Um Abschulungen zu vermeiden, sollten Eltern und Schüler sich beim Schulwechsel gut beraten lassen. An einigen Schulen reicht der Anteil der Schüler ohne Gymnasialempfehlung an 50 Prozent heran.
Hamburg. Die Entscheidung, auf welche Schulform ein Kind wechselt, liegt in Hamburg bei den Eltern. Die Gymnasien müssen jeden Schüler aufnehmen, Hauptkriterium ist laut Schulbehörde die Entfernung des Wohnorts. Über die Abschulung der Jungen und Mädchen nach der sechsten Klasse entscheidet die Zeugniskonferenz. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen – von 559 im Jahr 2012 auf 770 laut Schuljahresstatistik 2013. Abschulungen nach der sechsten Klasse sind nur mit Einverständnis des betroffenen Schülers und seiner Eltern möglich. Auch die Schulaufsicht muss zustimmen. Das Credo von Schulsenator Ties Rabe (SPD): Es soll nicht dogmatisch für oder gegen eine Abschulung entschieden werden; im Mittelpunkt muss das Wohl des Schülers stehen. Allerdings solle es den Gymnasien nicht zu einfach gemacht werden, die Förderung und Verantwortung für den Schüler abzugeben.
Daran hapert es jedoch offensichtlich: 23 Prozent der Gymnasiasten müssen schließlich bis zur zehnten Klasse auf die Stadtteilschule wechseln, in sozialen Problemstadtteilen sind es sogar 58 Prozent, wie die Senatsantwort auf die Anfrage der Linke-Fraktionsvorsitzenden Dora Heyenn zeigt. Ohnehin ist die Zahl der Schüler aus sozial benachteiligten Stadtvierteln, die ein Gymnasium besuchen, im Vergleich sehr gering, wie die Schuljahresstatistik ausweist. Heyenn fordert: „Dem Abschulen muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden. Abschulen ist bequem, aber kinder- und jugendfeindlich.“ Die hohen Zahlen, von denen Heyenn selbst überrascht war, zeigten, dass sich viele Gymnasien als Selektionsanstalt verstünden. Die Linke will nun mit einer Großen Anfrage an den Senat weiteres Licht in das Thema bringen.
Kinder, Eltern und Lehrer kennen die negativen Folgen des Abschulens
Groß ist der Anteil der Schüler, die nach der zehnten Klasse vom Gymnasium in die Oberstufe der Stadtteilschulen wechselt, um sich ein Jahr mehr Zeit bis zum Abitur zu lassen. An den Stadtteilschulen kann der Strom der „Rückläufer“ für Unruhe sorgen, insbesondere, wenn es viele sind. Für den fünften Jahrgang weist die Schuljahresstatistik in diesem Jahr 5996 Schüler aus, für die zehnte Klasse 7913 – also rund 2000 Jugendliche mehr. Sie müssen in die Klassen integriert werden.
Die Betroffenen – Kinder und Jugendliche, Eltern und Lehrkräfte der aufnehmenden Stadtteilschulen – könnten die schädlichen Auswirkungen des Abschulens bestätigen, die auch die Großstudie des neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie belegt habe, so Heyenn. Abschulen fördere nicht den Forscherdrang und die Wissbegierde der Kinder und Jugendlichen, sondern führe zu Misserfolgserlebnissen, zu Beschämungen und dem Gefühl, nicht mehr dazuzugehören. Die Linken-Politikerin Heyenn mahnt deshalb auch die Eltern, sich genau zu überlegen, ob sie ihr Kind gegen die Empfehlung der Lehrer aufs Gymnasium schicken. „Eltern sollten wissen, dass ein beträchtlicher Teil dieser Kinder es nicht schafft und auf die Stadtteilschule wechseln muss.“ Dieser Punkt ist auch Schulsenator Ties Rabe (SPD) wichtig: „Eltern sollten sich gut beraten lassen und genau überlegen, ob sie ihr Kind ohne Empfehlung aufs Gymnasium schicken“, appelliert sein Sprecher Peter Albrecht. Die Gymnasien berieten die Eltern bei den Aufnahmegesprächen unterschiedlich – auch abhängig davon, wie überlaufen ein Standort sei.
An einigen Schulen reiche der Anteil der Schüler ohne Gymnasialempfehlung an 50 Prozent heran. Während einige Gymnasien darauf spezialisiert seien, auch Schüler mit schwächerem Leistungsniveau zu fördern, hätten andere dies nicht so stark im Fokus. Generell aber gelte: „Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es ein erheblicher Teil der Schüler, denen zumindest in der vierten Klasse bescheinigt wird, dass sie keine gymnasiale Befähigung haben, nicht packt“, warnt Albrecht. Die Schulbehörde will die Beratung der Eltern deshalb im Vorfeld des Schulwechsels nach der vierten Klasse intensivieren. Dabei sollen künftig erstmals auch die individuellen Ergebnisse jedes Kindes bei der Kermit-Studie herangezogen werden.