Hamburg. Die Bürgerschaft soll sich an Berliner Landesparlament orientieren. Die Reaktionen der Parteien sind gespalten.
Die 121 Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten sollen deutlich mehr Geld bekommen. Das ist jedenfalls der Vorschlag der unabhängigen Diäten-Kommission, die die Bürgerschaft eingesetzt hatte. Die fünf Experten regen an, dass sich Hamburg beim Abgeordnetenentgelt an Berlin orientiert.
Die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses erhalten 3840 Euro pro Monat. Das würde für die Bürgerschaftsabgeordneten, die derzeit 2907 Euro erhalten, ein Plus von gut 900 Euro oder 32 Prozent bedeuten. Begründet wird die Erhöhung mit der deutlich gestiegenen Arbeitsbelastung der Abgeordneten.
Trotz höherer Diäten nur Vorletzter in Ländervergleich
„Hamburg hat bundesweit die rote Laterne bei den Diäten. Mit unserem Vorschlag würde die Bürgerschaft zum Vorletzten unter den 16 Ländern aufschließen“, sagte Kommissionsmitglied Gesine Dräger, eine frühere SPD-Bürgerschaftsabgeordnete. „Bei der Arbeit der Abgeordneten hat sich viel verändert“, so Dräger.
Allein die Zahl der Drucksachen habe sich während der vergangenen zehn Jahre verdoppelt. Hinzu komme die Einführung von Wahlkreisen mit einer stärkeren Beanspruchung der Mandatsträger vor Ort, die zunehmende Komplexität der Themen, die Umsetzung von EU-Recht auf Landesebene und eine große Zahl von Ausschüssen.
Arbeitszeit pro Woche: 60 bis 80 Stunden
„Abgeordnete müssen heute sofort auf aktuelle Ereignisse reagieren, was im Grunde eine ständige Erreichbarkeit voraussetzt“, sagte der frühere CDU-Fraktionschef Bernd Reinert, der der Kommission ebenfalls angehört. Eine eigene Homepage und Social-Media-Auftritte seien selbstverständlicher Teil der Arbeit.
Aktuelle Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die wöchentliche Arbeitszeit der Abgeordneten zwischen 60 und 80 Stunden liegt, obwohl die Bürgerschaft qua Verfassung ein Teilzeitparlament ist. „Für die Abgeordneten bedeutet das einen Spagat, der nur auf Kosten der Gesundheit, der Familie oder des beruflichen Engagements hinzubekommen ist“, sagte Dräger.
Erster Schritt zum Vollzeitparlament
„Die Verbesserung der finanziellen Ausstattung ist außer dem Schritt zu einem Vollzeitparlament der einzige Weg, um der veränderten Situation gerecht zu werden.“ Es sei jedoch nicht der Auftrag der Kommission gewesen, sich Gedanken über die Frage eines Berufsparlaments zu machen.
„Das ist ein pragmatischer Vorschlag, der auf die jetzige Problemlage eingeht und den Wünschen, Bedarfen und Hoffnungen vieler Abgeordneter entgegenkommt“, sagte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD), die die Empfehlungen der Kommission entgegennahm. Die deutliche Erhöhung der Diäten könne ein erster Schritt auf dem Weg zu einem Vollzeitparlament sein.
Erhöhung erst in nächster Legislatur wirksam
Abgeordnete aus allen Fraktionen hätten ihr geschildert, dass sie unter den gegenwärtigen Bedingungen ihr Mandat nach der Bürgerschaftswahl kaum mehr ausüben könnten. „Viele Kollegen sagen, sie würden ihre berufliche Arbeitszeit gern reduzieren, um sich mehr auf die Mandatsausübung zu konzentrieren, könnten sich das aber finanziell nicht leisten“, sagte Veit.
