Hamburg. Streit über angebliche linksextremistische Umtriebe an der Ida-Ehre-Schule beschäftigt Bürgerschaft. Eisige Stimmung gegen Rabe.

In der Politik ist nicht nur von Bedeutung, was gesagt wird. Bisweilen ist ebenso wichtig, was nicht gesagt wird. Als am Mittwoch in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft die Wogen über angebliche linksextremistische Umtriebe an der Ida-Ehre-Schule in Eimsbüttel hochschlugen, fiel zweierlei Schweigen auf: Zum einen griff Schulsenator Ties Rabe (SPD) nicht in die Diskussion ein, obwohl er nicht nur der politisch Verantwortliche für Schulen ist, sondern seine Behörde zudem angeordnet hatte, alle Sticker und Aufkleber mit linksextremen Inhalten, die zum Teil für die vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppe Antifa Altona-Ost warben, zu entfernen.

Zum anderen war sehr auffällig, dass kein sozialdemokratischer Redner Rabe zur Seite sprang. Sowohl die schulpolitische Sprecherin Barbara Duden als auch der Eimsbütteler Abgeordnete Uwe Giffei geißelten wortreich die AfD-Internetplattform „Neutrale Schulen“, über die die Vorwürfe gegen die Schule zuerst bekannt worden waren. „Wir sind gegen Denunziation, ob in der Schule oder im Betrieb. Sie ist kein Bestandteil unserer Gesellschaft“, sagte Duden. Es sei unerträglich, dass die AfD, die die Gesellschaft spalten wolle, sich als Hüterin der Demokratie aufspiele. Davon, dass die Schulbehörde an der Schule eingeschritten war, weil sie das Neutralitätsgebot verletzt sah, sprach Duden mit keinem Wort.

Konflikt an Ida-Ehre-Schule: Ties Rabe schweigt

Auch Giffei nicht, er erinnerte an die Geschichte der Schule, die früher Jahnschule hieß und eine Kaderschule der Nazis war. „Die Schule hat sich früh ihrer Geschichte gestellt und sie als Auftrag begriffen, ihren Schülern nahezubringen, wohin Rassenwahn und Hass führen“, sagte Giffei, der seine „volle Unterstützung“ mit Lehrern, Schülern und Eltern der Ida-Ehre-Schule erklärte. Die Unterstützung für den eigenen Senator beschränkte sich bei Duden und Giffei darauf, über ihn und das Handeln seiner Behörde zu schweigen.

Rabes Redeverzicht und das Schweigen seiner Parteifreunde über ihn hängen eng zusammen. Es war schon am Montagabend in der Sitzung der SPD-Fraktion reichlich frostig für den Senator gewesen, obwohl es auch da hoch herging. Rabe wusste danach wohl, was ihn am Mittwoch erwartete.

Es zeigte sich schnell, dass die Empörung über das AfD-Internetportal, das dazu aufruft, vermeintliche Verstöße gegen das Neutralitätsgebot zu melden, weit schwerer wog als die Bereitschaft, den Vorwürfen konkret nachzugehen, also aufzuklären. Für manchen Sozialdemokraten ging es gerade jetzt darum, den gerechten Kampf des Antifaschismus gegen rechte Hetze mit Leidenschaft zu führen. Dass die Ida-Ehre-Schule eine hoch geachtete Bildungseinrichtung ist, tat ein Übriges.

Behörde muss bei Verstoß gegen Neutralitätsgebot eingreifen

Rabe traf mit seinem nüchternen Bericht über die bis dahin bekannten Vorgänge nicht die Stimmungslage seiner Parteifreunde, die sich von ihm mehr Unterstützung der Schule und der Lehrer gewünscht hätten. Dass die Behörde an Recht und Gesetz gebunden ist und eingreifen muss, wenn sie einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot erkannt hat, wollten viele Abgeordnete an diesem Abend nicht gern hören. Auch der Hinweis, Nichthandeln hätte neue Vorwürfe nach sich ziehen können, hätte vermutlich nicht verfangen. Rabe erklärt sein Schweigen in der Bürgerschaft damit, dass er sich erst äußern wolle, wenn er alle Fakten kenne. Das war erst am Freitag der Fall, weil erst dann – fast vier Wochen nachdem die AfD ihre Vorwürfe linksextremistischer Propaganda erhoben hatte – die Schule alle Fragen beantwortete.

