Noch gibt es nicht mal den Entwurf für einen Koalitionsvertrag, doch die SPD baut ihre Partner in spe dort ein, wo es ihr nützt.

Dieser Satz des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) hat die Chance, zum geflügelten Wort der rot-grünen Koalitionsverhandlungen, ja des absehbar daraus entstehenden Regierungsbündnisses zu werden. „Es geht nicht um einen Umbau, sondern um einen Anbau“, sagte Scholz zu Beginn der Gespräche mit Blick auf grüne Ansprüche und machte damit deutlich, wer im neuen Senat, sagen wir, „Koch“ und wer „Kellner“ ist. Mit diesen Begriffen hatte einst der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Machtverhältnisse in der ersten rot-grünen Koalition auf Bundesebene beschrieben und den Obergrünen Joschka Fischer damit zur Weißglut getrieben.

Umbau, Anbau – am Ende der fünften Woche der Verhandlungen sind die Arbeiten an der künftigen Regierungsarchitektur um eine Heimwerker-Variante reicher: Einbau. Noch gibt es gar keinen Entwurf für einen Koalitionsvertrag, geschweige denn ein Ja der grünen Basis zu Rot-Grün, aber die Spitzen der Grünen regieren gewissermaßen schon mit. Die SPD baut die Partner in spe dort ins Regierungshandeln ein, wo es ihr nützt. Das ist Vertrauensbildung auf höchster Ebene.

Fall eins betrifft das leidige Thema Busbeschleunigung, das der SPD in den vergangenen vier Jahren des Alleinregierens so viel Ärger eingebracht hat wie kein zweites. Am Dienstag präsentierten SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Andreas Dressel und Till Steffen, Verkehrsexperte der Grünen, eine Einigung mit der Volksinitiative, die das Senatsprogramm zur Beschleunigung des Busverkehrs stoppen will. Insgesamt 14 Punkte umfasst der Katalog von Änderungen: mehr Bürgerbeteiligung, mehr Baumschutz, Fahrkartenautomaten an den Haltestellen und eine bessere Koordinierung der Baustellen, um nur einiges zu nennen. Im Gegenzug wird die Volksinitiative gestoppt.

Am Mittwoch hat die Bürgerschaft den Kompromiss beschlossen – mit den Stimmen von Rot-Grün. Zum ersten Mal stand die künftige Regierungsmehrheit. Die Sozialdemokraten können den Grünen dankbar sein, denn es war die letzte Chance, den Fortgang der Volksinitiative noch abzuwenden, bevor die Erklärungsfrist der Bürgerschaft abläuft. Der künftige Senat muss sich also nicht mit einer Initiative gegen ein unpopuläres Projekt herumschlagen und das Risiko eingehen, einen Volksentscheid zu verlieren.

Die freundliche Hilfe der Grünen war selbstverständlich nicht uneigennützig: Die Ökopartei konnte einen Perspektivwechsel bei den noch ausstehenden Planungen durchsetzen: Der Straßenraum soll nicht mehr nur umgebaut werden, damit Busse schneller ans Ziel kommen. Alle Belange – die der Fußgänger, der Radfahrer, des Einzelhandels – sollen von vornherein berücksichtigt werden. Wenn’s klappt...

Wie bei einem Kompromiss üblich, mussten alle Seiten nachgeben: SPD, Grüne und die Initiative. Doch am weitesten war der Weg der SPD, die bis zur Wahl unbeirrbar und gegen alle Widerstände an ihrem Busbeschleunigungsprogramm festgehalten hatte. Die jetzt gefundene, sehr pragmatische Lösung trägt die Handschrift von SPD-Fraktionschef Dressel. Olaf Scholz darf man zutrauen, dass er den Weg des Alles oder Nichts wie beim Volksentscheid zum Rückkauf der Energienetze weitergegangen wäre. Warum auch immer, hat Scholz Dressel beim Thema Busbeschleunigung gewähren lassen.

Der zweite Fall grüner Quasi-Regierungsbeteiligung betrifft die Olympia-Bewerbung. Führende Sozialdemokraten haben sich in den vergangenen Tagen überschlagen im Lob für Grünen-Chefin Katharina Fegebank. Die Leiterin der Grünen-Gruppe bei den Koalitionsverhandlungen war kurzerhand mit dem offiziellen Olympia-Team um Innen- und Sportsenator Michael Neumann (SPD) zur entscheidenden Präsentation der Hamburger Bewerbung nach Frankfurt gereist. Fegebank konnte mit ihrer sportbegeisterten Art offensichtlich Bedenken beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) hinsichtlich der Grünen-Position ausräumen. Den Sportfunktionären war nicht nur die Einschätzung der Zuverlässigkeit und Standfestigkeit eines künftigen rot-grünen Senats in Sachen Olympia-Bewerbung wichtig.

Die Grünen und vor allem ihre Wählerklientel gelten in Großstädten wie Hamburg gewissermaßen als Zünglein an der Waage, wenn es um deutliche Mehrheiten für das Sport-Großereignis geht. Fegebank formulierte klare Bedingungen für ein Ja zu den Spielen, die Berliner Grünen dagegen lehnen Olympia kategorisch ab. Das soll eine wichtige Rolle bei der Entscheidung des DOSB für Hamburg gespielt haben. Fegebanks Frankfurter Reise war politisch mutig, weil sie im Lager der Grünen nicht auf ungeteilte Zustimmung traf. Auf der Haben-Seite steht für die Grünen immerhin, dass sie ihre Forderungen – finanzielle Transparenz, Nachhaltigkeit – in die Präsentation Hamburgs einbringen konnten.

Zweimal haben die Grünen also den Sozialdemokraten geholfen, die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Sie haben Verantwortung übernommen, ohne dass sie dafür direkt eine Gegenleistung bekommen haben. Das ist im politischen Geschäft eher unüblich. Den Verantwortungspolitikern an der Spitze der SPD imponiert das staatstragende Verhalten der einstigen Polit-Spontis natürlich. Das ist zugleich ein Stresstest für schwere Zeiten dereinst im Bündnis. Man kann es auch so ausdrücken: Beide Parteien haben sich längst aneinander gebunden.

Fegebank und Co. sind in Vorleistung gegangen, wobei die Hoffnung darin bestehen mag, dass ein rot-grüner Regierungsstil entsteht, bei dem sich beide Seiten auf Augenhöhe begegnen. Anders ausgedrückt: Es geht um nicht mehr als die Aufhebung des Verhältnisses von Koch und Kellner.

Aber letztlich ist Politik immer konkret. Das heißt: Die Bereitschaft der Grünen, Verantwortung zu übernehmen, bevor die Messe gelesen ist, soll, ja muss sich in den letzten Verhandlungsrunden der Koalitionäre in spe durch Entgegenkommen der SPD auszahlen. Vielleicht sogar, wenn es zum Schluss ans Eingemachte geht: den Zuschnitt der Ressorts und die Verteilung der Senatsposten.