Hamburg. Unabhängige Diätenkommission der Bürgerschaft schlägt Erhöhung des Abgeordnetenentgelts um 30 Prozent vor. Das kann sie gut begründen.

Der historische Durchbruch kam vor ziemlich genau 100 Jahren. Die erste demokratisch gewählte Bürgerschaft verabschiedete am 26. März 1919 das „Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt“. Zum ersten Mal war die Hamburger Volksvertretung ein souveränes Parlament, das die Senatoren wählte und den Senat kontrollierte. In dem Gesetz findet sich ein kleiner, für die Abgeordneten aber bedeutsamer Zusatz: „Inwieweit eine Aufwandsentschädigung (für die Abgeordneten, die Red.) gewährt werden soll, wird durch ein besonderes Gesetz bestimmt.“

Auch das war ein revolutionärer Schritt, galt doch die Ausübung des Mandats über Jahrhunderte der Stadtgeschichte als Ehrensache. „Die Mitglieder der Bürgerschaft verwalten ihr Amt unentgeltlich“, heißt es kurz und bündig in Paragraf 44 der bis 1918 gültigen Hamburgischen Verfassung von 1879. Man musste sich die politische Betätigung eben leisten können. Das war wenigstens ehrlich angesichts eines Zensus- und Klassenwahlrechts, das weite Teile der Bevölkerung ohnehin von der Mandatsausübung und damit der politischen Teilhabe ausschloss.

Erst seit 1997 ist die Bürgerschaft ein Teilzeitparlament

Am 7. März 1923 beschloss die Bürgerschaft schließlich, eine Art von Diäten einzuführen. Die Aufwandsentschädigung wurde auf zwölf Goldmark pro Monat festgesetzt. Der Präsident der Bürgerschaft erhielt das Vierfache, die Vizepräsidenten 24 Goldmark. Im Großen und Ganzen blieb es dabei, jedenfalls in demokratischen Zeiten, bis 1997 (wenn auch natürlich nicht in Goldmark gezahlt wurde): Die Bürgerschaft war damit das letzte Feierabendparlament, die Mandatsausübung laut Verfassung ehrenamtlich. Deswegen hießen die Diäten auch nicht Diäten, sondern etwas verschämt Aufwandsentschädigung. Erst seit 1997 ist die Bürgerschaft offiziell ein Teilzeitparlament. Seit dem 1. Januar beträgt das an die allgemeine Preisentwicklung angepasste, monatliche Abgeordnetenentgelt, wie es jetzt offiziell heißt, 2907 Euro – steuerpflichtig.

Doch rechtlicher Status und Arbeitswirklichkeit klaffen immer weiter aus­ein­ander: Ende Oktober des vergangenen Jahres sorgte die Grünen-Abgeordnete Stefanie von Berg mit der Begründung für die Niederlegung ihres Mandats für Aufsehen. „Ich kann den Beruf und die politische Arbeit nicht mehr unter einen Hut bringen“, sagte von Berg dem Abendblatt. Trotz der Verringerung ihrer beruflichen Arbeitszeit auf 75 Prozent – von Berg ist Leiterin des Studienseminars Stade für das Lehramt an berufsbildenden Schulen – kam sie mit der Politik zusammen auf 60 bis 80 Arbeitsstunden pro Woche. Die Pädagogin hatte die Doppelbelastung lange geschultert – nicht zuletzt auch mit erheblichen Einschränkungen für ihre Familie.

Arbeitsaufwand erhöhte sich

Doch schon vorher wurde darüber diskutiert, ob die 121 Abgeordneten angesichts der Fülle und Vielfalt der Themen ihrer vornehmsten Aufgabe – der Kon­trolle der Exekutive, also des Senats und der öffentlichen Verwaltung – eigentlich noch wirksam nachkommen können. Vor acht Jahren sind Wahlkreise eingeführt worden, was – wie gewünscht – zu einer stärkeren Präsenz der Abgeordneten vor Ort geführt hat, aber auch den Arbeitsaufwand erhöht hat. Die Zahl der (zu lesenden und bewertenden) Bürgerschaftsdrucksachen hat sich zudem in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Die Themen sind komplexer geworden, und die Bürgerschaft muss in stärkerem Maße EU-Recht auf Landesebene umsetzen. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass die wöchentliche Arbeitszeit der Abgeordneten zwischen 60 und 80 Stunden liegt.

