Hamburg. Die Fraktionsvorsitzenden lenken die Koalition. Der Vorwurf an Dressel (SPD) und Tjarks (Grüne) lautet: Sie kuscheln Konflikte weg.

Ob Busbeschleunigungsprogramm, Sportförderkonzept oder die Initiativen gegen große Flüchtlingsunterkünfte und für einen Guten Ganztag – die Fraktionschefs Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne) gelten als Troubleshooter des rot-grünen Bündnisses. Aber das „A-Team“ formuliert im Abendblatt-Doppelinterview auch klar seinen politischen Gestaltungsanspruch als Vertreter einer selbstbewussten Bürgerschaft gegenüber dem Senat.

Haben Sie schon ein EM-Spiel gesehen?

Andreas Dressel: Zusammen noch nicht, aber allein schon.

Anjes Tjarks: Ich habe zwei oder drei Spiele der deutschen Mannschaft gesehen. Aber das liegt auch daran, dass man während der Spiele ohnehin keine Termine machen kann. Für mich ist es auch nicht so spannend, wenn zum Beispiel Albanien gegen die Schweiz spielt.

Sie sind beide scheinbar rund um die Uhr in Verhandlungen und Gesprächen mit Volks- und Bürgerinitiativen im Einsatz. Bleibt da noch Zeit für Ihre Familie? Sie haben beide drei Kinder.

Dressel: Zu wenig. Das ist für unsere beiden Familien eine ganz schwierige Phase. Ohne Verständnis zu Hause könnte man diese Zeit nicht meistern.

Tjarks: In Wahrheit ist das der schwierigste Punkt von allen. Um Freizeit geht es faktisch gar nicht, außer begrenzt am Wochenende. Das schafft eine ungute Mischung, und es ist gut, dass es bis zum Beginn der Sommerpause schlagartig weniger werden wird.

Sie gelten als Inbegriff des unproblematischen Verhältnisses von Rot und Grün und treten häufig gemeinsam auf. Haben Sie sich schon einmal gestritten?

Dressel: So richtig gestritten nicht, aber wir haben manchmal unterschiedliche Auffassungen.

Tjarks: Aber es ist noch nie laut geworden. Die Kunst der Politik besteht ja darin, dass man unterschiedliche Positionen auf zivilisierte Weise miteinander austrägt. Laut zu werden ist auch nicht unser Stil. Wir neigen nicht zu cholerischen Anfällen.

Dressel: Man muss auch Persönliches und Politisches trennen, das gelingt nicht allen in der Politik. Wir müssen beide auch Positionen unserer Parteien vertreten. Das sollten wir einander nicht übelnehmen. Mit der Einstellung kann man manche Klippen umschiffen.

Bürgermeister Olaf Scholz hat zum Start der rot-grünen Koalition nur von einem grünen Anbau gesprochen. Ist denn bei Ihnen auch immer klar, dass die SPD zu vier Fünfteln recht bekommt und zu einem Fünftel die Grünen?

Dressel: Bei uns wird gemeinsam gekocht und gemeinsam gekellnert. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eine Über- und Unterordnung generell in Koalitionen den jeweiligen Partnern am Ende nicht so gut getan hat. Und Olaf Scholz hat seine Redewendung ja auch schon weiterentwickelt und von einem gemeinsamen Dach und einem gemeinsamen Fundament gesprochen.

Tjarks: Am Ende zählt doch ohnehin, was gut für die Stadt ist. Beispiel Guter Ganztag: Die bessere Erzieher-Kind-Relation ist vielleicht mehr ein sozialdemokratischer Punkt, das bessere Essen ein grüner. Die unterschiedlichen Positionen müssen gut ausgewogen untergebracht werden.

Sie haben sich selbst den Namen A-Team gegeben. Ist das nur eine Anspielung auf Ihre Vornamen oder auch auf die gleichnamige Actionserie?

Dressel: Den Begriff hat ein Mitglied des Fraktionsvorstands bei uns in einer Sitzung aufgebracht. Dann war er einmal da und hat sich fortgepflanzt. Meine Ähnlichkeit zu Actionhelden ist relativ übersichtlich. Aber Anjes muss das für sich beantworten.

Tjarks: Ich bin auch kein Actionheld. Ich bin glücklich über unsere Zusammenarbeit, aber gar nicht so über den Begriff. In Wahrheit funktioniert das alles nur, weil viele Menschen mitarbeiten, die Abgeordneten, der Senat.

So schnell kommen Sie nicht davon. Als die Verhandlungen zwischen Senat und Sportverbänden über die Sportförderung festgefahren waren, forderte Sportbund-Präsident Jürgen Mantell öffentlich den Einsatz des A-Teams.

Dressel: Fraktionsvorsitzende sind wie Liberos im Fußball: mal Ausputzer, um den Spielfluss wieder hinzubekommen, keine Gegentore einfangen und den Ball über die gegnerische Torlinie bringen. Politik ist aber letztlich wie Fußball ein Gemeinschaftswerk, und der Bürgermeister ist der Spielführer. Wir bringen uns helfend ein.

