Hamburg. Hamburgs Umweltsenator kämpft an vielen Fronten: Gegen Neubauten im Grünen, gegen Dieselautos und manchmal gegen den Bürgermeister.
Luftbelastung, Fahrverbote, Tempolimits, Fernwärmekonzept und eine neues Sauberkeitskonzept mit einer zusätzlichen Gebühr für alle Hamburger – kaum ein Senator arbeitet an so vielen politischen Großbaustellen wie der grüne Umweltsenator Jens Kerstan. Und niemand legt sich so oft mit dem SPD-Bürgermeister an. Im Abendblatt-Interview spricht der 51-Jährige über Grünerhalt trotz Baubooms, Diesel-Skandal und Mobilität der Zukunft – und er plädiert für mehr Bescheidenheit bei der Betrachtung der eigenen Stadt.
Herr Senator, Sie humpeln derzeit durch die Hamburger Politik. Was ist passiert?
Jens Kerstan: Ich bin beim Joggen im Sommerurlaub auf Mallorca umgeknickt und habe nun einen Bänderriss im linken Fuß. Das heißt: Ich muss für sechs Wochen eine Schiene tragen.
Das hindert Sie aber nicht daran, sich gerade mit allen Hamburgern anzulegen – weil sie uns allen eine neue Reinigungsgebühr abknöpfen wollen. Das macht die ohnedies hohen Wohnkosten teurer. Wie lässt sich das in Zeiten prallvoller Kassen vertreten?
Kerstan: Ich will mich mit niemandem anlegen, sondern ein Problem lösen. Wir wollen, dass die Stadt endlich sauberer und lebenswerter wird. Das wünschen sich die Hamburger seit langer Zeit. Bisher gab es dafür zu wenig Geld. Wir packen das nun an. Die Gebühr ist ja nur ein Baustein des Gesamtkonzepts, bei dem die Stadtreinigung nun die bisher aufgeteilte Gesamtverantwortung bekommt. Es werden mehr als 400 neue Mitarbeiter eingestellt, und es fließt auch weiteres Steuergeld in das Konzept. Gebühren stellen sicher, dass die Reinigung auch bei schlechterer Konjunktur klappt. Für einen normalen Mieter wird die Gebühr in einem kleinen einstelligen Eurobereich pro Monat liegen und bei den Wohnkosten kaum ins Gewicht fallen.
Sie erheben eine Gebühr für Straßenreinigung, es geht aber um die Pflege der Parks und Plätze. Hört sich nach Zweckentfremdung von Gebühren an.
Kerstan: Nein. Die Menschen bekommen mit der Gebühr ja einen Anspruch auf die Reinigung der Straße vor ihrer Haustür. Die Stadtreinigung bekommt außerdem zusätzliche Mittel aus Steuern und wendet eigenes Geld für die Offensive auf. Es gibt keine Zweckentfremdung.
Wer in der City wohnt, muss mehr zahlen, weil Touristen und Partygäste seine Straße zumüllen – und die dann zweimal wöchentlich gereinigt wird. Ist das gerecht?
Kerstan: In solchen Gegenden gibt es ja in der Regel keine Einzelhausbebauung, deswegen ist die Belastung für den einzelnen nicht so hoch wie anderswo. Nach großen Events reinigt die Stadtreinigung ganz unabhängig von der Gebühr ohnehin mit großem Aufwand.
Die Verursacher der Vermüllung kommen davon, der Anwohner zahlt?
Kerstan: Wir stocken die Waste-Watcher auf, die als schnelle Eingreiftruppe Vermüllung beseitigen. Diese können künftig auch hohe Bußgelder verhängen – bis zu 8000 Euro. Aber wir wollen und können nicht, wie in Singapur, hinter quasi jeden Baum einen Müllpolizisten stellen.
Von der sauberen Stadt zur schmutzigen Luft: Neue Urteile fordern die Einhaltung der Stickoxid-Grenzwerte ab 2018. In Ihrem Luftreinhalteplan wird das erst 2025 passieren. Haben Sie Klagen eingeplant?
Kerstan: Bisher gibt es keine.
BUND-Chef Manfred Braasch war womöglich länger im Urlaub.
Kerstan: Der sei ihm gegönnt. Aber im Ernst: Ich glaube nicht, dass Klagen bei uns ein Selbstläufer wären. Wir haben als erste Stadt in Deutschland einen sorgfältig durchgerechneten Luftreinhalteplan mit exakten Berechnungen vorgelegt. Wir haben das getan, was das Verwaltungsgericht von uns verlangt hat. Bei einem neuen Verfahren müsste das Gericht uns relativ genau sagen, was wir wo anders machen sollten. Unsere Maßnahmen sind durchaus weitgehend. Ich bin der erste Umweltminister, der auch Fahrbeschränkungen verhängt hat.
