Die rechtskonservative Partei möchte bei Wahl enttäuschte FDP-Wähler ansprechen. Politikforscher sieht in Spaltung der Liberalen „Todesurteil“. Experte gibt der AfD in Hamburg gute Chancen.

Hamburg. Nach dem Wahlerfolg in Sachsen hat die Alternative für Deutschland (AfD) nun ihr Wahlziel für die Bürgerschaftswahl in der Hansestadt benannt. „Wir erhoffen uns sieben bis acht Prozent“, sagte der Hamburger AfD-Chef Prof. Jörn Kruse dem Abendblatt. Dabei sei es nach der Spaltung der Hamburger FDP „natürlich“ auch das Ziel seiner Partei, frühere FDP-Wähler anzusprechen. „Wir haben dazu alle Chancen, wegen unseres Programms und wegen unserer Personen.“

Der Professor für Wirtschaftspolitik sieht dabei nicht die Gefahr, dass die Hamburger nach den Erfahrungen mit der Schill-Partei skeptischer auf Neugründungen reagieren könnten, die sie im rechten Spektrum verorten. „Die AfD gehört nicht zum rechten Spektrum“, beteuert Kruse analog zur Bundeslinie. Er sieht sie als „eine liberale und konservative Partei, primär eine seriöse bürgerliche Partei der Vernunft“. Frühere Spitzenleute der Schill-Partei, wie Fraktionschef Norbert Frühauf, Schills Büroleiter Dirk Nockemann und einige Abgeordnete, würden vor allem wegen der Parallelen beim Thema Innere Sicherheit in der AfD mitarbeiten, sagt Kruse.

Dass die CDU in Hamburg eine Kooperation mit seiner Partei ausschließt, nimmt Kruse mit einer gewissen Herablassung. Erstens redeten „alle etablierten Politiker nach der Wahl anders als vorher“, so Kruse. Und zweitens sei „dieses Thema uninteressant, weil die CDU für die Koalition mit der AfD gar nicht stark genug ist“.

Zu seinen zentralen Anliegen erklärt er erstens „das Leistungsprinzip und die Differenzierung in der Bildungspolitik“. Zweiter Schwerpunkt der AfD sei eine liberale, marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik, drittes Thema eine „klare Priorität für den Rechtsstaat“.

Personell sei die Partei in der Lage, bereits 2015 Regierungsverantwortung in Hamburg zu übernehmen, glaubt Kruse. Schwieriger stehe es um die Finanzen für den Wahlkampf. „Wir haben deutlich weniger Geld als alle Mitbewerber, weil wir noch nicht von der staatlichen Finanzierung profitieren“, so Kruse.

Der Hamburger Parteienforscher Prof. Elmar Wiesendahl gibt der AfD in Hamburg gute Chancen. „Auch wenn der Hamburger Spitzenkandidat möglicherweise nicht so überzeugend auftritt wie manche andere Kandidaten – meines Erachtens wird es die Partei auf jeden Fall in die Bürgerschaft schaffen“, so Wiesendahl. Die AfD sei „inhaltlich und von der Ausrichtung her betrachtet etwas ganz Neues“. „Marktliberal, wertkonservativ und national – aber nicht nationalistisch im Sinne der NPD. Sie ist vergleichbar mit den US-Republikanern.“

Die CDU habe mit dem liberalen Kurs eine „riesige Marktlücke“ hinterlassen, die die AfD jetzt fülle. „Der Versuch der Union, die AfD in die Schmuddelecke zu rücken, ist jetzt schon gescheitert“, so Wiesendahl. „Der Aufstieg der AfD ist vergleichbar mit dem der Grünen: Sie wird bleiben. Und irgendwann wird die CDU auch mit der AfD koalieren, so wie die SPD nach einer Weile mit den Grünen koaliert hat.“

Für die FDP sieht Wiesendahl dagegen schwarz. „Die Spaltung ist ein Todesurteil für die FDP als ganze“, sagt der Politikwissenschaftler. Auch der neuen Formation, die die ausgetretene frühere Parteichefin Sylvia Canel gründen will, räumt er keine Chancen ein. „Der Versuch, in die sozialliberalen Zeiten der 1970er-Jahre zurückzukehren, kann auch für eine neue Partei nicht gelingen. Die Bedingungen heute sind ganz anders als damals“, so Wiesendahl.

Die mögliche neue Gruppierung von Canel und Co. erscheint Wiesendahl denn auch „wie ein Bündnis der Versprengten und Enttäuschten“. In Hamburg gelinge es der FDP seit den 1990er-Jahren nicht mehr, das Bildungsbürgertum anzusprechen. „Ingo von Münch war der Letzte, der in den akademischen Bereich hineinwirken konnte – weil er selbst aus diesem Milieu stammt.“ Heute gehe es fast ausschließlich um „Pfründe, Machttaktik und Besitzstandswahrung. Davon fühlt sich das Bildungsbürgertum nicht angezogen. In Wahrheit fühlt sich niemand davon angezogen.“ Daher werde „die FDP der nächsten Bürgerschaft nicht mehr angehören “.

Was die Umbrüche der Parteienlandschaft für die Bürgerschaftswahl insgesamt bedeuten könnten, will Wiesendahl aber nicht prognostizieren – dafür seien die Hamburger Wähler zu unberechenbar. „Hamburg ist ein Schmelztiegel mit einer enorm hohen Volatilität unter den Wählern“, so der Forscher. „Es gibt ein sehr großes Potenzial von Wählern, die schnell ins Lager des Protests wechseln. Man rechnet mit etwa 20 Prozent vagabundierenden Wählern.“ Das könne immer wieder zu Überraschungen führen.