Ein Mann, der die Entwicklung des Stadtstaats Hamburg maßgeblich beeinflusst hat mittenim Rathaus. Diese Woche berichtet Peter Ulrich Meyer.

Manfred Brandt versteht sich auf die Kunst des unspektakulären Auftritts. Der Initiator und Motor des ­Vereins Mehr Demokratie saß bei der Sachverständigen-Anhörung zum Olympia-­Referendum im Verfassungsausschuss der Bürgerschaft ganz unscheinbar in der letzten Reihe. Man hätte ihn einfach für einen interessierten Bürger halten können. Kein Eindruck wäre falscher: Brandt hat die demokratische Entwicklung des Stadtstaats in den vergangenen zehn, 15 Jahren beeinflusst wie kein Zweiter.

Die Stichworte dazu sind das Zehn-Stimmen-Wahlrecht und die Volksgesetzgebung. Wenn die Bürgerschaft in diesen Tagen unter großem Zeitdruck um eine Verfassungsänderung zur Einführung von Referenden ringt, dann spielt Manfred Brandt auch dabei im Hintergrund eine zentrale Rolle.

Ein solches Referendum, also eine von Senat oder Bürgerschaft initiierte Volksabstimmung, gibt es bislang nicht. Will sich Hamburg erfolgreich um die Olympischen Spiele bewerben, muss die wahlberechtigte Bevölkerung dem Plan zustimmen, also „von oben“ gefragt werden. Das ist die Ausgangslage.

Nach der Befragung der Experten im Verfassungsausschuss stehen realistisch zwei Modelle zur Diskussion: Entweder wird ein generelles Referendum in die Verfassung geschrieben, das ist der Vorschlag der rot-grünen Regierungskoalition. Der erste Anwendungsfall wäre dann die Abstimmung über Olympia. Oder es gibt ein Referendum nur über die Frage, ob sich Hamburg um die Olympischen Spiele bewerben soll oder nicht – eine Lex Olympia. Diesen Weg wollen CDU und FDP gehen.

„Es ist politisch nicht klug und verfassungspolitisch bedenklich, im Huckepack zu einer Sachfrage, nämlich Olympia, einfach die Verfassung zu ändern. Das tut man nicht“, sagt Manfred Brandt, der daher für eine Lex Olympia ist. Der Vorschlag von Rot-Grün für ein generelles Referendum, Hamburg-Referendum genannt, ist für Brandt „nicht überzeugend“. Auf Mehr Demokratie kann Rot-Grün also nicht zählen. Das wird noch von Bedeutung sein.

Sozialdemokraten und Grüne sind auf Stimmen der Opposition angewiesen

Erst einmal ist die Lage in der Bürgerschaft politisch verzwickt: Um die Verfassung zu ändern, was in beiden Fällen nötig wäre, braucht man zwei Drittel der 121 Abgeordnetenstimmen – also 81. SPD und Grüne kommen zusammen auf 72 Stimmen und benötigen daher die Unterstützung der Opposition. Die CDU verfügt über 20 Abgeordnete, die FDP über neun, das würde rechnerisch gerade ausreichen. Auch die Linken-Fraktion könnte mit ihren zehn Abgeordneten Rot-Grün zur Zwei-Drittel-Mehrheit verhelfen.

Die Verfassungsexperten plädierten in der Anhörung dafür, die Risiken und Nebenwirkungen von Referenden ausführlich zu erörtern und deswegen keinen Schnellschuss zu wagen. Doch dazu fehlt SPD und Grünen die Zeit. Um das Referendum über Olympia am 8. November abhalten zu können, was als spätester Zeitpunkt gilt, muss die Bürgerschaft die Verfassungsänderung bereits auf ihrer Sitzung am 6./7. Mai in erster Lesung behandeln.

Doch warum wollen SPD und Grüne unbedingt im Hauruck-Verfahren eine so weitreichende Verfassungsänderung durchsetzen? Warum nicht erst einmal nur eine Olympia-Abstimmung? Die Antwort hat einen Namen: Manfred Brandt. Sein Verein Mehr Demokratie hat einen eigenen Entwurf zur Einführung von Referenden vorgelegt – natürlich per Volksinitiative.

„Mehr Demokratie“ macht Rot-Grün mit eigener Volksinitiative Konkurrenz

Und dieser Entwurf hat es in sich, weil er die Macht der Bürgerschaft und vor allem der Regierungsmehrheit sehr stark einschränkt. Es soll nach einem Referendum keine Sperrwirkung für eine spätere Volksinitiative geben. Genau das ist Rot-Grün aber wichtig, um zu verhindern, dass zum Beispiel nach einem Ja zu Olympia im Referendum eine Volksinitiative gegen die Spiele gestartet wird. Mehr Demokratie will einen Gegenvorschlag aus der Bürgerschaft und zusätzlich aus dem Volk bei jedem Referendum ermöglichen. Das Initiativrecht für ein Referendum soll nicht mehr beim Senat, sondern ausschließlich bei der Bürgerschaft liegen. Und nach dem Willen von Brandt soll das Volk grundsätzlich per Referendum gefragt werden, wenn die Bürgerschaft eine Verfassungsänderung plant.

Angesichts dieses Katalogs sehen SPD und Grüne die Handlungsfähigkeit der Bürgerschaft, ja die Regierungsfähigkeit insgesamt in Gefahr. Und die Parlamentarier wollen nicht schon wieder zweiter Sieger sein und sich hinterher beklagen müssen – wie beim Wahlrecht oder der Volksgesetzgebung. Wenn jetzt die Einzelfalllösung einer Lex Olympia käme, würde Mehr Demokratie seine viel umfassendere Volksinitiative mit guten Chancen starten.

„Wir wollen uns die Gestaltungshoheit nicht schon wieder aus der Hand nehmen lassen“, sagt Farid Müller, Verfassungspolitiker der Grünen. Für die Ökopartei wäre es überdies aus einem anderen Grund heikel, wenn jetzt nur die kleine Lösung zustande käme. Wenn der Verein Mehr Demokratie mit seiner Initiative an den Start ginge, würde das im grünen Wählerspektrum wohl durchaus auf positive Resonanz stoßen. Vor allem ist die Verfassungsänderung zum Referendum aber die erste große Bewährungsprobe für Rot-Grün. Wenn sich weder CDU noch FDP oder die Linke überzeugen lassen, wäre das eine Schlappe für die neue Regierungsmehrheit, die mit einem wichtigen Vorhaben gescheitert wäre.