Hamburg. Fraktionschef Kruse spricht von “Katastrophe“, Vorsitzender Nockemann von “Fehler“. Grüne sehen auch Hamburgs AfD “extrem rechts“.
Die Führung der Hamburger AfD-Fraktion ist am Montag auf Distanz zum eigenen Bundesvorsitzenden Alexander Gauland, gegangenen. Dieser hatte bei einer Veranstaltung der AfD-Jugendorganisation gesagt: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“ Damit hatte er in der Wahrnehmung vieler Menschen Holocaust und Zweiten Weltkrieg relativiert.
„Diese Aussage ist eine Katastrophe“, sagte der Hamburger AfD-Fraktionsvorsitzende Jörn Kruse dem Abendblatt am Montag. „Ich bin fassungslos.“ Das Entsetzen über die Gauland-Äußerung habe er auch bei anderen Teilnehmern einer aktuellen Tagung von AfD-Wirtschaftspolitikern wahrgenommen, sagte Kruse. Der zweite Fraktionschef der Hamburger AfD, Alexander Wolf, hielt sich dagegen mit Kritik an dem impliziten Vergleich des Massenmords an Juden und dem Vernichtungskrieg auffällig zurück. Er äußerte sich selbst nicht, sondern verwies auf eine Stellungnahme Gaulands und des AfD-Landesvorsitzenden Dirk Nockemann.
Nockemann hatte dem Radiosender NDR 90,3 gesagt: „Die Nazi-Terrorherrschaft mit zirka sechs Millionen ermordeten Juden und zirka 60 Millionen Menschen, die durch direkte Kriegseinwirkung getötet wurden, war so unfassbar grausam und so verbrecherisch, dass sich jedes Spiel mit doppeldeutigen Formulierungen verbietet.“ Wer versuche, „zwölf Jahre ins Verhältnis von 1000 Jahren zu setzen, macht angesichts der historischen Dimension dieser Verbrechen einen Fehler“, so Nockemann. „Trotz des Zivilisationsbruchs dieser zwölf Jahre dürfen deutsche Kultur und Geschichte nicht auf diesen Zeitraum reduziert werden. Vielmehr darf Deutschland auf einen Großteil seiner Kultur und Geschichte stolz sein – so wie das auch andere Länder dürfen.“
CDU: Gauland "nicht auf dem Boden des Grundgesetzes"
Unter den anderen Bürgerschaftsfraktionen wird derweil der Ruf nach deutlicher Distanzierung aller AfD-Abgeordneten und Konsequenzen im Umgang mit der AfD in der Bürgerschaft laut. „Die Aussage Alexander Gaulands zeigt, wie es um das Demokratieverständnis in der AfD bestellt ist“, sagte SPD-Innenpolitiker Sören Schumacher dem Abendblatt. „Demokratische Parteien verbindet der unausgesprochene Konsens, die nationalsozialistischen Verbrechen weder zu relativieren noch zu verharmlosen. Die getätigte Äußerung ist ein weiterer kalkulierter Tabu-Bruch, der offenlegt, dass rechtsradikale Positionen in der AfD salonfähig sind.“
Noch deutlicher wurde CDU-Innenpolitiker Dennis Gladiator. „Wer die NS-Zeit und ihre menschenverachtenden Verbrechen als ‚Vogelschiss der Geschichte‘ bezeichnet, steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes“, sagte der CDU-Abgeordnete. „Millionen von Menschen wurden in dieser Zeit nur wegen ihrer religiösen Zugehörigkeit, sexuellen Orientierung oder einer Behinderung ermordet. Dies steht diametral allen freiheitlichen Grundwerten entgegen, für die wir Demokraten nun seit über 70 Jahren leidenschaftlich kämpfen.“
Gladiator fordert, jeder einzelne AfD-Abgeordnete müsse sich „klar von solchen Äußerungen distanzieren“. Wer vorgebe, für den Rechtsstaat einzutreten, müsse ihn verinnerlicht haben und selbst leben. „Wir sind sensibilisiert und entschlossen, solche Angriffe auf den demokratischen Grundkonsens in unserer liberalen und weltoffenen Stadt Hamburg niemals zu tolerieren“, so Gladiator.
Grünen-Fraktionschef: „Auch die Hamburger AfD steht extrem rechts“
Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks sagte, auch die Hamburger AfD stehe „extrem rechts“, wie sie „immer wieder bewiesen“ habe. „Wer einen Abgeordneten in seinen Reihen hat, der Lieder der Hitler-Jugend verlegt, wer meint, das Kriegsende am 8. Mai sei nicht positiv besetzt, der zeigt, wie er tickt“, so Tjarks mit Blick auf den AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Wolf. Dieser gilt als weit rechts stehend. Wie berichtet ist er Mitglied der vom Verfassungsschutz beobachteten Burschenschaft Danubia und war Mitglied der Republikaner. Der Jurist war auch mit der Familie des DVU-Gründers Gerhard Frey gut bekannt und erhielt nach dessen Tod Freys Pistole des Typs Sig Sauer P228 zum Andenken.
„Dass die AfD nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in Hamburg ein internes Problem mit sehr rechten Leuten hat, ist schon länger klar“, so Tjarks. „Wenn jetzt aber der AfD-Bundesvorsitzende den Holocaust, den Mord an Millionen von Menschen, als Kleinigkeit aus der deutschen Geschichte wischt, dann ist die Grenze jeder Erträglichkeit gesprengt.“
Linke fordert "Ächtung" Gaulands und der AfD
Linken-Innenpolitikerin Christiane Schneider sagte: „Die Verharmlosung des Holocaust ist fast noch schlimmer als seine Leugnung. Die Konsequenz aus dieser erneuten Grenzüberschreitung kann nur die absolute Ächtung von Herrn Gauland und der AfD sein, auch in der Hamburgischen Bürgerschaft.“
Die FDP-Fraktionsvorsitzenden Michael Kruse und Anna von Treuenfels-Frowein warfen der AfD vor, sie spiele ihr altbekanntes Spiel „Provozieren und anschließend relativieren“. Der Versuch und die Art der Relativierung zeigten jedoch, wes Geistes Kind die AfD sei. „Wir freie Demokraten werden den Rechtspopulisten nicht das Feld überlassen, sondern Probleme und Herausforderungen offen benennen und Lösungswege aufzeigen.“