Ja, an zwei Straßen lassen sie künftig die Messstationen umfahren.
Kerstan: Natürlich geht es auch darum, wie sich die Belastung verteilt. Die konsequenteste Lösung wäre eine blaue Plakette – die von allen 16 Landesministern und der Bundesumweltministerin befürwortet wird. Diese Plakette würde es uns ermöglichen, die Stickoxidbelastung durch Diesel in ganzen Zonen deutlich zu senken. Aber dieses Instrument verweigert uns die große Koalition.
Ab wann gelten die Durchfahrverbote an Stresemannstraße und Max-Brauer-Allee?
Kerstan: Wir warten auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das Ende des Jahres oder Anfang 2018 kommen soll. Danach werden wir das umsetzen, wenn das Gericht es erlaubt. Der Senat hat es schon beschlossen.
Die Besitzer selbst von modernsten Dieseln werden derzeit kalt enteignet.
Kerstan: Die modernsten Euro-6-Diesel sind von den Beschränkungen ausgenommen. Viele Kunden haben sich aber in der Tat aus Klimaschutzgründen für einen Diesel entschieden. Nun sind sie von schlechteren Restwerten und möglichen Fahrbeschränkungen betroffen, obwohl sie nach bestem Wissen gehandelt haben. Sie wurden von der Industrie getäuscht, und ich verstehe ihre Wut. Aktuell wäre es besser, wenn die Dieselautos von den Herstellern auf eigene Kosten so nachgerüstet würden, dass künftig die Grenzwerte eingehalten werden. Aber dafür bräuchten wir eine Bundesregierung, die gegenüber der Autoindustrie die Verbraucher- und Umweltinteressen vertritt. Das passiert leider überhaupt nicht.
Immerhin wird die Software erneuert.
Kerstan: Das bringt viel zu wenig. Wir haben für Hamburg berechnet: Wenn 50 Prozent der Diesel mit neuer Software versehen würden, sinkt die Zahl der Straßen mit Grenzwertverletzungen bei uns von 46 auf 41. Das reicht nicht. Bei diesen mageren Ergebnissen des Dieselgipfels bei der Kanzlerin werden Gerichte in anderen Städten kaum davor zurückschrecken, Fahrverbote zu verhängen.
Die Grünen wollen Verbrennungsmotoren ab 2030 nicht mehr zulassen. Legen Sie damit nicht die Axt an eine Kernindustrie, an unseren Wohlstand?
Kerstan: Nein, das Gegenteil ist der Fall. Es gibt überall technologischen Fortschritt. Bei uns hat die Autoindustrie versucht, diesen auszubremsen – mit der Hilfe von Autokanzlern und Autokanzlerinnen. Das ist ihr nicht gut bekommen. Wir müssen auch im Sinne der Beschäftigten Rahmenbedingungen setzen, die Fortschritt und saubere Technologien befördern und Arbeitsplätze sichern.
Die SPD fordert eine E-Auto-Quote.
Kerstan: Eine Festlegung auf nur eine Antriebsart finden wir nicht so klug. Die E-Mobilität ist derzeit als einzige Alternative zum Verbrenner reif für die Serie. Aber vielleicht sind andere Alternativen es in zehn Jahren auch. Die Politik soll nicht die Arbeit der Ingenieure machen und eine Antriebstechnik vorschreiben. Wir setzen nur den rechtlichen Rahmen, damit jeder weiß, woran er ist. Unser Ansatz sagt: 2030 soll Schluss sein mit Verbrennern, die Schadstoffe ausstoßen, darauf muss sich die Industrie in der Entwicklung einstellen. Und sie braucht diesen Druck. In Hamburg sind wir darauf angewiesen, dass die deutsche Autoindustrie bis 2020 genug emissionsfreie Busse liefern kann. Bisher kann sie das nicht. Wenn das bis 2020 so bleibt, müssen wir bei Herstellen im Ausland kaufen, etwa in Skandinavien. Da endet die Geduld irgendwann.
E-Autos laufen im Zweifel mit Strom aus Kohlekraft, und Batterien sind auch nicht sehr umweltfreundlich.
Kerstan: In Hamburg kommt der Strom der öffentlichen Ladestationen aus erneuerbaren Energien. Ich finde die Debatte aber etwas unehrlich: Umweltkosten für den Abbau seltener Metalle werden plötzlich den E-Autos zugerechnet. Die Schäden durch Ölförderung oder Tankerunfälle werden andererseits gern unter den Teppich gekehrt. Bei den E-Autos ist noch viel Dynamik in der Entwicklung. Sie werden immer besser. Um diese zu fördern, brauchen wir auch Gesetzesänderungen. Es sollte zum Beispiel die Möglichkeit geben, nur noch emissionsfreie Taxis oder Touristenbusse zuzulassen.
