Hamburg. Im Rennen um den stellvertretenden Fraktionsvorsitz werden wohl Birgit Stöver und Richard Seelmaecker gegeneinander antreten.
Es ist eine politische Karriere im Schnelldurchlauf: Vor ein paar Wochen noch wurde Karin Prien – Juristin, direkt gewählte CDU-Bürgerschaftsabgeordnete aus Blankenese, Schulexpertin und dreifache Mutter – als Mitglied im Schattenkabinett des schleswig-holsteinischen CDU-Spitzenkandidaten Daniel Günther von manchen belächelt. Dann folgte Günthers überraschender Erfolg bei der Landtagswahl am 7. Mai und schließlich die Einigung auf eine Jamaika-Koalition an der Küste mit FDP und Grünen.
Wenn die Basis von Liberalen und Grünen in Schleswig-Holstein am Wochenende Ja zum Dreier-Bündnis sagt, wovon auszugehen ist, und Günther am kommenden Mittwoch im Kieler Landtag zum neuen Ministerpräsidenten gewählt wird, dann wird Prien am Nachmittag als Kultusministerin vereidigt. Die umtriebige Christdemokratin wird sich dann eine Wohnung in der Landeshauptstadt suchen, um näher am politischen Puls des Landes zu sein.
Noch hat sich Prien aber nicht entschieden, ob sie dem Hamburger CDU-Landesverband den Rücken kehrt und in die Parteiorganisation beim nördlichen Nachbarn eintreten wird. Derzeit ist die Rechtsanwältin noch Ortsvorsitzende der Blankeneser CDU und Mitglied im Landesvorstand.
In der Bürgerschaftsfraktion wird es diesen Trennschritt dagegen sehr schnell geben müssen. Und Karin Prien hinterlässt in der ohnehin seit der Bürgerschaftswahl 2015 dezimierten Fraktion eine große Lücke, die nicht leicht zu füllen ist. Sie ist stellvertretende Fraktionschefin, schulpolitische Sprecherin ihrer Fraktion und auch zuständig für den Bereich Flüchtlinge und Integration. Und, obwohl es banal klingt: Prien wird auch deswegen eine Lücke hinterlassen, weil sie eine Frau ist. Unter den 20 Unions-Abgeordneten werden nur noch zwei weiblichen Geschlechts sein. Für eine moderne Partei, die die CDU sein will, keine wirkliche Empfehlung. Eher das Gegenteil.
Das Frauenproblem hat für die CDU traumatischen Charakter
Für Prien wird Wolfhard Ploog als zweitplatzierter Direktkandidat im Wahlkreis Blankenese in die Bürgerschaft nachrücken. Der 74 Jahre alte ehemalige Justizvollzugsbeamte ist ein erfahrener Parlamentarier, der dem Hohen Hause bereits von 1997 bis 2011 angehörte. Das Frauenproblem der Union löst Ploog naheliegenderweise nicht. So gab es, was unschön ist in der Politik, durchaus Versuche, Ploog vom Verzicht zu überzeugen. Als nächste Nachrückerin stünde die Juristin und Jugendpolitikerin Susanne Schütt bereit, Abgeordnete der Bezirksversammlung Altona.
Ploog will sein Mandat aber allen Pressionen zum Trotz annehmen, und er hat einen prominenten Fürsprecher. „Alle Versuche, Herrn Ploog von der Annahme des Mandats abzubringen, sind unredlich und skurril. Er ist erst vor gut vor zwei Jahren in seinem Wahlkreis aufgestellt worden“, sagt der Altonaer CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg.
Das Thema Frauen in Spitzenpositionen hat für die Elb-Union spätestens seit Dezember 2016 traumatischen Charakter. Damals gelang es der CDU nicht, auf den vier aussichtsreichsten Listenplätzen für die Bundestagswahl am 24. September auch nur eine Frau zu platzieren. Besser gesagt: Die Männer setzten sich gegen den energischen Protest vor allem von Frauen durch – in vorderer Reihe: Karin Prien. Der Ärger war so groß, dass sich CDU-Parteichef Roland Heintze gewissermaßen entschuldigen und Besserung geloben musste.
