Der leitende Oberstaatsanwalt Ewald Brandt und Generalstaatsanwalt Lutz von Selle haben in einem vierseitigen Brief an Justizsenatorin Jana Schiedek ihrem Ärger Luft gemacht.

Hamburg. Ewald Brandt, Leitender Oberstaatsanwalt und Chef der Staatsanwaltschaft, ist ein freundlicher und zurückhaltender Mann. Doch wenn Brandt über die aktuellen Sparzwänge spricht, die der SPD-Senat seiner Behörde auferlegt hat, dann legt sich seine Stirn in Falten, und er kneift angestrengt die Augen zu: „Was mich von Anfang an geärgert hat, ist, dass zwar die Polizei zu Recht wegen der Priorität des Bereichs der inneren Sicherheit von den Einsparungen des Senats ausgenommen ist, nicht aber die Strafjustiz“, sagt Brandt im Gespräch mit dem Abendblatt. „Für mich ist das ein gravierender Planungsfehler.“

So werde es zu Engpässen bei der Bearbeitung von Strafverfahren an der Schnittstelle zwischen Kriminalpolizei und Justiz kommen. „Es wird bei uns alles langsamer gehen, besonders bei Wirtschaftsverfahren. Das ist manchmal nicht zu ertragen“, sagt Brandt.

Brandt und Generalstaatsanwalt Lutz von Selle haben in einem vierseitigen Brief, der der Redaktion vorliegt, an Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) nun ihrem Ärger Luft gemacht – allein diese Tatsache ist ein ungewöhnlicher Vorgang. „Die von uns zu leistende Arbeit ist schon jetzt nicht mehr in einer rechtsstaatlichen Erfordernissen genügenden Gründlichkeit und Schnelligkeit zu erbringen“, heißt es mit bemerkenswerter Klarheit in dem Brief.

Konkret geht es darum, dass die Staatsanwaltschaft bis 2015 rund fünf Prozent ihres Personals abbauen muss: von 523 Stellen im Jahr 2012 auf 498 Stellen, wobei der größte Teil mit rund 17 Stellen schon im laufenden Jahr zu erbringen ist. „Wir haben darauf hinzuweisen, dass die geplanten Sparmaßnahmen dazu führen werden, dass die Staatsanwaltschaft ihre Aufgaben noch weniger wird erfüllen können“, schreiben Brandt und von Selle.

Brandt räumt ein, dass die Eingangszahlen – also die Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren – stagnieren oder teils leicht rückläufig sind. „Das blendet aber aus, dass sich die Wirklichkeit in der Verfahrensbearbeitung in den vergangenen zehn Jahren erheblich geändert hat“, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt. Zum einen seien zusätzliche Aufgaben für die Ermittlungsbehörde hinzugekommen. Das betreffe die Dokumentations- und Benachrichtigungspflicht zum Beispiel nach Telefonüberwachungen. „Jeder, der abgehört wurde, auch als Nichtverdächtiger, muss von uns benachrichtigt werden“, sagt Brandt.

Noch stärker falle ins Gewicht, dass die Ermittlungen aufwendiger geworden seien als etwa noch in den 1990er-Jahren. „Straftäter nutzen zum Beispiel heute Handys und telefonieren nicht mehr über das Festnetz“, so Brandt. Zudem würden die Mobiltelefone häufig gewechselt, um Spuren zu verwischen. „Wir müssen dann mühsam die neue Handynummer herausfinden und für jedes neue Handy eine neue Telefonüberwachung beantragen.“

Bei zahlreichen Delikten seien die internationalen Bezüge stärker als früher, was die Ermittlungen häufig erschwere. „Beschuldigte nutzen ihre Rechte offensiver als früher, und die Geständnisbereitschaft hat abgenommen“, sagt der erfahrene Staatsanwalt. „Und die Opferrechte sind erheblich ausgebaut worden. Ich kritisiere das nicht, nur führt es zu längeren Verfahren“, so Brandt. Außerdem wirke die eigentlich ausschließlich repressiv orientierte Staatsanwaltschaft auch vermehrt präventiv – etwa im Bereich der Jugendgewalt. „Das alles ist in Ordnung, nur können wir in dieser Lage nicht Personal abbauen“, sagt Brandt.

Die nüchternen Zahlen sprechen für sich: Die allgemeinen Strafverfahren dauerten bei der Staatsanwaltschaft 2010 noch 62 Tage, 2011 schon 69 Tage und im vergangenen Jahr schließlich 71 Tage. In der Summe aller staatsanwaltlichen Verfahren vergingen zwischen Eingang und Abschluss 2010 37 Tage, im Jahr darauf 39 Tage und 2012 schließlich 40 Tage. „Im ersten Halbjahr 2013 betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer 43 Tage“, sagt Brandt.

„Wenn Verfahren sehr lange dauern, gibt es Strafabschläge für die Verurteilten“, so der Oberstaatsanwalt, den das verbittert. Nach neuem EU-Recht können Beschuldigte sogar Schadenersatz verlangen. Während die Polizei modernisiert und dadurch die Strafverfolgung straffer werde, ergebe sich bei der Strafjustiz ein Engpass. „Das führt natürlich zu Frust bei der Polizei“, sagt Brandt. In der etwas komplizierten Beamtensprache des Briefs der beiden Top-Staatsanwälte klingt das so: „Auf den Punkt gebracht heißt dies, dass für die schon jetzt in Folge unzureichender Personalausstattung nicht mehr sachgerecht agierende Strafjustiz eine weitere Verschärfung der Belastungssituation u. a. dadurch herbeigeführt wird, dass sie Stelleneinsparungen zugunsten des polizeilichen Bereichs erbringt, damit dieser in der Strafverfolgung seinen Bearbeitungsumfang beibehalten und auf die Strafjustiz zusteuern kann.“ Im Klartext: Während die Polizei unvermindert Verfahren abschließen kann, kommt die Staatsanwaltschaft wegen des „deutlichen Personalabbaus“ nicht mehr nach.

„Das Mindeste ist, dass kommuniziert werden muss, dass wir nicht mehr so leistungsfähig sind wie in den vergangenen Jahren“, sagt Brandt.