Die SPD-Politikerin will über das weitere Vorgehen mit den sechs Fraktionen im Ältestenrat der Bürgerschaft beraten. „Wir sollten jetzt zügig weitermachen. Eine Entscheidung über eine Erhöhung der Diäten sollte aber in jedem Fall erst in der nächsten Legislaturperiode wirksam werden“, sagte die Präsidentin. Die Bürgerschaft ist frei in ihrer Entscheidung, ob sie den Vorschlag zur Diätenerhöhung übernimmt, abändert oder fallen lässt.
Und was sagen die Fraktionen? Hier die Reaktionen auf den Vorschlag der Kommission:
FDP: Anpassung ist richtig
Die Vorsitzende der FDP-Bürgerschaftsfraktion Anna von Treuenfels-Frowein: „Eine Anpassung der Abgeordneten-Diäten ist richtig, ebenso eine Pauschale für Kinderbetreuung. Damit hätten Abgeordnete mehr Möglichkeiten, sich beruflichen Freiraum zu schaffen oder Kinderbetreuung zu organisieren. Darüber hinaus müssen sich ganz praktische Dinge ändern. Die gestiegene Arbeitsbelastung hat auch damit zu tun, dass sich die Bürgerschaft 25 Ausschüsse und Unterausschüsse leistet. So viel wie das größte deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen. Durch Zusammenlegungen passender Themenbereiche können schlankere Strukturen geschaffen werden. Außerdem fordern wir einen Wissenschaftlichen Dienst der Bürgerschaft, der es den Abgeordneten ermöglicht, bei komplexen Fragestellungen auf Augenhöhe mit dem Senat zu arbeiten.“
Linke: Es gibt Diskussionsbedarf
Die Fraktionsvorsitzenden Sabine Boeddinghaus und Cansu Özdemir: „Das neue parlamentarische Jahr fängt für uns mit einer Überraschung an: Dass die Diätenkommission ihre Vorschläge zur Stärkung der Abgeordnetentätigkeit vorlegt, ist gut. Dass sie aber zuerst der Presse und der Öffentlichkeit vorgelegt werden und nicht den betroffenen Fraktionen, ist immerhin ein erstaunliches Vorgehen. Inhaltlich können wir vielen Aussagen der Kommission zustimmen, die richtig herausgearbeitet hat, wie komplex und zeitlich fordernd die Arbeit der Abgeordneten geworden ist. Mit den konkreten Vorschlägen, etwa zur Erhöhung der Diät und Kostenpauschale, werden wir uns natürlich in Fraktion und Partei sorgsam auseinandersetzen. Grundsätzlich sehen wir einen breiten Diskussionsbedarf über die Aufstellung des Parlaments und können uns deshalb die Einrichtung einer Enquete-Kommission dazu in der nächsten Legislaturperiode gut vorstellen.“
CDU: Vorschläge werden geprüft
Fraktionschef André Trepoll: „Ich danke der Diätenkommission für ihre Arbeit. Ihre Forderungen tragen der gestiegenen Belastung für die Hamburger Abgeordneten Rechnung. Durch die Einführung der Wahlkreise nehmen alle Abgeordneten deutlich mehr Termine vor Ort wahr. Dies ist wichtig, um in allen Stadtteilen für die Hamburgerinnen und Hamburger ansprechbar zu sein. Zusätzlich einem regulären Job nachzugehen, wird dadurch aber fast unmöglich. Auch die moderne Öffentlichkeitsarbeit durch Social Media und andere Onlinemedien erfordert eine nahezu durchgehende Verfügbarkeit und schnelle Reaktionsgeschwindigkeit der Abgeordneten, die von den Bürgern auch erwartet wird. Die Rolle der Hamburgischen Bürgerschaft hat sich also gewandelt, ohne dass je die Rahmenbedingungen für die Abgeordneten angepasst wurden. Wir werden deshalb nun im offenen Dialog mit den anderen Fraktionen prüfen, ob die Vorschläge umsetzbar sind.“
Grüne: Wir sind ein Vollzeitparlament
