Die SPD regiert durch, die Debatten sind oft langweilig, das Volk zappt weg. Jetzt gibt es überraschende Vorschläge für eine Reform der Bürgerschaft. Was halten Sie davon?
Hamburg. Das muss einem erst einmal jemand erklären: Ausgerechnet wenn es ums Geld geht, schalten die Leute ab. Mehr als 13 Milliarden Euro verteilten die Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten bei den dreitägigen Haushaltsberatungen in dieser Woche. Und nicht nur das: Traditionell stand auch die Generalabrechnung der vier Oppositionsfraktionen mit der SPD-Alleinregierung von Bürgermeister Olaf Scholz auf der Tagesordnung. Und was passiert? Die Einschaltquote sinkt dramatisch.
Statt der sonst immerhin dreistelligen Zuschauerzahlen auf dem Online-Kanal der Bürgerschaft verfolgten nur noch ein paar Dutzend das dreitägige Vor- und Abrechnen im Rathaus – vermutlich vor allem Politiker und Journalisten.
Und Letztere mäkelten dann auch noch über die langweiligen Debatten. Von „verpassten Chancen“ und „gescheiterter Abrechnung“ war da zu lesen. Unter den professionellen Zuschauern war plötzlich eine Sehnsucht nach handfesteren Redeschlachten zu spüren, nach mehr rhetorischen Überraschungen und weniger abgedroschenen Phrasen. Was Opposition und Regierung da von sich gäben, habe man doch schon x-mal gehört, hieß es hier und da. Womit sich am Ende wohl auch das Wegzappen des Wahlvolkes erklären ließe.
Auch die Debatten im Bundestag werden laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung als langweilig und berechenbar empfunden. Während in den 80er-Jahren noch zwei Drittel der Bundesbürger gelegentlich Plenardebatten in Radio oder Fernsehen verfolgten, sind es heute noch 27 Prozent. Wie im Bundestag macht man sich nach den Erfahrungen nun auch in Hamburg Gedanken, wie der Parlamentarismus wieder anziehender gestaltet werden könnte.
„So kann es nicht weitergehen“, sagte etwa der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete und Verfassungspolitiker André Trepoll noch während der Haushaltsberatungen. „Der Parlamentsbetrieb muss nach außen und innen interessanter und attraktiver werden.“ Die CDU plädiere dafür, künftig nicht mit größeren Abständen, sondern wöchentlich zu tagen – dafür aber kürzer und auch nicht erst ab 15 Uhr, sondern bereits morgens. Die Redezeiten sollten stärker begrenzt werden, so Trepoll – auch für Senatoren, die es im Parlament bisher fast immer weidlich ausnutzen, dass ihre Redezeiten nicht begrenzt sind.
Zudem solle eine Bürgermeister- und Senatoren-Fragestunde eingeführt werden, bei der die Senatsvertreter den Abgeordneten Rede und Antwort stehen müssten. Denkbar sei es auch, zugewählte Bürger an der Ausschussarbeit zu beteiligen.
FDP-Frontfrau Katja Suding schlägt neue Locations vor
FDP-Fraktionschefin Katja Suding betont zwar, dass man sich auch auf ernste Debatten einlassen müsse. Gleichwohl schlägt auch sie Änderungen vor, etwa häufigere Auftritte von prominenten Gastrednern – oder auch die Verlegung von Ausschusssitzungen oder Plenardebatten an zu den Themen passende Orte. So könne man über Hochschulpolitik im Audimax der Universität debattieren und in der Elbphilharmonie über den Kulturetat, sagt Suding.
SPD-Fraktionschef Andreas Dressel lobt die Bürgerschaft zwar als „sehr bürgernahes Landesparlament“. Dennoch rät er dazu, „die neue, erstmals fünfjährige Wahlperiode zu nutzen, um gemeinsam zu schauen, wie wir Debatten noch attraktiver machen können“. Warum solle man nicht „bei einer Debatte zu später Stunde, die keinen vom Hocker haut, die Reden zu Protokoll geben können wie im Bundestag?“, sagt Dressel.
„Damit hätten wir umgekehrt mehr Zeit für die wirklich spannenden Debatten. Denn Sternstunden im Parlament gibt es auch – die sollten aber in der Tat mehr werden.“
Grüne: Die Bürgerschaft muss sich professionalisieren
Am weitesten gehen die Reformvorschläge des Grünen-Fraktionschefs Jens Kerstan. Er plädiert für eine radikale Umgestaltung der Bürgerschaft: Statt des Feierabendparlaments mit einer für ein kleines Bundesland stattlichen Zahl von 121 Nebenberufsabgeordneten mit nur geringen Diäten von 2500 Euro brutto setzt er auf eine Verkleinerung und Professionalisierung der Bürgerschaft.
