Derzeit prüfen die Behörden eine Lieferung mit Munition aus den USA. Ziel: Russland. Von dem diskreten Geschäft mit Rüstung profitieren auch Reedereien und Transportunternehmen. Linke übt scharfe Kritik an Regierung.
Hamburg. Der Hamburger Hafen ist eine Drehscheibe für Rüstungsexporte – internationale und deutsche. Das verwundert nicht, schließlich gehen zwölf Prozent aller deutschen Waren für das Ausland über den Hafen im Norden, sogar 25 Prozent aller deutschen Exporte per Schiff. Nicht immer sind es harmlose Frachten wie Autoteile oder Bohrmaschinen. Das weltweite Geschäft mit Panzerteilen, Granatwerfern, Gewehren oder Munition boomt auch mit Hilfe des Hafens. Doch der Handel mit Rüstung ist immer ein Geschäft der Diskretion. Staat, viele Unternehmen und Transportgesellschaften hüllen sich in Schweigen. Nun aber zeigen Zahlen des Bundesfinanzministeriums erstmals die Bedeutung Hamburger Hafens als Umschlagplatz für Kriegswaffen.
Allein Ersatzteile für Panzer im Wert von 90 Millionen Euro wurden 2014 über den Hafen ins Ausland verschifft – Motoren, Ketten, Bleche. Die Ausfuhren von Bauteilen für U-Boote und Kriegsschiffe lagen sogar bei 224 Millionen Euro. Auch vollautomatische Waffen gehörten zu den Exportwaren, die über den Hamburger Hafen ins Ausland gingen. Insgesamt verschifften Reedereien 2014 Rüstungsgüter im Wert rund 320 Millionen Euro. Allein im vierten Quartal 2014 wurden Panzerteile im Wert von 30 Millionen Euro und U-Boot-Teile für 75 Millionen Euro per Schiff aus Hamburg transportiert. Das geht aus einer bisher unveröffentlichten Antwort des Bundesfinanzministeriums auf Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor, die dem Abendblatt vorliegt.
Die Transporte mit Panzerteilen, Waffen und Munition machen nur einen Bruchteil der Lieferungen aus, die über den Hamburger Hafen ins Ausland gehen. Insgesamt exportierte Deutschland 2014 Rüstungsgüter im Wert von 6,5 Milliarden Euro. Und dennoch ist Deutschlands Rolle als weltweiter Waffenexporteur politisch brisant. Kritiker sagen, die Bundesrepublik trage als Exporteur von Waffen einen Teilen der Verantwortung für Kriegsopfer und Gewalt. Wer die Lieferungen verteidigt, weist daraufhin, dass Waffen in Kriegen auch zur Verteidigung und Souveränität eines Staates gegen Feinde dienen. Zudem würden in Deutschland strikte Regeln für Exporte gelten. Doch trotz dieser Kontrollen, werfen Kritiker ein, sei nicht immer klar, in welchen Händen deutsche Waffen am Ende landen. Und es sind viele Waffen. Deutschland ist weltweit drittgrößter Exporteur.
Und doch gingen die deutschen Lieferungen in 2014 insgesamt zwar um mehr als 20 Prozent zurück, dennoch blieb die Zahl der Transporte in Drittländer hoch – also in Staaten, die weder zur Europäischen Union noch zum westlichen Verteidigungsbündnis Nato zählen. Saudi-Arabien etwa rangiert mit Genehmigungen von knapp 209 Millionen Euro auf Platz sechs der zehn wichtigsten Empfängerländer.
Saudi-Arabien steht in der Kritik
Linkspartei und Grüne kritisieren die Bundesregierung immer wieder dafür, Exporte von Waffen oder anderen militärischen Geräten wie gepanzerte Fahrzeuge an Staaten in Nahost oder Asien zu genehmigen. Zu groß sei die Gefahr, dass Militärs mit Rüstung von deutscher Herstellern Menschenrechte verletzen. Zu groß das Risiko, dass Waffen über Umwege auch an Terrorgruppen gelangen können. Gerade Saudi-Arabien steht in der Kritik, aus dem Land würden radikale islamistische Milizen unterstützt.
Die SPD um Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hatte im Koalitionsvertrag trotz Ärger mit einigen Unionspolitikern, der Industrie und Gewerkschaften eine striktere Exportkontrolle für Rüstung angekündigt. Und auch im Hamburger Hafen stoppte der Zoll nach Angaben des Finanzministeriums mehrere Lieferungen mit Militärgütern. So prüfen die Beamten noch immer einen Transport von Panzerketten und Ersatzteilen für Dieselmotoren aus Polen, der im September 2013 angehalten worden war. Ziel der Waren: Ägypten. 2011 wurden Proteste in Kairo auch mit Panzern niedergeschlagen, immer wieder kommen sie gegen die Zivilbevölkerung zum Einsatz. Und die Lage in dem Land ist weiter instabil, der frühere Armee-Chef regiert als Präsident.
Im Mai 2014 hielt der Zoll eine Lieferung aus den USA in Richtung Ukraine im Hamburger Hafen auf. Die Ladung: Schrotwaffen, Kleinkalibergewehre und Munition. In der Ukraine bekriegen sich derzeit prorussische Separatisten mit dem ukrainischen Militär. Für wen die Ware bestimmt war, sagen die Behörden auf Nachfrage des Abendblatts nicht. Mittlerweile, heißt es nur, habe der Versender von der Lieferung Abstand genommen.