Rabe sieht sich danach bestätigt, aber er bemüht sich auch, nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen. „Es gab einen einzelnen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht. Das war kein Weltuntergang, aber ein Fehler“, sagte der Sozialdemokrat dem Abendblatt. Ein Schüler dürfe zum Beispiel „All cops are bastards“ (Alle Polizisten sind Bastarde) sagen. „Klebt aber dieser Sticker wochenlang im Treppenhaus der Schule, dann entsteht der Eindruck, die Schulgemeinschaft findet das gut. Und das verstößt klar gegen die Neutralitätspflicht“, so Rabe.

Doch damit nicht genug: Der Schulrat, der sich ein Bild vor Ort gemacht hatte, fand eine ganze Reihe von Aufklebern und Stickern linker und sehr linker Gruppen wie der Antifa Altona-Ost mit zum Teil gewaltverherrlichenden Bildern. „Der Schulrat fand an zahlreichen Stellen politische Plakate und Aufkleber, im Treppenhaus, im Eingangsbereich, auf den Tischen und in zwei Klassenräumen, ohne dass ein Bezug zum Unterricht erkennbar war“, sagte Rabe. „Das war ein eindeutiger Verstoß gegen die Neutralitätspflicht.“

„Unerträglich“ findet Rabe das AfD-Internetportal

Nur ein Teil des inzwischen beseitigten Materials war wohl tatsächlich für den Unterricht gedacht. Laut der Stellungnahme der Schulleitung, die auf der Website der Ida-Ehre-Schule veröffentlicht wurde, waren die Aufkleber, die auf einer Pinnwand in einem Klassenraum angebracht waren, teil des Projektvorhabens des Oberstufenprofils „Sich einmischen – Kunst als kulturelle Kompetenz“. Das Vorhaben habe Anfang Januar begonnen. „Die angedachte Vielfalt und Unterschiedlichkeit erwarteter Aushänge ist nur in geringem Maße sichtbar geworden und wäre somit auch Teil der Betrachtung im Unterricht gewesen“, schreibt die Schulleitung.

Die Schulbehörde wusste davon lange nichts. „Zunächst hatte die Schule mit keinem Wort erwähnt, dass es sich bei den Aufklebern um ein Unterrichtsprojekt handelt. Das fiel einzelnen Beteiligten erst zehn Tage später ein, als der Streit schon voll im Gange war. Im Übrigen klebten die Aufkleber monatelang in der Klasse, ohne dass ein Unterrichtsbezug erkennbar war“, so Rabe. Trotzdem kommt der Schulsenator insgesamt zu dem Ergebnis, dass die anfangs erhobenen Vorwürfe „dramatisch übertrieben“ waren. „Es gibt an der Schule keine linksradikale Unterwanderung. Die Ida-Ehre-Schule macht gute Arbeit“, sagte Rabe.

Rabe: „Neutral heißt neutral“

Die AfD-Internetplattform „Neutrale Schulen“ findet der SPD-Politiker unerträglich. „Das Denunziationsportal vergiftet das Schulklima. Es verängstigt die Lehrer, die ihre Arbeit mit großem Einsatz und viel Herzblut sehr, sehr gut machen“, sagte Rabe.

Doch in einem Punkt bleibt der Senator unerschütterlich: „Wenn die Schulbehörde eindeutige Verstöße gegen die Neutralitätspflicht ignorieren würde, könnten wir beim nächsten Mal auch keine radikal-islamischen Sticker oder Nazi-Sticker entfernen. Neutral heißt neutral und nicht halblinks-neutral oder halbrechts-neutral.“ Vielleicht hatte Rabe dabei auch seine Parteifreunde im Blick.