Die Stadt Hamburg muss Rückstellungen um 6,8 Milliarden auf 26 Milliarden Euro erhöhen erhöhen. Das geht aus einem Gutachten von Aon Hewitt hervor. Die FDP sieht den Bedarf sogar gut doppelt so hoch.
Hamburg. Es ist seit vielen Jahren bekannt, dass Hamburg ein riesiges finanzielles Problem vor sich herschiebt. Jetzt haben Experten es so genau wie nie zuvor berechnet, und das Ergebnis ist einigermaßen schockierend: Die Pensionsverpflichtungen der Stadt, also die Leistungen, die den jetzigen Pensionären und denen, die es absehbar einmal werden, zustehen, sind um etliche Milliarden Euro höher als bislang angenommen. Die Rückstellungen, die die Stadt dafür bilden muss, sollen um 6,8Milliarden Euro erhöht werden – von 19,2 auf 26 Milliarden.
Das ist das Ergebnis eines Gutachtens, das der Senat bei Aon Hewitt in Auftrag gegeben hat, einem US-Konzern, der sich selbst als das weltweit führende Personalberatungsunternehmen bezeichnet. „Das Gutachten wurde beauftragt, weil der Hamburger Haushalt zum 1. Januar 2015 auf eine kaufmännische Systematik umgestellt wird“, sagte Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD). „Dabei ist eine zuverlässige Ermittlung der Versorgungsrückstellungen erforderlich.“ Denn nach den neuen, aus der Wirtschaft übernommenen Haushaltsgrundsätzen ist die Stadt verpflichtet, wie ein Unternehmen auch alle künftigen Verpflichtungen im Etat abzubilden.
Hamburgs Eigenkapital mittlerweile negativ
Eine tatsächliche Vorsorge muss sie dafür jedoch nicht treffen. Daher bildet sie auch weiterhin nur Rückstellungen, die im Gegensatz zu Rücklagen lediglich auf dem Papier vorgenommen werden. Eine solche Bilanz, in der Vermögen und Schulden gegenübergestellt werden, legt die Stadt bereits seit einigen Jahren freiwillig vor, um einen realistischeren Blick auf ihre finanzielle Lage zu bekommen.
So wurde unter anderem deutlich, dass Hamburgs Eigenkapital mittlerweile negativ ist – die Summe aller Verbindlichkeiten übersteigt also das Vermögen der Stadt mitsamt aller Straßen, Gebäude und Hafenanlagen. „Wäre Hamburg ein Konzern, wäre er pleite“, hatte Finanzsenator Tschentscher es einst drastisch umschrieben. Mit der Erhöhung der Pensionsrückstellungen um 6,8 Milliarden Euro wächst das negative Eigenkapital der Stadt entsprechend und nähert sich der Marke von zehn Milliarden Euro.
Der Finanzsenator legt Wert darauf, dass das nichts mit der Politik dieses Senats zu tun habe, sondern schlicht Folge der neuen, realistischeren Bewertung von Vermögen und Verbindlichkeiten sei. Im Gegensatz zur bisherigen Betrachtungsweise habe Aon erstmals akribisch alle möglichen Variablen von 137.000 Mitarbeitern – 73.000 Aktiven und rund 64.000 Pensionären – untersucht: Wer arbeitet noch wie lange? Wer wird wann befördert? Wie entwickeln sich die Löhne? Wie alt werden die Menschen? Alle diese Parameter sind in das Gutachten eingeflossen, für das die Stadt rund 70.000 Euro bezahlt hat.
„Das Gutachten stärkt unser Ziel, mehr Transparenz in das Haushaltswesen der Stadt zu bringen“, sagte Jan Quast, Finanzexperte der SPD-Fraktion. „Wer heute Personal einstellen will, wird auch die Folgekosten für Pensionen und Zusatzversorgung beachten müssen und nicht erst kommenden Generationen aufdrücken können.“
Opposition: Zins von sechs Prozent viel zu hoch
Das Ziel, spätestens 2019 keine Schulden mehr zu machen, werde durch die Rückstellungen nicht beeinträchtigt, betonte Quast. Für die tatsächlichen Pensionszahlungen, die parallel zur Zahl der Versorgungsempfänger in den kommenden Jahren stark ansteigen, bevor sie wieder absinken, sei Vorsorge getroffen worden: Die Mehrbelastungen würden mit eigens dafür geschaffenen Sondervermögen ausgeglichen, die zusammen über fast eine Milliarde Euro verfügen. Umstritten am Senatsvorgehen ist der Zinssatz von sechs Prozent, mit dem die Pensionsverpflichtungen abgezinst werden.
Denn die 26 Milliarden Euro entsprechen nicht den tatsächlichen Ansprüchen der Pensionäre, die dürften eher im Bereich um 60 Milliarden Euro liegen. Da dieses Geld jedoch über mehrere Jahrzehnte gestreckt ausgezahlt werden muss und der Geldwert stetig sinkt, wird eine niedrigere Summe zurückgestellt– die Rückstellung wird also virtuell verzinst. Dabei gilt: Je niedriger der angesetzte Zins, desto höher müsste die Rückstellung sein. Laut Aon Hewitt wären es bei fünf Prozent 29,6 Milliarden Euro, und bei drei Prozent fast 40 Milliarden Euro.
Die Opposition hält den Zins von sechs Prozent für viel zu hoch. „Das sind Mondzinsen, die den realen Bedarf verschleiern“, sagt CDU-Haushaltsexperte Roland Heintze. Sie stünden auch im Widerspruch zu Senatsangaben vom August 2013: „Damals war die Finanzbehörde selber noch von 4,93 Prozent, im schlechtesten Fall sogar von nur 3,95 Prozent, ausgegangen“, so Heintze.
Der Senat rechne sich die Situation schön, kritisierte auch Robert Bläsing (FDP). Im Haushaltsgrundsätzegesetz sei klar geregelt, dass Rückstellungen für Pensionen mit 3,95 Prozent Verzinsung zu berechnen sind. „Damit beträgt der zusätzliche Rückstellungsbedarf der Stadt nicht 6,8, sondern mindestens 15 Milliarden Euro.“