Die Frauenfrage dominiert folglich auch die Entscheidung über die Nachfolge auf Priens wichtigstem Posten: dem stellvertretenden Fraktionsvorsitz in der Bürgerschaft. Beherzt und engagiert wie stets hat die Blankeneserin einen Rat an ihre Abgeordnetenkollegen parat: „Ich finde es gut, wenn auch in Zukunft an der Fraktionsspitze Männer und Frauen zusammenarbeiten“, sagt Prien. Das bedeutet konkret: Neben Fraktionschef André Trepoll und dem Fraktionsvize Dennis Thering muss eine Frau das Spitzentrio als zweite Vizechefin komplettieren. Die Auswahl ist ja überschaubar.
So ist intern längst klar, dass Birgit Stöver als stellvertretende Fraktionschefin kandidieren wird, wenn Prien nach Kiel wechselt. Stöver, seit 2008 Abgeordnete, ist Parlamentarische Geschäftsführerin und Sprecherin für Stadtentwicklung und Umwelt. Fraktionschef Trepoll macht seinen Abgeordneten in Gesprächen derzeit klar, dass er eine öffentliche Debatte über die Unfähigkeit der CDU, Frauen an verantwortlicher Stelle einzubinden, für die Fraktion unter allen Umständen vermeiden will. Soll heißen: Trepoll spricht sich für Stöver aus.
Seelmaeckers Chance wird eher gering eingeschätzt
Schon mehrere Männer sollen deswegen den Versuch aufgegeben haben, selbst anzutreten. Doch einer lässt sich bislang nicht abhalten: Der Rechtsanwalt Richard Seelmaecker ist entschlossen, gegen Stöver zu kandidieren. Seelmaeckers Feld ist die Justizpolitik, und er zählt ohne Frage zu den Aktivposten in seiner Fraktion.
Seelmaecker, der dem Schulausschuss angehört, könnte Prien auch auf dem Posten des schulpolitischen Sprechers beerben. Schon jetzt ist abzusehen, dass der Politikbereich Schule und Bildung für die CDU eine zentrale Rolle im Bürgerschaftswahlkampf 2020 spielen wird. Da ist zum einen die Frage, ob die Partei nach schleswig-holsteinischem Vorbild zum längeren Weg zum Abitur (G9) am Gymnasium zurückkehren will. Zum anderen wird sich die Union mit dem Thema Inklusion von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf beschäftigen.
Allerdings werden Seelmaeckers Chancen wegen der Frauenfrage eher gering eingeschätzt. Auch der Ex-Landesvorsitzende Weinberg, der einst mit der Forderung nach Einführung einer Frauenquote auf Parteiebene gescheitert war, spricht sich für eine Frau an der Fraktionsspitze aus. Seelmaecker könnte darauf verweisen, dass der Regionalproporz in der Fraktion gestört wäre, wenn Stöver gewählt würde, die wie Trepoll aus dem vergleichsweise kleinen Kreisverband Harburg stammt. Seelmaecker kommt aus Nord, Thering vertritt den größten Kreisverband Wandsbek.
Geht es nach Prien, dann sollte auch der Posten des Parlamentarischen Geschäftsführers wieder mit einer Frau besetzt werden, falls Stöver in die Fraktionsspitze aufrückt. Dann bliebe nur noch eine Frau übrig: die Altonaer Juristin Franziska Grunwaldt.
Prien galt vielen auch als denkbare Bürgermeisterkandidatin der CDU für 2020. Und so freut sich der eine oder andere Unionschrist, dass die zielstrebige und ehrgeizige Konkurrentin nun voraussichtlich außer Landes sein wird. „Ich werde ein herausforderndes Amt übernehmen und mache mir über 2020 gar keine Gedanken“, sagt Prien. Was soll sie auch sonst sagen ...