Hamburg/Kopenhagen. Der Umweltsenator erhofft sich bei seinem Besuch Anregungen für Energiepolitik, in der eine Richtungsentscheidung ansteht.

Bisweilen ist den Grünen ja attestiert worden, sie seien der unscheinbarste und handzahmste Koalitionspartner, den sich die SPD nur wünschen könne – so wenig grüne Handschrift sei im rot-grünen Koalitionsvertrag zu erkennen. Nun aber stehen für den seit April amtierenden grünen Senator für Umwelt und Energie, Jens Kerstan, Wochen und Monate großer Entscheidungen an, mit denen Hamburg deutlich grüner werden könnte – und zwar so, dass es alle sehen.

Kaum einer im rot-grünen Senat hat so viele Großprojekte vor der Brust wie der 49-jährige Bergedorfer. Seine Behörde muss noch vor dem Referendum im Herbst das Nachhaltigkeitskonzept für mögliche Olympische Spiele 2024 ausarbeiten, ein neues Müllkonzept zur Stärkung der in Hamburg schwächlichen Recycling-Quoten vorlegen, die Pflege der 32 Naturschutzgebiete und die Rettung des schrumpfenden Straßenbaumbestandes neu organisieren – und er muss der EU wegen des drohenden Vertragsverletzungsverfahrens demnächst einen neuen Luftreinhalteplan schicken.

Entscheidung über Kohlekraft Wedel muss fallen

Die weitreichendeste Entscheidung aber ist die über die Frage, wie der Hamburger Westen künftig mit Fernwärme versorgt werden soll. Nach dem Strom- und Gasnetz fällt gemäß dem Netze-Volksentscheid 2019 auch das Fernwärmenetz von Vattenfall an die Stadt zurück. Noch in diesem Jahr aber muss entschieden werden, ob das alte Kohlekraftwerk in Wedel, das bisher weite Teile der Stadt mit Wärme versorgt, tatsächlich durch ein neues Gas-und-Dampf-Kraftwerk (GuD) ersetzt werden soll, und falls ja: wie groß dieses sein und wie es technisch ausgestattet werden soll – und wer es baut.

Falls das Kraftwerk nicht oder kleiner als bisher geplant gebaut wird, muss geklärt werden, welche möglicherweise kleineren über die Stadt verteilten (neuen) Kraftwerke die Versorgung sichern – und ob langfristig dafür womöglich das gesamte Leitungsnetz umgebaut werden muss.

Um sich Anregungen für die anstehenden Weichenstellungen in der Energiepolitik zu holen, reist Kerstan am heutigen Montag zusammen mit hochrangigen Vertretern der Energiewirtschaft und Fachleuten aus Wissenschaft und Verwaltung in die dänische Hauptstadt Kopenhagen.

Dänemark ist Vorbild bei Fernwärmeversorgung

„Dänemark setzt bei der Wärmeversorgung schon lange auf Fernwärme und hat bereits einen sehr hohen Anschlussgrad und ebenfalls einen sehr hohen Anteil erneuerbarer Energien in der Fernwärme erreicht“, sagte Kerstan vor der Reise. „In Kopenhagen können wir zum Beispiel sehen, dass solare Wärme auch im Norden in Verbindung mit saisonalen Speichern eine zuverlässige und wirtschaftliche Energiequelle sein kann. Wir werden uns verschiedene innovative Ansätze zeigen lassen, um zu sehen, was wir für Hamburg davon lernen können.“ Energiepolitisch von Interesse seien dabei auch die Betreiber- und Beteiligungsmodelle, mit denen Dänemark die Energiewende im Wärmebereich vorantreibe, so Kerstan.

Auf dem Programm des dreitägigen Besuchs stehen etwa ein Besuch der Energie- und Umwelt-Dachmarke „State of Green“ der für ihre innovative Wärmeversorgung bekannten Kommune Albertslund, des Abfall-Management-Unternehmens Kara Noveren und der dänischen Energie-Agentur. Außerdem wird es eine dänisch-hamburgische Konferenz zum Thema Fernwärme-Versorgung geben, bei der es auch um den Aufbau und die Pflege geschäftlicher und wissenschaftlicher Kontakte geht. Auch die dänische Seite habe großes Interesse an einer engeren Zusammenarbeit mit Hamburg im Bereich der Energiepolitik, heißt es – etwa am Cluster Erneuerbare Energien. Zusammen mit Senator Kerstan reisen Vertreter in Hamburg ansässiger Unternehmen der Branche, etwa Vattenfall-Nord-Chef Pieter Wasmuth und Dirk Westphal von Vattenfall Wärme Hamburg, außerdem Vertreter von HanseWerk, Hamburg Energie, Sokra-therm, Enercity, Becker Marine Systems, Eurogate, Handelskammer, Stadtreinigung, Hochschulen, Wirtschafts- und Umweltbehörde.

Gutachten über alternative Technologien

Neuen Diskussionsstoff lieferte kurz vor der Reise das vom Senat beim Büro für Energiewirtschaft und technische Planung (BET) in Auftrag gegebene Gutachten zu den „Handlungsalternativen für das Kohlekraftwerk in Wedel“. Die exakt 100 Seiten umfassende Expertise vergleicht mögliche Technologien (GuD, Biomasse, Solarthermie etc.), prüft denkbare Standorte und kommt zu dem Zwischenergebnis, dass „alle technologischen Ausbauvarianten gegenüber der heutigen Ist-Situation mit dem Kohlekraftwerk Wedel zu spürbaren Kostenerhöhungen der Fernwärmeerzeugung und gegebenenfalls hohem Investitionsbedarf“ führen werden. Eine klare Empfehlung für eine der möglichen Lösungen sprechen die Experten allerdings nicht aus. „Das Gutachten liefert keine eindeutige Vorzugslösung“, schreiben sie in ihrer Schlussbemerkung. „Der energiewirtschaftliche Rahmen ist für jede Art von Großinvestition im Moment als kritisch und risikobehaftet anzusehen.“

Ob der Kopenhagen-Besuch den Verantwortlichen etwas mehr Klarheit bringt, wird man spätestens am Mittwochabend wissen. Dann macht sich die Delegation auf den Rückweg nach Hamburg.