Hamburg. Liberale und CDU stellen den offiziell verkündeten 200-Millionen-Euro-Überschuss der Stadt infrage. Behörde weist die Vorwürfe zurück.
Über Jahrzehnte hat Hamburg, wie fast alle Bundesländer, über seine Verhältnisse gelebt und einen gigantischen Schuldenberg von 24 Milliarden Euro aufgetürmt. Seit zwei Jahren ist Schluss damit. Die Stadt macht Überschüsse und beginnt, die Altschulden zu tilgen. 2014 waren es 420 Millionen Euro Plus, und für 2015 hatte Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) kürzlich einen Überschuss von rund 200 Millionen Euro verkündet – trotz der enorm gestiegenen Ausgaben für Flüchtlinge.
Doch CDU und FDP in der Bürgerschaft trauen den Zahlen nicht. Der Überschuss erscheine höher, als er ist, kritisiert CDU-Finanzexperte Thilo Kleibauer. Die FDP-Fraktionschefin Katja Suding nennt das Haushaltsplus gar eine „Chimäre“ (ein Mischwesen der griechischen Mythologie). Die Finanzbehörde ist erbost und nennt die Darstellung der FDP „schlicht Unfug“.
Die FDP stellte mehrere Kleine Anfragen an den Senat und kam zu einem anderen Ergebnis als Tschentscher. Beziehe man auch die kurzfristigen Verbindlichkeiten am Stichtag 31. Dezember mit ein – quasi das Girokonto der Stadt – , ergebe sich ein negativer „Saldo aus Finanzierungstätigkeit“ von 220 bis 230 Millionen Euro.
Außerdem habe das „Sondervermögen Schulimmobilien“, ein städtisches Unternehmen, das alle Schulgebäude baut, verwaltet und saniert, im Jahr 2015 Kredite in Höhe von 265 Millionen Euro aufgenommen. Suding sagt: „Unter Berücksichtigung der Schulimmobilien hat Hamburg in dem Jahr 500 Millionen Euro mehr ausgegeben, als eingenommen wurde.“ Die FDP-Chefin wirft Tschentscher sogar vor, „geschönte Bilanzen“ vorzulegen.
Harte Vorwürfe, über die man in der Finanzbehörde den Kopf schüttelt. Ihr Sprecher Daniel Stricker sagt, die Liquidität der Stadt zu einem Stichtag zu betrachten, sei „aus Sicht der FDP vielleicht politisch interessant, inhaltlich ist sie schlicht Unfug“. „Kassenstände schwanken von Tag zu Tag und sagen rein gar nichts über die Sanierungserfolge des Haushalts aus. Wenn wir einfach mal eine Rechnung zur Zerlegung der Einkommenssteuer über 500 Millionen Euro nicht zahlen würden, hätten wir dann in der Logik von Frau Suding den Haushalt saniert, weil wir plötzlich ein 500-Millionen-Euro-Plus in der Finanzierungstätigkeit haben?“ Das sei eine „abwegige Sichtweise“, die auch vom Bundesfinanzministerium nicht akzeptiert werden würde.
Einen weiteren Kritikpunkt hat CDU-Finanzexperte Thilo Kleibauer in den Zahlen, die Hamburg an den Bund gemeldet hat, entdeckt. Dort ist eine Einnahme von gut 155 Millionen Euro aus „Veräußerungen von Beteiligungen und Kapitalrückzahlungen“ vermerkt. Wie Kleibauer durch Kleine Anfragen an den Senat erfuhr, steckten dahinter eine Gewinnabführung des Landesbetriebs Immobilienmanagement (LIG) sowie eine Entnahme aus dem „Zusätzlichen Versorgungsfonds“ für Bedienstete der Stadt.
Die Ablieferung des LIG sieht der CDU-Politiker nicht kritisch, wohl aber die Steigerung gegenüber dem Vorjahr um elf Millionen sowie die erstmalige Entnahme von knapp 80 Millionen aus dem Versorgungsfonds. Kleibauers Fazit: „Der Überschuss von 200 Millionen sieht viel höher aus, als er tatsächlich ist. Im Vergleich zum Vorjahr wurden über 90 Millionen Euro zusätzlich aus Nebenhaushalten entnommen und als Einnahme verbucht. Dadurch ergibt sich ein positiver Effekt im Haushalt, während in gleicher Höhe die Reserven der Stadt verringert wurden.“
Auch diesen Vorwurf weist der Senat zurück. Stricker: „Es war immer so vorgesehen, dass dieser Versorgungsfonds angefüttert wird, um später Geld zur Finanzierung der Pensionsausgeben zu entnehmen. Diese Einnahme war auch im Haushalt eingeplant.“