Bereits Ende 2017 hatte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) die unabhängige Diätenkommission des Parlaments gebeten, angesichts der veränderten Rahmenbedingungen Vorschläge für eine Weiterentwicklung der Diätenregelung zu machen. Die fünfköpfige Kommission hat nun geliefert und ihre Vorschläge am Freitag im Rathaus vorgestellt. Die Abgeordneten sollen sich danach an den Kollegen des Berliner Abgeordnetenhauses orientieren, deren Diäten sich auf 3840 Euro pro Monat belaufen. Das wären gut 900 Euro oder 32 Prozent mehr für die Hiesigen.

„Hamburg hat bundesweit die rote Laterne bei den Diäten. Mit unserem Vorschlag würde die Bürgerschaft zum Vorletzten unter den 16 Ländern, Berlin, aufschließen“, sagte Kommissionsmitglied und Ex-Abgeordnete Gesine Dräger (SPD). Zudem regt die Kommission an, die Kostenpauschale von 390 Euro für Abgeordnete moderat anzuheben und die Kinderbetreuung mit einer Pauschale finanziell zu unterstützen.

„Ohne einen Systemwechsel zum Vollzeit-Parlament ist eine substanzielle Verbesserung der finanziellen Ausstattung der Abgeordneten der einzige Weg, den Mitgliedern die erforderlichen Ressourcen an die Hand zu geben, um das Privatleben und den Berufsalltag zugunsten der parlamentarischen Arbeit zu entlasten“, schreibt die Kommission.

Eine Einigung über die Erhöhung wird schwierig

„Das ist ein pragmatischer Vorschlag, der auf die jetzige Problemlage eingeht und den Wünschen, Bedarfen und Hoffnungen vieler Abgeordneter entgegenkommt“, sagte Veit. Die Präsidentin will nun mit den sechs Fraktionen im Ältestenrat der Bürgerschaft das weitere Vorgehen beraten. „Wir sollten jetzt zügig weitermachen. Eine Entscheidung über eine Erhöhung der Diäten sollte aber in jedem Fall erst in der nächsten Legislaturperiode wirksam werden“, sagte die Präsidentin.

Die Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen dürfte schwierig werden. Zwar sehen alle Fraktionen akuten Handlungsbedarf angesichts der gestiegenen Arbeitsbelastung, aber bei den Wegen gehen die Meinungen auseinander. Für Missstimmung aufseiten der Fraktionschefs sorgte schon am Freitag zusätzlich, dass sie zeitgleich mit den Medien und nicht vorab über die Kommissionsvorschläge informiert wurden.

Die meisten Fraktionen halten ein Plus für richtig

Die Grünen sind klar für ein Vollzeitparlament und schlagen eine Enquetekommission für die nächste Legislaturperiode vor. Unterstützung finden sie bei der Linken, und auch CDU-Fraktionschef André Trepoll kann sich vorstellen, diesen Weg einzuschlagen. Trotzdem werden die Abgeordneten über die Erhöhung der Diäten um 30 Prozent diskutieren. Die meisten Fraktionen halten ein Plus für richtig, ohne sich in der Höhe festzulegen. Nur die AfD sieht das als falschen Weg an und schlägt stattdessen eine deutliche Erhöhung der Pauschale für die Abgeordneten-Mitarbeiter von 3000 Euro vor.

Viel Zeit bleibt nicht: Die nächste Bürgerschaft wird in gut einem Jahr gewählt. Und in Hamburg ist jede substanzielle Änderung des Abgeordnetenstatus heikel. Noch immer wirkt der Diätenskandal von Anfang der 90er-Jahre hemmend nach. Damals hatten SPD und CDU versucht, die Entgelte für den Präsidenten und die Fraktionschefs massiv zu erhöhen und ihnen eine sehr großzügige Pensionsregelung zuzusprechen. Letztlich stoppte der Senat das Vorhaben. Gegenüber dem damaligen Plan ist diese Diätenerhöhung allerdings gut begründet und durchaus nachvollziehbar.