Sie legen sich ja gern mal mit dem Bürgermeister an. Zuletzt haben Sie Olaf Scholz widersprochen, als er sich gegen ein Naturschutzgebiet an der Elbmündung ausgesprochen hat – aus Angst um den Hafen.
Kerstan: Wir haben da eine unterschiedliche Einschätzung. Niedersachsen setzt europäisches Umweltrecht um, auch in Hamburg haben wir in diesem Zusammenhang zwei Schutzgebiete ausgewiesen. Hier wie dort erkenne ich keine Gefahr für den Hafen oder für die Pläne zur Elbvertiefung. Was bisher dort möglich ist, wird auch künftig möglich sein.
Ein Grundkonflikt ist der zwischen dringend nötigem Wohnungsbau und Grün-Schutz. Lässt er sich überhaupt auflösen?
Kerstan: Wir wollen beide berechtigten Anliegen unter einen Hut bringen und haben in der Koalition auch einige Pflöcke eingeschlagen. Wenn es innerhalb des zweiten grünen Rings an Grünachsen oder Grünflächen geht, muss es innerhalb dieses Gebiets einen Ausgleich geben. Außerhalb des Rings gibt es zum Ausgleich den Naturcent – einen bundesweit einmaligen Mechanismus, der für mehr Geld zur Pflege von Parks und Naturschutzgebieten sorgt. Insgesamt sollten wir in Hamburg zum Schutz des Grüns und im Sinne einer intelligenten Stadtplanung noch häufiger mehr in die Höhe bauen. An vielen Stellen wären fünf oder sieben Stockwerke kein Problem. Hamburg ist ja nach dem Krieg viel weniger dicht und flacher wieder aufgebaut worden, als es früher einmal war. Gerade eng bebaute Viertel wie Eppendorf und die Schanze sind sehr beliebt. Deswegen ist gegen Nachverdichtung nichts einzuwenden. Gut gemacht entstehen dadurch lebendige Stadtteile.
In der Stadt scheint es zwei Lager zu geben. Eine Seite plädiert für Wachstum, Hamburg müsse wie Barcelona auf die Weltkarte gesetzt werden. Die anderen sagen: Das wird uns zu voll und zu viel und verteuert nur die Mieten weiter. Wie sehen Sie das?
Kerstan: Ich persönlich finde: Wir müssen nicht immer die Größten und Wichtigsten sein. Es reicht doch, wenn unsere Stadt nach außen sympathisch auftritt und man hier gut leben kann. Hamburg ist eine Großstadt. Hamburg ist eine weltoffene Stadt. Aber Hamburg muss keine Weltstadt sein. Mein Eindruck ist, dass die Mehrheit der Menschen das gar nicht möchte, ich persönlich auch nicht. Das haben auch die Ablehnung von Olympia und die Skepsis gegenüber dem G20-Gipfel gezeigt. Auch in Barcelona sieht man, dass viele Menschen den Boom kritisch sehen. Hamburg muss nicht um jeden Preis weiter wachsen, um eine tolle Stadt zu sein. Das ist es auch so schon.
Im Bundestagswahlkampf läuft es für die Grünen nicht so gut. Woran liegt’s?
Kerstan: Die letzte Messe ist da noch lange nicht gesungen. Es gibt Umfragen, nach denen sich 50 Prozent der Deutschen eine Regierungsbeteiligung der Grünen wünschen, und ebenfalls knapp 50 Prozent sind noch unentschlossen, für wen sie stimmen werden. Für mich ist klar: Mit den Grünen in der Regierung hätte es den Diesel-Skandal nicht gegeben.
Sagen Sie so. Wollen Sie lieber mit SPD und Linken oder mit CDU und FDP regieren?
Kerstan: Bei der Wahl geht es vor allem darum, wer auf Platz drei landet. Für die Richtung, die unser Land nimmt, hängt viel davon ab, dass die Grünen stärker werden als die FDP. Ich möchte lieber einen Außenminister Cem Özdemir, der einem Autokraten Erdogan die Stirn bietet, als einen Außenminister Christian Lindner, der sich bei einem Autokraten Putin anbiedert. Deshalb hoffe ich auf ein starkes grünes Ergebnis. Robert Habeck zeigt gerade in Schleswig-Holstein: Selbst in einer für uns schwierigen Jamaika-Koalitionen kann man gute grüne Politik durchsetzen.