Hamburg. Die Flüchtlingskinder sind nicht gerecht über die Stadt verteilt, die Schulklassen zu groß. Die Linke fordert mehr Lehrer.
Der Unterricht von Flüchtlingen und Migranten, die häufig anfangs geringe Deutschkenntnisse haben, stellt eine Herausforderung für die Schulen dar. Das gilt umso mehr, als nach der massiven Zuwanderung 2015 und 2016 auch die Zahl der Geflüchteten im schulpflichtigen Alter sprunghaft angestiegen ist und sich von Anfang 2010 bis Anfang 2017 verzehnfacht hat. Die Gesamtkosten für den Unterricht belaufen sich auf 71 Millionen Euro jährlich.
Der Rechnungshof kritisiert in seinem aktuellen Bericht trotz der Anstrengungen der Schulbehörde, dass die Schülerinnen und Schüler, die die Regelschulen besuchen, nicht gerecht über die Stadt verteilt sind. Flüchtlinge und Migranten im schulpflichtigen Alter werden nach ihrer Ankunft zunächst in eine Internationale Vorbereitungsklasse (IVK) eingeschult, in der es vorwiegend um den Erwerb von Deutschkenntnissen geht. Spätestens nach einem Jahr soll der Wechsel auf eine Regelschule und damit die Integration in den „normalen“ Schulbetrieb erfolgen. Um eine möglichst gleichmäßige Verteilung zu erreichen, sollen nicht mehr als vier ehemalige IVK-Schüler in einer Regelklasse aufgenommen werden.
Nach Angaben des Rechnungshofs besuchten 2394 der 2888 ehemaligen IVK-Schüler (82 Prozent) zum 1. Februar 2018 eine Regelklasse einer Stadtteilschule, während nur 18 Prozent auf einem Gymnasium waren. Von den Stadtteilschülern wiederum wurden 68 Prozent an einer Schule unterrichtet, die in einem sozial benachteiligten Gebiet liegt – mit einem Sozialindex von 1 oder 2 auf einer sechsstufigen Skala. Der Gesamtanteil aller Schüler in Stadtteilschulen mit Sozialindex 1 oder 2 liegt aber nur bei 40 Prozent.
Kapazitäten an den Stadtteilschulen reichen nicht aus
Bei den Gymnasiasten lag der Anteil der ehemaligen IVK-Schüler in Schulen mit dem niedrigen Sozialindex 1 oder 2 jedoch nur bei knapp 24 Prozent. Ein weiteres Problem kommt hinzu: Laut Rechnungshof hat die Schulaufsicht darauf hingewiesen, dass es schon vor der Verteilung der Flüchtlingskinder auf die Regelklassen kaum freie Schulplätze an den Stadtteilschulen gab. Ein Beispiel: Von den Stadtteilschulen waren zum Stichtag 1. Februar 2018 nur 240 freie Schulplätze gemeldet worden, während 1303 IVK-Schülerinnen und -Schüler untergebracht werden mussten. Die Folge: Die Verteilung auf die Regelklassen war nur möglich, indem die Klassenhöchstgrenzen überschritten wurden. Statt 25 wurden vielfach 27 Schüler in einer Klasse unterrichtet.
Die amtlichen Prüfer haben die Schulbehörde aufgefordert, solche Überschreitungen der Höchstgrenzen zu vermeiden. „Der Rechnungshof hat der Schulbehörde empfohlen, für den Fall, dass ehemalige IVK-Schülerinnen und -Schüler auf Regelklassen an weiterführenden Schulen mit bereits erreichter Klassenhöchstgrenze verteilt werden müssen, hierbei besonders solche Schulen zu berücksichtigen, die bisher eine geringe Zahl von ehemaligen IVK-Schülern aufgenommen oder einen höheren Sozialindex haben“, heißt es im Rechnungshofbericht etwas umständlich.
Senat verteidigt sein Vorgehen, größere Klassen zu bilden
In seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bürgerschaftsfraktionschefin Sabine Boeddinghaus verteidigt der Senat das Vorgehen, in die Klassen mehr Schüler als eigentlich vorgesehen aufzunehmen. Es handele sich um eine „maßvolle Überschreitung der Höchstfrequenzen“, um das Ziel „altersangemessener Schulwege“ zu erreichen. Mit anderen Worten: Viele Flüchtlingsfamilien leben in Wohnunterkünften, die in den sozial belasteten Stadtteilen errichtet worden seien.
„Andererseits ist durch diese maßvolle Überschreitung der Höchstfrequenz auch die Integrationsfähigkeit der bestehenden Klassen angemessen berücksichtigt“, schreibt der Senat. Im Übrigen erhielten die Klassen mit 27 Kindern neun bis zehn Unterrichtsstunden pro Woche mehr, um eine Doppelbesetzung mit Lehrern zu ermöglichen.
„Dass die Klassen gerade einmal zehn Unterrichtsstunden doppelt besetzen können, ist ohne Worte und seitens der Schulbehörde ein Offenbarungseid“, kritisiert Boeddinghaus. „Was passiert in den restlichen Unterrichtsstunden?“ Gerade Schulen in Gebieten mit dem herausfordernden Sozialindex 1 und 2 brauchten „viel mehr Unterstützung und Unterrichtsentlastung“.
Zugewanderten fehlt oft die Voraussetzung für Gymnasium
Dass die Stadtteilschulen überproportional viele Flüchtlingskinder aufnehmen, begründet die Schulbehörde damit, dass diese Schulform alle Abschlüsse anbietet, während das Gymnasium zum Abitur führen solle und Zugewanderten dafür aufgrund der kurzen Schulzeit in Deutschland häufig die Voraussetzungen fehlten. Beim Übergang in die Regelklassen würden „Schulwünsche der Eltern nach Möglichkeit berücksichtigt“, heißt es in der Senatsantwort auf die Boeddinghaus-Anfrage. Gerade Stadtteilschulen in Sozialindex 1- oder -2-Gebieten seien besonders beliebt, wie die hohen Anmeldezahlen zeigten. Im Übrigen leisteten diese Schulen „ebenso gute Arbeit wie Schulen in anderen Gebieten“.
Boeddinghaus bestätigt, dass die Schulen in sozialen Brennpunkten sehr gute Arbeit leisteten. „Aber die Überlast an sozialen Aufgaben ist unverantwortlich und muss in Zukunft ausgeglichener und gerechter organisiert werden“, fordert die Linken-Fraktionschefin.
Der Rechnungshof moniert außerdem, dass die IVK zu 40 Prozent nicht voll ausgelastet seien. „Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Schulbehörde nicht konsequenter darauf hingewirkt hat, dass bestehenden, nicht ausgelasteten IVK … gezielt Schülerinnen und Schüler zugewiesen werden“, heißt es im Bericht des Rechnungshofs. „Die Schulbehörde hat die Feststellungen und Beanstandungen des Rechnungshofs anerkannt und zugesagt, seinen Forderungen und Empfehlungen nachzukommen“, heißt es abschließend.