Hamburg. Plagiatsvorwürfe gegen Ex-Senator Neumann haben sich laut NDR erhärtet. Der Doktortiel ist wohl futsch. Die Universität schweigt.
Im Personalverzeichnis der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg ist der Name des früheren Innensenators noch mit Titel vermerkt: „Dr. Neumann, Michael“. Doch das dürfte sich in Kürze ändern. Nach Recherchen des NDR-Magazins „Panorama 3“ hat die Universität der Bundeswehr Neumann den Doktortitel aberkannt. Das Magazin beruft sich auf „interne Kreise“. Die Hochschule hält offiziell ihre schützende Hand über ihren Mitarbeiter. „Wir geben in der fraglichen Angelegenheit keine Stellungnahme ab“, teilte ein Sprecher dem Abendblatt schriftlich lediglich mit.
Im Juli 2018 hatte ebenfalls „Panorama 3“ erstmals darüber berichtet, dass der Sozialdemokrat bei der Abfassung seiner 274 Seiten umfassenden Promotionsarbeit mit dem Titel „Länderneugliederung im deutschen Föderalismus am Beispiel des Nordstaats“ nicht wissenschaftlich sauber gearbeitet haben soll. Zunächst ging es um den Vorwurf, dass der Ex-Politiker Textpassagen unter anderem aus dem Onlinelexikon Wikipedia kopiert haben soll, ohne die Zitate kenntlich gemacht zu haben. Dies ließe sich aus dem öffentlich zugänglichen PDF-Dokument seiner Arbeit über versteckte Links rekonstruieren.
Die Aberkennung des Titels soll „unvermeidlich“ sein
Doch mittlerweile haben sich die Plagiatsvorwürfe offensichtlich ausgeweitet. Laut NDR-Magazin soll Neumann „massiv“ bei zwei anderen Promotionsarbeiten abgeschrieben haben, die nicht näher benannt werden. Das habe die interne Untersuchung seiner wissenschaftlichen Arbeit ergeben, die die zuständige Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften durchgeführt habe. Nach der eingehenden Prüfung sei der Entzug des Doktortitels laut den internen Kreisen „unvermeidlich“ gewesen.
Neumann hat sich selbst nie zu den Vorwürfen geäußert. Auch jetzt reagierte der Sozialdemokrat nicht auf den Versuch, ihn telefonisch zu erreichen. Der 49 Jahre alte Diplom-Politologe war über eine Dekade einer der einflussreichsten Hamburger Sozialdemokraten und galt eine Zeit lang als möglicher Bürgermeisterkandidat. Neumann war von 2004 bis 2011 zu Oppositionszeiten der SPD deren Fraktionsvorsitzender in der Bürgerschaft und nach dem Regierungswechsel von 2011 bis 2016 Innen- und Sportsenator.
Michael Neumann setzte sich für Olympia in Hamburg ein
Er setzte sich unter anderem sehr stark für die Bewerbung Hamburgs um Olympische und Paralympische Spiele ein, die 2014 in einem Volksentscheid jedoch abgelehnt wurden.
Sein Rücktritt als Senator und der komplette Rückzug aus der Politik Anfang 2016 kamen für viele überraschend und wurden von ihm zunächst nicht näher begründet, was politische Spekulationen anheizte. Neumann sprach ein Jahr später in einem Abendblatt-Interview davon, dass er „immer dünnhäutiger“ in dem Amt geworden sei und deswegen frühzeitig beschlossen habe, im Laufe der bis 2020 reichenden Legislaturperiode zurückzutreten.
Neumann kehrte an die Helmut-Schmidt-Universität zurück, gab Vorlesungen und beendete offensichtlich in relativ kurzer Zeit seine Dissertation. Im Juni 2017 wurde er zum Doktor der Politikwissenschaften promoviert. Gut ein Jahr später wurden die ersten Vorwürfe publik. Der NDR beauftragte den Juristen Prof. Gerhard Dannemann von der Berliner Humboldt-Universität mit einer ersten Expertise der Arbeit Neumanns.
Versteckte Links aus dem Internet?
Der Wissenschaftler bewertete die nicht kenntlich gemachten Wikipedia-Einfügungen in den Dissertationstext als untrügliches Zeichen für systematisches betrügerisches Vorgehen. „Kein Mensch fügt im Nachhinein versteckte Links aus dem Internet in ein PDF-Dokument ein“, sagte Dannemann, der sich mit einem Kollegen Neumanns Arbeit angesehen hatte. Die beiden Fachleute stellten innerhalb kurzer Zeit Dutzende Plagiate fest. „Einmal kann es jedem passieren. Aber es kommt einfach zu häufig vor“, sagte der Wissenschaftler, der einer der Gründer der Plattform VroniPlag ist, die zur Aufdeckung von Plagiaten bei den Dissertationen mehrerer prominenter Politiker (siehe Infokasten) geführt hat.
Unabhängig von der neuen Entwicklung ist Neumann offensichtlich weiterhin Mitarbeiter der Helmut-Schmidt-Universität, die sich auch zu seiner konkreten Tätigkeit nicht äußern mag. Im Personalverzeichnis wird Neumann ohne Funktionsbezeichnung zwischen dem Vizepräsidenten Prof. Rolf Lammering und Kanzler Axel Puckhaber geführt.
Im Februar dieses Jahres hatte das Bundesverteidigungsministerium, dem die Universität angegliedert ist, auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz geantwortet: „Doktor Michael Neumann ist Bundesbeamter im Geschäftsbereich der Verteidigung und als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg beschäftigt.“
Ex-Senator arbeitet an einem Forschungsprojekt in den USA
Hinweise, Neumann sei trotz der Plagiatsvorwürfe ein Forschungsprojekt in den USA übertragen worden, bestätigte das Verteidigungsministerium nur allgemein. „Doktor Neumann wurde im Januar 2019 mit der Bearbeitung eines Forschungsprojektes beauftragt. Das Forschungsprojekt ist auf einen diplomierten Politikwissenschaftler zugeschnitten, eine Promotion ist nicht zwingend erforderlich“, heißt es in der Antwort des Ministeriums.
Die Jäger nach Plagiaten: Das ist VroniPlag
VroniPlag ist eine 2011 gegründete Internetplattform, auf der vor allem Dissertationen zumeist Prominenter auf mögliche Plagiate hin untersucht werden. Aufgrund der Recherchen der VroniPlag-Aktivisten wurde den früheren EU-Abgeordnetem Silvana Koch-Mehrin und Jorgo Chatzimarkakis (beide FDP) sowie Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) der Doktorgrad aberkannt. Benannt ist die Plattform nach der Tochter des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU), Veronika („Vroni“) Saß, die ihren Doktortitel ebenfalls verlor.