Hamburg. EU-Verfahren verzögert Rückkauf . Kritiker: Umweltsenator Kerstan rechnet sich CO2-Belastung aus Müllverbrennung schön.

Beim geplanten Rückkauf und dem klimafreundlichen Umbau der Fernwärmeversorgung gibt es offenbar mehr Probleme als vom rot-grünen Senat erwartet. Zum einen könnte sich die bereits für den Jahresbeginn 2019 vorgesehene Übernahme des Netzes von Vattenfall nun sogar bis in den Sommer verschieben. Zum anderen sollen die Pläne von Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) zum Umbau der Versorgung auf falschen Annahmen basieren. Dass es gelingt, das alte und klimaschädliche Kohlekraftwerk Wedel wie geplant zum Winter 2022/23 vom Netz zu nehmen, gilt mittlerweile als eher unwahrscheinlich.

Offenbar geht man im Senat inzwischen auch davon aus, dass sich der Rückkauf bis Juni hinziehen könnte. Man rechne mit dem Vollzug „im ersten Halbjahr 2019“, teilte die Finanzbehörde jetzt auf Abendblatt-Anfrage mit. Hintergrund der weiteren Verzögerung ist ein EU-Verfahren, in dem geprüft wird, ob der Kauf zu einem gegenüber einem Wertgutachten deutlich überhöhten Mindestpreis eine verbotene staatliche Beihilfe an Vattenfall darstellt.

Informelle Anfrage wird offizielles Verfahren

Der Senat wollte dies zunächst informell von der EU klären lassen. Die aber bestand nun doch auf einem förmlichen Verfahren. Der Senat hat über das Bundeswirtschaftsministerium erst am 18. Januar diese „Notifizierung“ beantragt. Das geht aus seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage des FDP-Fraktionschefs Michael Kruse hervor. Zwar rechnet der Senat mit einer EU-Entscheidung bis Ende März. Aber danach gibt es noch eine Zweimonatsfrist, in der Betroffene gegen die Entscheidung klagen können. Zudem müssen die endgültigen Verträge mit Vattenfall zur Übernahme des Netzes für insgesamt 950 Millionen Euro noch ausgearbeitet werden.

Zeitplan zur Abschaltung des Kraftwerks Wedel in Gefahr

Damit gerät auch der Zeitplan zur Abschaltung des Kohlekraftwerks Wedel ins Wanken. Denn für die Umgestaltung der Versorgung nach dem von Kerstan gewählten „Südszenario“ müssen nicht nur Anlagen südlich der Elbe gebaut und vernetzt werden. Es muss auch eine Leitung unter der Elbe verlegt werden, die die Wärme in den Hamburger Westen transportiert. „2022/23 wird der Ersatz für Wedel keinesfalls fertig sein“, sagt Gilbert Siegler, Sprecher des Hamburger Energietisches (HET). Wegen der Verzögerungen durch das EU-Verfahren könne der Senat die Pläne für die Fernwärme-Elbtrasse erst Mitte des Jahres vorlegen. Dagegen werde es Einwendungen und Klagen geben, sodass „eine endgültige bestandskräftige Planung nicht vor Anfang 2020 vorliegen wird“. Der Bau der Elbleitung werde „nach allen Erfahrungen und Auskunft von Fachleuten vier Jahre dauern“.

Siegler plädiert daher für den Bau neuer Anlagen im Norden – also für das sogenannte Nordszenario, das Kerstan bereits verworfen hat. „Baut die Umweltbehörde Anlagen im Stellinger Moor, dann geht es deutlich schneller“, so der HET-Sprecher. Auch ein anderes Argument spricht aus Sicht Sieglers und seiner Mitstreiter gegen die Pläne, die Wärme im Süden durch Industrie-Abwärme, ein neues Gas-Kraftwerk und aus der Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm (MVR) zu gewinnen: Dabei falle mehr vom Klimakiller-Gas CO2 an, als die Kerstan-Behörde zugebe. Das sieht auch die Arbeitsgruppe zum Ersatz des Kraftwerks Wedel im Energienetzbeirat so, einem Bürgerbeteiligungsgremium mit Teilnehmern aus Politik, Kammern und Verbänden.

Rechnet der Senat falsch?

Die CO2-Belastung durch die Nutzung der Müllverbrennung werde vom Senat falsch bilanziert. Es gebe zudem bei Kerstans Umbauplänen auch andere „beträchtliche Unsicherheiten“, heißt es in einem Papier der Arbeitsgruppe, das dem Abendblatt vorliegt. So gebe es bisher keine vertragliche Absicherung der Abwärmelieferung durch Industrieunternehmen. Der unterirdische Wärmespeicher (Aquifer) sei am Standort Dradenau „nicht sinnvoll“, es gebe keine Wirtschaftlichkeitsberechnungen der einzelnen Module zur Wärmeproduktion und Speicherung – und es sei unklar, ob Vattenfall seine 55 Prozent Anteile an der MVR überhaupt verkaufe.

Auch der Umweltverband BUND sieht Probleme. „Die CO2-Bilanzierung in Bezug auf die Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm sehen wir durchaus kritisch, sie muss noch einmal überprüft werden“, so BUND-Chef Manfred Braasch. Die Verzögerungen durch das EU-Verfahren, auf das Vattenfall gedrängt habe, sei „ärgerlich und rückt die Abschaltung des veralteten Kohlekraftwerkes nach hinten“.

Behörde weist „Einzelmeinungen“ zurück

FDP-Fraktionschef Michael Kruse sieht die Verantwortung beim Senat. „Das Getrödel des Umweltsenators erweckt den Eindruck, als wolle er das Fernwärmenetz gar nicht zurückkaufen“, so Kruse. „Es ist etwas faul, wenn Kerstan erst Mitte Januar den Antrag zur Genehmigung bei der EU einreicht. Für den Ersatz des Kraftwerks Wedel bedeutet das weitere Verzögerungen, was für die Umwelt schlecht ist.“

In Kerstans Umweltbehörde will man davon nichts wissen. „Der Zeitplan für die Wedel-Abschaltung bleibt unverändert“, sagte Behördensprecher Jan Dube. Das kritische Papier der Arbeitsgruppe zu CO2-Bilanzierung und Südszenario liefere „nur hinlänglich bekannte Argumente“, so Dube. „Im Kern geht es um einen viele Jahre alten Dissens innerhalb der Wissenschaft. Diverse Punkte in dem Papier sind sachlich überholt oder geben Einzelmeinungen wieder.“ Dessen kritische Positionen würden „von vielen Akteuren der Umweltszene nicht geteilt“.