Sozialsenator Detlef Scheele legt Sozialbericht vor. Wohlfahrtsverbände bestanden auf eigene Präsentation. Das Risiko, die Armutsschwelle zu unterschreiten, liegt in Hamburg bei 13 Prozent.

Hamburg. Eigentlich wollten die Vertreter der Hamburger Wohlfahrtsverbände den jüngsten Sozialbericht gemeinsam mit Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) vorstellen. Schließlich hatten sie maßgeblich daran mitgearbeitet und einen Teil mit ausführlich geschilderten Erfahrungen von Hamburgern, die in Armut leben, dazu beigetragen. Doch am Ende präsentierte Scheele der Öffentlichkeit den 416 Seiten umfassenden Bericht über die Lebenslagen von Hamburger Familien und Senioren ganz allein – und die Verbände luden zu einer eigenen Veranstaltung.

„Leider haben wir den Sozialbericht erst in der vergangenen Woche erhalten“, bemängelte Jens Stappenbeck, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände. In der Kürze der Zeit sei es nicht möglich gewesen, eine qualifizierte gemeinsame Stellungnahme zum Sozialbericht zu erarbeiten. Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde, versteht die Empörung nicht. Zwar stimme es, dass die Verbände den fertig gebundenen Bericht erst vor einer Woche erhalten hätten. „Aber die Daten lagen ihnen schon seit Monaten vor. Wir wollten eine gemeinsame Präsentation. Es waren die Verbände, die unsere Einladung ausgeschlagen haben.“

Im Wesentlichen sagt der Sozialbericht, der nach 2007 zum zweiten Mal in der Hansestadt erarbeitet wurde, aus, dass das durchschnittliche Nettoeinkommen eines Hamburger Haushalts mit 2960 Euro höher liegt als das in ganz Deutschland (2760 Euro). Das mittlere Einkommen bei Paaren mit Kindern habe sich von 2770 Euro im Jahr 2000 um 48 Prozent auf 4110 Euro im Jahr 2010 erhöht. Im Bund liegt das Einkommen bei 3580 Euro.

Bei Alleinerziehenden sei das durchschnittliche Einkommen von 1590 auf 2140 Euro (plus 35 Prozent) gestiegen (Bund: 2080 Euro). Rund 94 Prozent der Hamburger Senioren könnten ihren Lebensunterhalt aus eigenen finanziellen Mittel bestreiten. „Den Hamburgern geht es überdurchschnittlich gut“, sagte Sozialsenator Scheele. Allerdings sagt der Bericht nichts über die Lebenshaltungskosten aus.

Das Risiko, die Armutsschwelle zu unterschreiten, liegt in Hamburg bei 13 Prozent. Davon betroffen sind 212.000 Menschen. Dieser Wert schwankte im Erhebungszeitraum zwischen 13 und 14 Prozent. Im Bundesgebiet stieg der Wert von 13 auf 15 Prozent. Als arm gelten in Hamburg Menschen, die 903 Euro und weniger im Monat zur Verfügung haben. In einem Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren liegt der Wert bei 1896 Euro. Zum Vergleich: Als reich gilt man in Hamburg bei einem Einkommen von mindestens 3010 Euro. Bei vierköpfigen Familien sind es 6320 Euro. Die Reichtumsquote in Hamburg stieg von zehn auf 13 Prozent und betrifft 215.000 Personen. Die Reichtumsquote im Bund beträgt seit Jahren acht Prozent.

Das Armutsrisiko ist bei Menschen mit Migrationshintergrund höher (28Prozent) als bei denen ohne einen entsprechenden Hintergrund (acht Prozent). Überdurchschnittlich häufig von Armut bedroht sind weiterhin Kinder. Bei ihnen liegt das Risiko bei 20Prozent (45.000 Kinder). Allerdings ist in allen Gruppen ein Rückgang von zwei bis drei Prozentpunkten im Verlauf des zehnjährigen Zeitraums zu beobachten. „Fehlende Bildung oder eine nicht vorhandene berufliche Qualifikation sind ausschlaggebend für die Armutsgefährdung. Eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt durch eine höhere Qualifikation ist daher der Schlüssel zur Vermeidung von Armut“, sagte Scheele. Die Wohlfahrtsverbände bezogen sich in einer Stellungnahme auf ihren eigenen Berichtsteil und sehen einen dringenden Handlungsbedarf insbesondere bei den sozialen Transferleistungen, bei der Verbesserung der Servicequalität in den Jobcentern und bei der Bekämpfung der Wohnungsarmut. Während die städtische Wohnungsbaugesellschaft Saga GWG in den 1970er-Jahren mehr als 70 Prozent der Wohnungen nach sozialen Kriterien vermietete, seien es gegenwärtig gerade mal 30 Prozent, kritisierte Diakonie-Fachbereichsleiter Dirk Hauer. Um die Wohnungsnot bei armen Menschen zu reduzieren, ist es nach Ansicht der Wohlfahrtsverbände notwendig, dass die Saga jährlich rund 4500 Wohnungen an vordringlich Wohnungssuchende vergibt. Wie Michael Edele, stellvertretender Caritas-Direktor, sagte, müssten zudem die Hartz-IV-Regelsätze von derzeit 391 Euro auf mindestens 463 Euro erhöht werden. Eine gesellschaftliche Teilhabe sei auf der bisherigen Basis fast unmöglich. Mehr noch: „Armut macht krank“, fügte Edele hinzu. Die Experten berichteten zudem von schlechten Erfahrungen vieler Leistungsempfänger in den Jobcentern.

Scharfe Kritik kam von Katharina Fegebank, der sozialpolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion: „Der Sozialbericht beschreibt die Situation nur unzureichend. Er beschönigt die Entwicklung von Alters- und Kinderarmut. Statt zu sagen, dass jedes fünfte Kind in Armut lebt, rechnet Scheele vor, dass 83Prozent der Eltern über mittlere bis hohe Einkommen verfügen. Interessanter aber sind die 17 Prozent, die er nicht erwähnt.“ Cansu Özdemir (Linke) beklagte, dass der Senat versuche, die soziale Spaltung in Hamburg schönzureden. „Scheele klammert vollkommen aus, dass jeder dritte Hamburger unter prekären Bedingungen im Niedriglohnbereich arbeiten muss.“

Kritik kam auch von Friederike Föcking (CDU). Sie moniert, dass der Senat Einschränkungen bei den Beratungsangeboten für Arbeitslose vorgenommen habe.