Hamburg. Wie sich Ex-Minister Werner Marnette mit Finanzsenator Peter Tschentscher und dessen Vorgänger Wolfgang Peiner befehdet.
Am vergangenen Sonnabend ging in der Hamburger Finanzbehörde eine Mail ein, die für einigermaßen Verwunderung sorgte. Gerichtet war sie direkt an den Chef: „Sehr geehrter Herr Senator, lieber Herr Dr. Tschentscher“, begann das Schreiben im Ton freundlich. Was dann folgte, war jedoch nichts anderes als eine Aufforderung zum Duell. Mit vorgegebenen Waffen: Worten.
Eine öffentliche Diskussion „über die tatsächliche Finanz- und Ertragslage der HSH Nordbank und die zu erwartenden Folgen für die Bürger“, fordert der Absender, und zwar möglichst Anfang/Mitte Juni unter fachkundiger Moderation. So viel Chuzpe muss man erst mal haben. In der Kommandozentrale im ersten Stock der Behörde am Gänsemarkt hat man noch nicht entschieden, wie man mit der Mail umgeht. Aber dass Senatsmitglieder auf solche Schreiben bestenfalls ablehnend und in der Regel gar nicht reagieren, liegt auf der Hand. In diesem Fall hängt das auch mit dem Absender zusammen: Werner Marnette.
Marnette und Tschentscher waren früher gleicher Meinung
Der 71-Jährige war 2009 aus Protest gegen die HSH-Nordbank-Politik der Landesregierung als Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein zurückgetreten. Wie der Christdemokrat vorige Woche im Abendblatt-Interview einräumte, lässt ihn das Thema jedoch bis heute nicht los. Und so beackert der Kurzzeitpolitiker es weiterhin intensiv auf zwei Ebenen: einer inhaltlichen und einer persönlichen. Und auf Letzterer zählt mittlerweile Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) zu seinen bevorzugten Zielscheiben.
Das überrascht insofern, als beide früher auf einer Welle lagen, weniger persönlich, aber inhaltlich durchaus. Marnette war fast fünf Jahre lang Vorsitzender des Beirats der HSH Nordbank, einem Schönwettergremium mit Experten aus den Eigentümer-Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein, das kaum Infos und noch weniger Einfluss hatte. Als er 2008 ausschied und Minister in Kiel wurde, zog kurz darauf der damalige Finanzexperte der Hamburger SPD in den Beirat ein: Peter Tschentscher. Er erkannte die Feigenblatt-Funktion dieses Gremiums allerdings schnell und nahm nur an einer Sitzung teil.
Seit Ende 2015 ist das Verhältnis zerrüttet
Zu dem 13-Milliarden-Euro-Rettungspaket, das die Länder 2009 für die strauchelnde Bank schnüren mussten, hatten beide eine ähnliche Haltung: Marnette versuchte vergeblich, Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) davon abzuhalten, trug es im Kabinett dann aber mit und trat kurz darauf zurück. Tschentscher sah die gigantische Rettungsaktion ebenfalls sehr kritisch, empfahl seinen Genossen aber auf Drängen der schwarz-grünen Koalition letztlich die Zustimmung. Im Gegenzug setzte die oppositionelle SPD Bedingungen wie eine Begrenzung der Vorstandsgehälter bei der HSH und den Verzicht auf Boni durch.
Danach trennte sich der Weg der beiden HSH-Kritiker. Marnette zog sich aus der Politik zurück und wurde Unternehmensberater, Tschentscher 2011 Finanzsenator. Seit Ende 2015 ist das Verhältnis jedoch völlig zerrüttet. Nachdem Hamburg und Schleswig-Holstein erneut ein Rettungspaket für die HSH Nordbank beschlossen hatten, erstattete Marnette Strafanzeige unter anderen gegen Tschentscher und Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) – übrigens ebenfalls früher HSH-Beiratsmitglied. Die Staatsanwaltschaft überzeugte das zwar nicht, und die Sache verlief schnell im Sande, doch die beiden Ressortchefs waren mächtig verärgert.
Heftiger Streit zwischen Marnette und Peiner
Tschentscher und Heinold hatten buchstäblich Tag und Nacht darum gerungen, die HSH ins Jahr 2016 zu retten, weil dann die Haftung der Länder für ihre Bank um mehr als zehn Milliarden Euro geringer wurde. Dafür auch noch angezeigt zu werden empfanden beide als übles Foul. Die Neigung zu gemeinsamen Auftritten mit Marnette dürfte bei Tschentscher seitdem gegen null tendieren.
Noch heftiger ist die persönliche Auseinandersetzung zwischen Marnette und Wolfgang Peiner. Den früheren Finanzsenator hatte der Ex-Minister im Abendblatt-Interview nicht zum ersten Mal als Hauptverantwortlichen für das ganze HSH-Drama bezeichnet und eine juristische Aufarbeitung seiner Rolle gefordert. Damit steht er zwar keineswegs allein, denn Peiners tragende Rolle bei der Gründung und risikofreudigen Ausrichtung der Bank ist nicht von der Hand zu weisen.
Die Heftigkeit, mit der Marnette seinen Parteifreund attackiert, scheint aber auch noch andere Ursachen zu haben. Peiner selbst schweigt öffentlich dazu, aber gegenüber Parteifreunden soll er sich erbost gezeigt und keinen Zweifel daran gelassen haben, was Marnettes Motiv ist: Rache.
Rache, weil Peiner Unterstützung versagte?
Auslöser soll demnach sein unrühmliches Aus bei der Norddeutschen Affinerie Ende 2007 gewesen sein. Nach seinem Rücktritt als Vorstandschef soll Marnette versucht haben, in den Aufsichtsrat des Unternehmens einzuziehen, und dabei unter anderem Peiner um Unterstützung gebeten haben – der war seinerzeit Aufsichtsratschef der HSH Nordbank, die wiederum an der „Affi“ beteiligt war. Peiner soll das jedoch strikt abgelehnt haben, schließlich hatte sich der Affi-Aufsichtsrat und Marnette gerade getrennt. Seitdem „wüte“ Marnette gegen die Bank und Peiner, heißt es aus dessen Umfeld. Als ein Beleg für seine Unglaubwürdigkeit wird angeführt, dass Marnette als Beiratschef der HSH jahrelang die Strategie mitgetragen habe, die er Peiner heute vorhalte.
Die Prognose „Abwicklung“ gilt intern als realistisch
Dennoch gibt es durchaus Stimmen, die Marnettes kritische Analyse der HSH-Lage teilen. Selbst Experten aus dem rot-grünen Regierungslager in Hamburg räumen hinter vorgehaltener Hand ein, dass seine Prognose, der von der EU vorgeschriebene Verkauf der Bank werde scheitern, leider realistisch sei. „Marnette hat ja recht, wir sollten uns auf das Thema ,Abwicklung‘ einrichten“, meint ein Abgeordneter.
Erwartet wird zwar, dass die Länder noch im April verkünden, mit welchen Bietern sie in konkrete Verhandlungen einsteigen werden. Aber dass für eine Bank mit Milliarden-Altlasten am Ende der von der EU geforderte positive Verkaufspreis, also mindestens ein symbolischer Euro, erzielt wird, können sich viele Insider nicht vorstellen. Offiziell sagen würde das natürlich niemand, schließlich geht es auch darum, das Eigentum der Länder nicht schlechtzureden. Und natürlich kämpfen Finanzsenator, Bürgermeister und ihre Mitstreiter in Kiel noch darum, dieses Szenario zu verhindern – schlechte Zeiten für ein Duell auf offener Bühne.