Hamburg. Dirk Kienscherf war nach dem Rückzug von Milan Pein einziger Kandidat. Doch er bekam nicht alle Stimmen der SPD-Fraktion.
Um 18.18 Uhr brandete Beifall in Raum 151 des Rathauses auf, nicht stürmisch, aber doch kräftig: Die kommissarische SPD-Fraktionschefin Ksenija Bekeris hatte das Ergebnis für die Wahl des neuen Fraktionsvorsitzenden und Nachfolgers von Andreas Dressel bekannt gegeben. 49 SPD-Abgeordnete stimmten für den bisherigen parlamentarischen Geschäftsführer Dirk Kienscherf, fünf mit Nein und vier enthielten sich. Einer fehlte.
Eine Zustimmung von 84,5 Prozent sind nach dem dramatischen Vorlauf – der Eimsbütteler SPD-Vorsitzende Milan Pein hatte seine Gegenkandidatur erst am Freitag zurückgezogen – ein nach Einschätzung vieler Abgeordneter sehr ordentliches Ergebnis. „Das ist ein gutes Ergebnis und zugleich ein Ansporn für die kommenden zwei Jahre“, sagte Kienscherf nach seiner Wahl.
Milan Pein: Rückzug war persönliche Entscheidung
Der 52 Jahre alte Bau- und Stadtentwicklungsexperte gehört der Bürgerschaft seit 2001 an. Als parlamentarischer Geschäftsführer – das Amt hatte er seit 2011 inne – bekleidete er bislang bereits den zweitwichtigsten Posten in der Fraktion und nahm regelmäßig an den Senatsvorbesprechungen teil.
In der rund einstündigen Aussprache vor der Wahl erläuterte Milan Pein noch einmal die Gründe für seinen, auch für viele Parteifreunde überraschenden Rückzug. Pein betonte, dass es sich um seine persönliche Entscheidung gehandelt habe und er damit ein Zeichen für die Geschlossenheit der Fraktion setzen wolle.
In den zurückliegenden Wochen hatte es zunehmend so ausgesehen, dass die SPD in alte Konfliktmuster zurückfällt. Kienscherf gehört als Vorsitzender des SPD-Distrikts Hamm-Borgfelde der SPD Hamburg-Mitte an, die im Mitte-Rechts-Lager der SPD verankert ist. Der Eimsbütteler Pein hingegen wird der Parteilinken zugerechnet. Zwar ging es in der Auseinandersetzung nicht um inhaltliche Differenzen, aber die Debatte verlief entlang der alten Flügelgrenzen und wurde mit fast nicht mehr bekannter Unerbittlichkeit geführt.
Entsprechend groß war das Bemühen etlicher Abgeordneter in ihren Redebeiträgen während der Fraktionssitzung, die aufgeworfenen Gräben zuzuschütten. Kienscherf zeigte sich angesichts seines Wahlergebnisses zuversichtlich. „Wir werden Hamburg mit großer Geschlossenheit und im engen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern weiter voranbringen, die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den rot-grünen Regierungsfraktionen und dem Senat ist dafür die beste Voraussetzung. Wir wollen eine Stadt der Chancen und Perspektiven für alle sein, dafür werde ich mich gemeinsam mit den 58 weiteren Abgeordneten meiner Fraktion mit ganzer Kraft einsetzen“, sagte deren neuer Vorsitzender.
Suche nach Führungspersonal mit chaotischen Zügen
Mit der Wahl des neuen Fraktionschefs hat die SPD die letzte der wichtigen Personalentscheidungen getroffen, die sich aus dem Weggang von Olaf Scholz nach Berlin als Bundesfinanzminister ergaben. Die Suche nach geeigneten Kandidaten für das neue Führungsteam der SPD in Senat, Bürgerschaft und Partei hatte zum Teil chaotische Züge angenommen. Erst nach langen Querelen und nachdem Andreas Dressel völlig überraschend verzichtet hatte, war Ex-Finanzsenator Peter Tschentscher als neuer Erster Bürgermeister nominiert worden. Sozialsenatorin Melanie Leonhard ist Nachfolgerin von Scholz als Parteichefin und Dressel als Finanzsenator Nachfolger von Tschentscher.
Kienscherf dankte seinem Amtsvorgänger Andreas Dressel „für seine großartige Arbeit in den vergangenen sieben Jahren“. Einen neuen parlamentarischen Geschäftsführer wollen die SPD-Abgeordneten voraussichtlich in zwei Wochen wählen. Pein, der auch Vorsitzender des G20-Sonderausschusses der Bürgerschaft ist, hat bereits erklärt, für keinen Spitzenposten in der Fraktion kandidieren zu wollen.
Das "A-Team" von Tjarks und Dressel ist Geschichte
Eine kleine Runde führender Sozialdemokraten hatte das Personaltableau schließlich vor vier Wochen entworfen und im selben Atemzug Milan Pein als neuen Fraktionschef vorgeschlagen. In diesem Punkt hat die Fraktion mit der Wahl von Kienscherf nun den Planungen von Scholz, Leonhard, Tschentscher, Dressel und anderen einen Strich durch die Rechnung gemacht.
„Ich gratuliere Dirk Kienscherf zur Wahl. Ich werde mit ihm ebenso vertrauensvoll und konstruktiv zusammenarbeiten wie mit seinem Vorgänger Andreas Dressel“, sagte Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks in einer ersten Stellungnahme. Oberstes Ziel sei es, die rot-grüne Koalition auf Fraktionsebene „weiterhin lösungsorientiert und dialogstark“ zu halten. „Nachdem die Mannschaft jetzt wieder komplett und sortiert ist, werden wir weiter hart an den wichtigsten Themen der Stadt arbeiten: bezahlbare Wohnungen, Lebensqualität, Verbesserung des ÖPNV, Fahrradstadt, Ausbau Hamburgs zur Metropole des Wissens sowie ein enger Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern“, sagte Tjarks, der mit Dressel besonders eng zusammengearbeitet hatte.