„Wir sollten diskutieren, welche Vor- und Nachteile das haben würde“, sagt Kerstan. „Ich persönlich befürworte eine Abschaffung des Teilzeitparlaments und eine Verkleinerung auf rund 80 Abgeordnete. Das Thema wird bei uns Grünen noch strittig diskutiert. Aber ich glaube, fertige Modelle sollten am Ende der Debatte stehen und nicht am Anfang.“
SPD fürchtet um Nähe der Abgeordneten zur Berufswelt
Die SPD ist der Idee zwar nicht vollkommen abgeneigt – weist aber auch auf die Nachteile hin. „Es gibt Argumente für ein kleineres Vollzeitparlament und Gründe dagegen – die Meinungen gehen übrigens quer durch die Fraktionen, was eine Lösung nicht einfacher macht“, sagt SPD-Fraktionschef Dressel.
„Ein kleineres Vollzeitparlament wäre zwangsläufig mit einem Rückzug aus der Fläche verbunden, weniger Wahlkreisabgeordnete betreuen mehr Bürger – das ist das Gegenteil von mehr Bürgernähe. Auch die feste Verankerung vieler Abgeordneter im beruflichen Leben ginge verloren. Dagegen wiegt gleichwohl schwer, dass die weniger Abgeordneten mehr Zeit hätten, sich in Sachverhalte einzuarbeiten.“
HSH-Milliarden, Elbvertiefung – die Themen für die Abgeordneten werden komplexer
Tatsächlich haben die Feierabend-Abgeordneten immer häufiger über hochkomplexe Themen zu entscheiden – vom milliardenschweren Rückkauf der Energienetze über Milliarden-Garantien für die HSH-Nordbank, Beteiligungen an Hapag-Lloyd bis zu den Elbphilharmonie-Verträge.
Gerade die schlechter ausgestatteten kleineren Fraktionen klagen zunehmend darüber, dass es zur Unterstützung nicht einmal einen wissenschaftlichen Dienst gibt. Ob ein Profi-Parlament die Lösung wäre, darüber ist man sich aber keinesfalls einig.
„Grundsätzlich kann ich mir die Bürgerschaft auch als Berufsparlament vorstellen. Man muss aber auch die Nachteile sehen“, sagt Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD). So hätten sich „die Hamburger per Volksabstimmung für 17 Mehrmandatswahlkreise plus Landeslisten entschieden, da kann man die Zahl der Abgeordneten kaum reduzieren“. Zudem würde ein Profi-Parlament wohl teurer werden. Denn natürlich müssten die Diäten auf das Niveau anderer Länderparlamente angehoben werden, wenn die Abgeordneten ihren Berufen nicht mehr nachgehen können.
Eine Enquete-Kommission soll die Debatte anstoßen
„Das würde den Charakter des Parlamentes verändern. Ob es spannender werden würde, ist offen“, sagt Linken-Fraktionschefin Dora Heyenn. Die CDU lehnt die Umwandlung in ein Parlament von Berufspolitikern ab. „Das Fortbestehen des Teilzeitparlamentes ist für uns die rote Linie“, sagt ihr Verfassungspolitiker Trepoll. „Ein Berufsparlament kommt für uns nicht infrage. Wir sind überzeugt von dem Vorteil, dass die Abgeordneten im wirklichen Leben stehen. Aber die Rahmenbedingungen müssen reformiert werden.“
Das sieht auch Trepolls Parteifreund Robert Heinemann so, der mit dem Ende der Wahlperiode freiwillig aus der Bürgerschaft ausscheidet und daher unverdächtig ist, im eigenen Interesse zu reden. „Das neu gewählte Parlament sollte überlegen, eine Enquete-Kommission für eine Parlamentsreform einzusetzen“, sagt Heinemann. „Die derzeitigen Abläufe passen nicht mehr zu einer veränderten Welt.
Die öffentliche Diskussion entwickelt und dreht sich heute deutlich schneller, die Ausschüsse tagen seit über 20 Jahren öffentlich, soziale Medien und die Einführung von Wahlkreisen haben den Kontakt zu Abgeordneten vereinfacht und die Bürger nutzen immer selbst-verständlicher die Instrumente der direkten Demokratie.“ Die Plenarsitzungen hätten daher an Bedeutung verloren, konstatiert Heinemann dazu. „Die Bürgerschaft hechelt heute häufig den Debatten hinterher anstatt sie zu starten und zu prägen.“