Fraktionschef Anjes Tjarks: „Meine Position und die der Grünen ist klar: Wir sind für ein Vollzeitparlament. Es war zwar nicht der Auftrag der Diätenkommission, sich darüber Gedanken zu machen, aber man kann zwischen den Zeilen der Empfehlungen durchaus lesen, dass man darüber diskutieren muss. Die nächste Bürgerschaft sollte eine Enquete-Kommission zu dem Thema einrichten. Alle Änderungen sollten dann von der übernächsten Legislaturperiode an gelten. Trotzdem gibt es auch jetzt Handlungsbedarf angesichts der gewachsenen Aufgaben der Abgeordneten. Wir sollten jetzt beraten, wie wir damit umgehen.“
AfD: Politik des Geldes wegen ist falsch
Detlef Ehlebracht, Vizepräsident der Hamburgischen Bürgerschaft und Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion: „Die Vorarbeit der Kommission ist dankenswert, aber ihre Schlussfolgerung sind innerhalb der AfD-Fraktion nicht unumstritten. Das Teilzeitparlament der Bürgerschaft musste von jeher so viel leisten wie die Vollzeitparlamente. Da hat sich nichts geändert. Zugenommen hat sicherlich neben der Anzahl der Fraktionen die Komplexität der Anforderungen. Grundsätzlich aber gilt: Niemand hat gesagt, dass Politik eine einfache Sache ist. Ein jeder darf zu Recht erwarten, dass sich ein Politiker hinsichtlich der Arbeitsbelastung im Grenzbereich bewegt. Dies ist kein ‚Job‘ wie jeder andere. Darüber hinaus darf Geld, also die Aufwandsentschädigung, kein Anreiz darstellen ein politisches Amt auszuüben. In diesem Lichte ist die Textpassage „…eine substantielle Verbesserung der finanziellen Ausstattung der Abgeordneten ist der einzige Weg, den Mitgliedern die erforderlichen Ressourcen an die Hand zu geben, um das Privatleben und den Berufsalltag zugunsten der parlamentarischen Tätigkeit zu entlasten“ einfach falsch. Ich bekomme durch mehr Geld nicht eine Stunde mehr private Zeit. Ferner impliziert der Satz, dass ich die erhöhte Aufwandsentschädigung als Mittel einsetze um Entlastung zu schaffen. Also private Mittel zum Beispiel für die Bezahlung von Personal einsetze. Nicht zuletzt deswegen stellt sich für die AfD-Fraktion, entgegen der Empfehlung der Kommission, sehr wohl die Frage, ob nicht gleich eine beträchtliche Erhöhung der Kostenpauschale für Mitarbeiter ein geeignetes Mittel wäre um auf die Veränderungen zu reagieren. Diese müsste derart ausfallen, dass die Bezahlung einer sehr gut qualifizierten Fachkraft, einer Bürokraft und einer Teilzeitkraft möglich wäre. Eine Erhöhung der Aufwandsentschädigung der Hamburger Abgeordneten um gut 30 Prozent wäre dann nicht mehr nötig. Zu guter Letzt könnte als Gegenfinanzierung eine Verkleinerung der Bürgerschaft auf unter 100 Abgeordnete debattiert werden. Aber welche Entscheidung getroffen wird, sie darf frühestens in der 22. Legislaturperiode zum Tragen kommen. Damit wäre zu einem großen Teil gewährleistet, dass die Entscheider noch nicht in den Genuss einer von ihnen beschlossenen Verbesserung kommen.“
SPD: Wir sehen Handlungsbedarf
Dirk Kienscherf, Vorsitzender der Bürgerschaftsfraktion: „Wir werden die Vorschläge der Diätenkommission prüfen und gemeinsam mit den anderen Fraktionen einen Beschlussvorschlag erarbeiten. Auf Grund der kontinuierlich zunehmenden Arbeitsbelastung im Parlament, sehen wir Handlungsbedarf. Die Vereinbarkeit von Mandat, Familie und Beruf ist dabei auch ein wichtiges Thema.“