handlungsbedarf.“ Tatsächlich hatte der Senat in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Politikers geschrieben, ihm seien keine Urteile zu dem Thema bekannt.
Der Mieterverein zu Hamburg und der Grundeigentümerverband haben sich ebenfalls für Änderungen ausgesprochen. Zwar bewerten beide die Methodik des neuen Wohnlagenverzeichnis, an deren Erarbeitung sie beteiligt waren, nicht so kritisch wie die CDU, sondern insgesamt eher positiv. Gleichwohl plädieren auch sie für eine Optimierung bei der Gewichtung der Kriterien.
Auch Mieterverein empfiehlt Änderungen
„Weil die Bodenrichtwerte durch die Explosion der Grundstückspreise in Hamburg unverhältnismäßig gestiegen sind, sollte deren Gewichtung reduziert werden“, sagt Siegmund Chychla, Geschäftsführer vom Mieterverein zu Hamburg. „Aus unserer Sicht, sollte den Kriterien wie Lärm, Straßengrün usw. eine größere Bedeutung beigemessen werden. Das werden wir auch bei dem Mietenspiegel 2021 thematisieren“, so Chychla.
Leider aber gebe es bei Teilen der Wohnungswirtschaft „den Versuch, den Hamburger Mietenspiegel und die dort vorgenommene Wohnlageneinteilung zu beseitigen“. Damit wolle man das „aussagekräftigste Kriterium für die Bestimmung der ortsüblichen Miete aus den Angeln heben und den für Mieter und seriöse Vermieter vorhandene Orientierung aus der Welt schaffen“, fürchtet Chychla. „Durch den Wegfall einer wichtigen Orientierungshilfe erhoffen sich diese Markteilnehmer, dass überzogene Mieterhöhungen leichter durchgesetzt werden können.“
Grundeigentümerverband will Anpassung
Auch Ulf Schelenz, Geschäftsführer des Grundeigentümerverbandes, sieht Verbesserungsmöglichkeiten bei den Kriterien. „Unseres Erachtens verdient beispielsweise der Indikator ‘Entfernung U-/S-Bahn/AKN’ sowie der Indikator ‘Entfernung zum Metrobus’ einen höheren prozentualen Anteil als sechs bzw. drei Prozent, da eine gute Verkehrsanbindung immer mehr an Bedeutung zunimmt und deshalb eine höhere prozentuale Einordnung gerechtfertigt ist“, so Schelenz. „Probleme und Aufregung gab es beim erstmaligen Erscheinen des neuen Wohnlagenverzeichnisses, da erhebliche Auf- und Abstufungen von jeweils ca. 1500 in die eine und in die andere Wohnlage stattgefunden haben.“
Gleichwohl sei man „überwiegend mit dem neuen Verzeichnis zufrieden, da der erstmalig enthaltene Wohnlagenkennwert Erleichterungen bei der Einordnung der Wohnlage für Vermieter und Mieter bringt und deswegen im Interesse des Rechtsfriedens sinnvoll ist“.
Stadtentwicklungsbehörde: Urteil verändert Situation nicht
Die Richter hatten moniert, dass Statusindex und Bodenwert – die im Hamburger Mietenspiegel wichtigsten Kategorien – für Mieter keine so große Bedeutung hätten und daher in der Erhebungsmethode übergewichtet seien. Die für Mieter wichtigen Kriterien einer guten Verkehrsanbindung oder der Lärmbelastung seien dagegen zu wenig berücksichtigt worden. Daher müsse der „Wohnlagenkennwert im Wohnlagenverzeichnis in jedem Einzelfall überprüft werden“ und könne „nicht ohne Weiteres zur Einordnung in das jeweilige Rasterfeld herangezogen werden“.
Die zuständige Stadtentwicklungsbehörde sieht bei alldem offenbar keinen Handlungsbedarf. „Aus Sicht der Behörde verändert das Urteil die Situation nicht und es besteht kein Anlass, die Methodik des Wohnlagenverzeichnisses zu ändern“, sagte eine Sprecherin. „Das Wohnlagenverzeichnis ist 2017 umfassend überarbeitet worden und bewertet die Straßenabschnitte ausschließlich anhand objektiver Daten. Der Prozess der Überarbeitung erfolgte unter Beratung durch den ‘Arbeitskreis Mietenspiegel’, dem Vertreter der Wohnungswirtschaftlichen Verbände, der Mietervereine sowie Richterinnen und Richter vom Amts- und Landgericht angehören.“
Schon jetzt gebe es Beispiele, „in denen der Lärm trotz hohen Bodenrichtwerts ausschlaggebend für eine Einstufung in die normale Wohnlage ist“, etwa an der Saseler Chaussee oder der Kellinghusenstraße, so die Behördensprecherin. Die Einstufung im Wohnlagenverzeichnis schließe überdies nicht aus, „dass Gerichte im Einzelfall zu abweichenden Bewertungen kommen“.