Waffen im Hafen mit Ziel Russland
Doch eine weitere brisante Lieferung liegt derzeit zur Prüfung im Hafen. Im September hielten Beamte des Zolls Munitionspakete für Gewehre aus den USA an. Ziel: Russland. Genaue Angaben darüber, um welche Munition es sich handelt und für wen diese bestimmt ist, machen die Behörden nicht. Nach Information des Abendblattes soll es sich nicht um Patronen für Kriegswaffen handeln, sondern eher für Sportgewehre. Das kann harmlos sein. Und doch berichteten Augenzeugen im Osten der Ukraine, dass Separatisten auch mit Jagdgewehren bewaffnet seien. Die deutsche Regierung hatte 2014 den Export von Rüstungsgütern nach Russland gestoppt.
Der Hamburger Rüstungsexport-Gegner und Linkspolitiker Jan van Aken zeigt sich aufgrund der aktuellen Zahlen überrascht, wie viele Kriegswaffen über Hamburg ausgeliefert würden. „Durch den Umschlag von Waffen und Rüstungsgütern trägt auch Hamburg bei zu Tod, Gewalt und Krieg in die Welt“, sagt van Aken. Er fordert einen Stopp der Exporte über den Hafen.
In Bremen hatte die Bürgerschaft beschlossen, keine Transporte von nuklearen Kernbrennstoffen mehr über den Hafen zuzulassen. Ein Verbot von Rüstungslieferungen über den Hafen in Hamburg wäre vor allem ein politisches Signal. Dem weltweiten Export von Waffen in Krisenstaaten wäre damit kein Ende gesetzt. Von dem Milliardengeschäft profitieren nicht nur die Hersteller, sondern im deutlich geringeren Maße auch die Transportunternehmen. Manche Reeder argumentieren damit, dass in Deutschland anders als in manchen anderen Staaten strikte Kontrollen und Genehmigungen Rüstungsexporte regeln. Genehmigungen und Kontrollen können Zweck und Ziel von Waffenlieferungen zumindest im gewissen Maße steuern. Reedereien wie Hapag-Lloyd aber lehnen nach eigenen Angaben Anfragen für Waffenexporte in Krisenstaaten wie Saudi-Arabien ab – ganz gleich, ob von den Behörden genehmigt oder nicht.
Die Linkspartei listete 2012 allein in Hamburg knapp 100 Firmen, die Rüstung produzieren oder Bauteile für Panzer, Schiffe oder Waffen herstellen. Dabei geht es nicht immer um Munition oder Torpedos. In den meisten Fällen stellen sie Gummiabdichtungen oder Schrauben für militärisches Gerät oder Fahrzeuge her. Auskunft über Auftraggeber oder Zielländer der Produkte wollte auf Nachfrage des Abendblatts jedoch niemand geben. Waffenexporte sind kein Geschäft, das in der Öffentlichkeit gut ankommt.
Und auch die Behörden sind wenig auskunftsfreudig. Wer beim Senat, bei Ministerien und Bundesämtern nachfragt, bekommt selten detaillierte Auskunft. Es gibt laut Bundesregierung keine systematische Erfassung aller Waffenexporte über den Hamburger Hafen – dabei sind Zahlen über deutsche Ausfuhren im jährlichen Rüstungsexportbericht der Regierung angegeben.
„Scholz fürchtet Debatte um Kriegswaffen in Hamburg“
In den meisten Fällen berufen sich die Beamten auf den notwendigen Datenschutz und dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen einzelner Unternehmen. Für die Regierung stehen bei der Diskretion auch Sicherheitsinteressen im Vordergrund. Dennoch kritisiert vor allem die Linkspartei, es sei von öffentlichem Interesse zu erfahren, ob und in welchem Maße der Hamburger Hafen für den Umschlag tödlicher Fracht genutzt werde. „Es wäre ein Leichtes für den Senat, umfassende Zahlen von den Bundesbehörden zu bekommen, aber offenbar fürchtet Bürgermeister Olaf Scholz die Debatte um Kriegswaffen im Hamburger Hafen“, so van Aken. Sehr mühsam fragen Politiker wie Jan van Aken nun per Zollcode einzelne Rüstungsgattungen ab.
Auch der Hamburger Senat beantwortet Anfragen der Opposition nur äußerst dünn. Man habe keine Daten für Jahreszeiträume, heißt es. Auf Drängen der Bürgerschaft plant der SPD-Senat nun aber Angaben im Rahmen des Transparenzgesetzes Informationen über Rüstungsexporte im Hamburger Hafen zu veröffentlichen. Dies solle „zeitnah“ geschehen. Einen genauen Zeitplan nennt der Senat nicht.
Zuletzt gingen deutsche Waffenlieferungen auch in den Irak und nach Syrien. Die Bundesregierung unterstützt kurdische Peschmerga im Kampf gegen die Terrorgruppe „Islamischer Staat“. Die Waffenexporte in Richtung Kurden fanden sogar vereinzelte Mitglieder der Linkspartei richtig.