Tjarks: Wir können nicht gegen einen Fachsenator zum Beispiel arbeiten. Andreas Dressel und ich sind uns darin nicht unähnlich, dass wir es schaffen, Menschen freundlich und verbindlich mitzunehmen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Ihre Bescheidenheit in Ehren. Es bleibt die Frage, warum Senat und Behörden genau das manchmal nicht hinbekommen.

Dressel: Die Integrationsaufgaben des Sports mit Blick auf die Flüchtlinge zu ermöglichen und finanziell zu unterstützen ist gesellschaftlich ein so dickes Brett, dass es gut ist, die Bürgerschaft mit ins Boot zu holen. Die Bürgerschaft hat eben das Budgetrecht. Wir sind ein starkes Parlament und nehmen unsere Rechte wahr. Wir sind ein zentraler Player in der Stadt.

Tjarks: Das ist doch auch zutiefst demokratisch: Wir sind als Verfassungsorgan vom Volk legitimiert. Und wir wollen mitgestalten.

Dressel: Wir nehmen als Parlament eben nicht nur Vorlagen des Senats entgegen und sagen dann meist Ja und nur manchmal Nein.

Tjarks: Nehmen wir noch einmal das Beispiel Guter Ganztag: Wir haben uns mit der Volksinitiative auf einen Kompromiss geeinigt und dadurch einen Volksentscheid abgewendet. Ich sehe diese ganze Veranstaltung auch als Beitrag gegen Politikverdrossenheit. Das ist praktizierte Bürgerbeteiligung.

Oder handeln Sie einfach nach dem Prinzip „good cop, bad cop“? Sozialsenatorin Melanie Leonhard will gegen die Initiativen gegen Flüchtlingsunterkünfte bis zur letzten Instanz gerichtlich vorgehen, und Sie beide handeln mit den Initiativen Kompromisse aus. Der Senat vertritt die harte Linie, und Sie kuscheln das weg?

Dressel: Die aktuelle Zugangssituation bei den Flüchtlingen gibt Raum für Kompromisse. Deshalb geht es nicht um „good cop, bad cop“. Man muss immer sehen, was am Ende zum Ziel führt. SPD und Grüne sind beide leidgeprüft, was verlorene Volksentscheide angeht. Es muss das Bestreben von Politik sein, dass zum Schluss nicht zwei Züge aufeinander zurasen und einer tot am Boden bleibt, während der andere der große Gewinner ist. Wir beide verstehen unsere Aufgabe im Sinne der gesamten Stadtgesellschaft so, Konfrontationen zu vermeiden, die am Schluss nicht weiterführen.

Ihre Kompromissbereitschaft geht so weit, dass Sie sich mit Leuten an einen Tisch setzen, die „Nein zur Politik“ sagen, wie die Bürgerinitiative Neugraben-Fischbek.

Tjarks: Stimmt, solch ein Motto erschreckt einen schon ein bisschen. Aber schon wenn man sich auf ein Gespräch einlässt, fühlen sich die meisten Menschen ernst genommen. Und allein einfach nur zuzuhören führt zu einer ganz anderen Situation. Dann prüfen wir, wo es Gemeinsamkeiten gibt. Ich finde es sehr befriedigend, dass wir mit dieser Initiative einen Abschluss hinbekommen haben. Das ist genau meine Idee von Politik und Demokratie, auch wenn das manchmal auch persönlich sehr anstrengend ist.

Dressel: Viele der engagierten Neugrabener stehen politisch irgendwo zwischen SPD und CDU. Unser gemeinsames Bestreben muss es doch sein, sie in unserem demokratischen Gemein­wesen zu halten, damit sie sich nicht endgültig abwenden und in Bereiche gehen, die wir uns überhaupt nicht wünschen. Es geht nicht nur um die Integration der Flüchtlinge, sondern auch um die Integration derer, die mit der Flüchtlingspolitik ein Problem haben. In den Gesprächen ist gegenseitig Vertrauen gewachsen.

Wie groß sind die Chancen, dass Sie bis 11. Juli – dem Ende der Verhandlungsfrist – zum Abschluss mit der Volksinitiative gegen Großunterkünfte kommen?

Dressel: Ich bin nach wie vor optimistisch, aber klar, alle müssen sich bewegen. Auch hier gibt es eine gute Gesprächsatmosphäre, und alle wollen eine finale Konfrontation in einem Volksentscheid vermeiden.

Tjarks: Wir sind ja auch nicht aus Prinzip für Großunterkünfte. Die sind ja erst aufgekommen, als die Zugangszahlen so dramatisch nach oben gingen. Wir wissen nicht, wie es in Zukunft sein wird. Für uns ist der springende Punkt, dass wir als Stadt am Ende die Unterbringungsverpflichtung gegenüber Flüchtlingen erfüllen, auch wenn es eine Volksinitiative nicht mehr geben sollte, weil man sich geeinigt hat. Das muss man jetzt auch auf die Unterkünfte vor Ort übersetzt bekommen.

Sie sind ein anscheinend unzertrennliches politisches Paar. Gibt es eigentlich etwas, das Ihnen am anderen nicht gefällt?

Dressel: Nö.

Tjarks: Nichts, was über den Tag hinausgeht. Im Übrigen ist eine defizit-orientierte Betrachtung von Menschen extrem anstrengend.