Hamburg. Alle Fraktionen der Bürgerschaft beschließen nach kontroverser Debatte den rot-grünen Antrag. Kritik von der Handelskammer.

Erst attackierte die Opposition die rot-grüne Koalition heftig wegen ihrer Radverkehrspolitik, doch dann stimmten alle dem Antrag von SPD und Grünen in der Bürgerschaft zu. „Die Zeit ist reif für eine Verkehrswende in der Stadt. Wir wollen Hamburg zur Fahrradstadt ausbauen“, sagte der Grünen-Abgeordnete Martin Bill. „Die CDU stimmt dem Antrag zu, aber Rot-Grün macht Politik an den Interessen der Menschen vorbei“, hielt der CDU-Politiker Dennis Thering entgegen. „Sie vergessen Fußgänger, Pkw- und Lkw-Fahrer. Das sind ideologische Machenschaften“, sagte Thering.

Darum geht es: Das 280 Kilometer lange Veloroutennetz soll bis zum Ende der Wahlperiode 2020 fertiggestellt werden. Derzeit sind 80 Kilometer befahrbar. Bau und Sanierung von Radwegen sollen „zügig auf ein Niveau von jährlich 50 Kilometern“ gesteigert werden. Und: Rot-Grün will den Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr auf 25 Prozent in den 20er-Jahren steigern.

Der FDP-Abgeordnete Wieland Schinnenburg rechnete Rot-Grün vor, dass es angesichts des vorgesehenen Tempos 17 Jahre dauern würde, bis alle Radwege in einem verkehrstüchtigen Zustand wären. „Es gibt in Hamburg 1700 Kilometer Radwege, von denen mindestens die Hälfte marode ist. Dafür brauchen Sie also 17 Jahre, wobei es fraglich ist, ob Sie die 50 Kilometer jährlich überhaupt schaffen“, sagte der FDP-Politiker, der darauf hinwies, dass 2014 lediglich 23,5 Kilometer saniert oder neu gebaut wurden.

„Immer mehr Leute steigen aufs Fahrrad um, nicht aufgrund von politischem Druck, sondern weil es die bessere Alternative ist“, sagte Grünen-Politiker Bill. „Aber jede Umverteilung geht zulasten von bisherigen Nutzungen.“ Ausdrücklich sprachen sich Bill und sein SPD-Kollege Lars Pochnicht für die Einrichtung von Radstreifen auf der Fahrbahn aus, weil diese die Sicherheit der Radfahrer erhöhten.

Da war CDU-Mann Thering ganz anderer Ansicht. „Erst einmal muss der Senat die Zweite-Reihe-Parker wegbekommen, dann können wir über Radfahrstreifen reden“, sagte Thering. Die Erhöhung der Sicherheit müsse das oberste Ziel sein. „Die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle hat sich von zwei im Jahr 2011 auf elf im vergangenen Jahr erhöht“, sagte der CDU-Politiker.

Kritik am geplanten Rückbau von Hauptverkehrsstraßen

In einem Schreiben an Verkehrssenator Frank Horch (parteilos) hat auch die Handelskammer ihre Kritik an der rot-grünen Radverkehrspolitik dargelegt. Vor allem den geplanten Rückbau von Hauptverkehrsstraßen zugunsten von Radfahrstreifen wie am Ring 3 im Bezirk Altona und an der Bebelallee in Nord lehnt die Hamburger Wirtschaft ab. „Für die Pläne am Ring 3 haben wir sehr wenig Verständnis“, sagte Jan-Oliver Siebrand, der bei der Kammer die Abteilung Stadtentwicklung leitet.

22.000 Kraftfahrzeuge pro Tag würden auf dieser heute vierspurigen, wichtigen Querverbindung gezählt. Die Spitzenbelastung liege dort bei 1700 Fahrzeugen pro Stunde. Ein Rückbau auf zwei Spuren werde nur dazu führen, dass sich der Verkehr in die Wohngebiete verlagern werde, heißt es in dem Schreiben an Horch. Ähnlich hatte auch schon die Bezirksversammlung Altona argumentiert. Selbst die SPD in Altona stellt sich gegen die Pläne der SPD-Fraktion in der Bürgerschaft.

Für den geplanten Rückbau der Bebelallee (Winterhude) macht die Kammer einen Alternativvorschlag. Dort könne eine digital gesteuerte Verkehrsführung mit drei Fahrstreifen installiert werden, sagte Siebrand. Je nach Verkehrslage würden zwei Fahrbahnen im Wechsel morgens und abends für die jeweils am meisten genutzte Fahrtrichtung zur Verfügung stehen. Gleichzeitig wäre Platz für einen Radweg. Auch hier sei die Verkehrsbelastung zu groß, um die jetzt ebenfalls vierspurig genutzte Straße auf zwei Fahrspuren zu verkleinern. Schon heute gebe es dort im Berufsverkehr lange Staus.

In dem Schreiben an Horch fordert die Kammer daher, auf den Bau von Radfahrstreifen auf Hauptverkehrsstraßen zu verzichten, um die Leistungsfähigkeit des Straßennetzes nicht zu gefährden. „Für uns stellt sich zudem die Frage, ob Radfahrstreifen auf Hauptverkehrsstraßen nicht auch zu einem Sicherheitsproblem für Radfahrer werden könnten“, sagte Siebrand. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) widerspricht aber der Handelskammer. Fahrradfahren auf der Fahrbahn, selbst auf Hauptverkehrsstraßen, sei sicherer als die Benutzung von Radwegen, wo es immer wieder zu Unfällen komme, wenn Autofahrer abbiegen und dabei Radfahrer übersehen.