Eine Studie der Justizbehörde enthüllt, wie teuer das Verfahren gegen die Piraten war - und macht Sparvorschläge. Mehr als zwei Jahre lagen zwischen Anklage und Urteil.
Hamburg . Kaum ein anderes Verfahren hat die Hamburger Justiz derart auf Trab gehalten, hat so viel Geld, Nerven und Zeit gekostet wie der Prozess gegen jene zehn somalischen Piraten, die am Ostermontag 2010 den Hamburger Containerfrachter "Taipan" gekapert und vier Stunden in ihrer Gewalt hatten. Ursprünglich sollte das Verfahren nur sechs Monate dauern. Am Ende lagen mehr als zwei Jahre zwischen Anklage und Urteil. Nun hat eine Arbeitsgruppe der Justizbehörde ermittelt, wie teuer das Verfahren den Steuerzahler zu stehen kommt - exakt 3.426.000 Euro. Dies entspricht etwa drei Prozent des Betrages, den die Stadt jährlich für die gesamte Strafverfolgung ausgibt.
Es war der erste Prozess gegen Piraten in Deutschland seit 400 Jahren: zehn Angeklagte, vertreten von 20 Verteidigern, zwölf Dolmetscher, regelmäßig über zehn Justizbeamte im Saal, 15 Zeugen, acht Sachverständige, vier Berufsrichter (plus Ergänzungsrichter), vier Schöffen (plus zwei Ergänzungsschöffen) sowie zwei Staatsanwälte.
Am Ende herrschte trotz aller Bemühtheit Unmut auf weiter Flur. Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) konstatiert: "Das Verfahren hat die Grenzen offenbart, an die ein nationales Gericht bei dem Versuch stößt, internationale Sachverhalte mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu bewältigen." Erst am 105. Verhandlungstag sprach der Vorsitzende Richter Bernd Steinmetz das Urteil - und rechnete darin auch mit den aus seiner Sicht Verantwortlichen für die extreme Dauer des Prozesses ab: den 20 Verteidigern.
Tatsächlich hat allein die Verteidigung Kosten von 940.000 Euro geltend gemacht - bei gerichtlichen Auslagen von insgesamt 1.390.000 Euro, so die Studie der Justizbehörde, die dem Abendblatt vorliegt. Bemerkenswert hoch sind mit 214.000 Euro die Fahrt- und Reisekosten für die neun auswärtigen, unter anderem in Frankfurt und Mönchengladbach ansässigen Pflichtverteidiger. Allein dafür wurden pro Prozesstag und auswärtigen Juristen rund 226 Euro Steuergelder fällig. Weil sich auch in Zukunft auswärtige Pflichtverteidiger kaum vermeiden ließen, schlägt die Studie vor, die Reisekostenerstattung für sie am Bundesreisekostengesetz auszurichten, das auch für Bundesrichter und Soldaten gilt. Fahrten 1. Klasse wären dann nur im Ausnahme-, nicht mehr im Regelfall statthaft. Insgesamt würde sich "der Maßstab der Kostenerstattung zugunsten der Staatskasse verschieben".
Einsparpotenziale sieht die Arbeitsgruppe zudem in einer abgesenkten Reisezeitvergütung der Dolmetscher von bisher 55 Euro pro Stunde. Insgesamt erhielten die Dolmetscher - neben den drei ständigen, somalischen Übersetzern waren zeitweilig neun weitere im Einsatz - 345.000 Euro. Darüber hinaus hat das Verfahren indirekte Kosten in Höhe von zwei Millionen Euro produziert. Größter Faktor war hier die U-Haft der zehn Angeklagten (1,3 Millionen Euro), hinzu kamen Kosten des Gerichts und der Staatsanwaltschaft von 740.000 Euro.
Hauptgrund dafür, dass sich das Verfahren derart hingezogen und damit verteuert habe, sei das "Prozessverhalten der Verteidiger" mit ihren "unzähligen Anträgen". So hätten die sechs Befangenheitsanträge gegen das Gericht erhebliche Ressourcen des Justizapparates gebunden, da jeder Ablehnungsantrag durch eine andere Kammer geprüft werden musste. Solche Verzögerungen ließen sich vermeiden, wenn das abgelehnte Gericht über offenkundig unbegründete Befangenheitsanträge künftig selbst befinden dürfe. Zudem sollten Fristen für Beweisanträge enger und verbindlicher gesetzt werden, schlagen die Verfasser der Studie vor.
Kaum ein Rechtsexperte bezweifelt, dass Piraten noch einmal vor ein deutsches, vermutlich sogar Hamburger Gericht gestellt werden - auch wenn der Sinn einer Verhandlung, Tausende Kilometer vom Tatort entfernt, vielen zweifelhaft erscheint. Rund 3500 Frachtcontainerschiffe deutscher Reedereien sind auf den Weltmeeren unterwegs, die Hamburger Staatsanwaltschaft hat bis Ende März 155 Ermittlungsverfahren wegen Piraterie eingeleitet. Von der Verfolgung kann die Behörde, sofern deutsche Schiffe beteiligt sind, aber nur unter strengsten Voraussetzungen absehen. "Eine weitergehende Vermeidung zukünftiger Piratenverfahren wird hiermit nicht möglich sein", heißt es in dem Papier.
Die Lösung? Ein eigener Gerichtsstand für Piraterie, so die Studie. Das Thema sei beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag oder beim in Hamburg ansässigen Seegerichtshof besser aufgehoben. Dass ein internationales Gericht künftig über Piraten befinden sollte, ist lange Konsens unter den Justizministern der Länder. Die Ressortleiter haben dies bei ihrem Treffen in der Vorwoche wieder einmal bekräftigt. Der Tenor: Solange eine internationale Zuständigkeit fehlt, sollten die Verfahren von Regionalgerichten in Tatortnähe übernommen werden. Schiedek: "Diese Schwierigkeiten bestehen nicht nur in der Bundesrepublik. Sie betreffen ebenso die Aufarbeitung von Pirateriedelikten durch nationale Gerichte anderer Staaten. Das hat dazu geführt, dass sich andere Staaten hinsichtlich der strafrechtlichen Aufarbeitung zurückziehen, weshalb Piraterie fast immer unbestraft bleibt."