Das satte Einnahmeplus der Ärzte von 25 Prozent basiert zum Teil auf einer Fehlkalkulation. Nun müssen 61 Millionen Euro gespart werden.
Hamburg. Die Nachricht war spektakulär: In Hamburg seien die Honorare für Ärzte seit 2007 um 25,4 Prozent gestiegen, ergab eine Analyse des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Hamburg wäre demnach Spitzenreiter, denn in keinem anderen Bundesland sind die Ärztehonorare so deutlich gestiegen. Mit den Zahlen gibt es aber ein Problem: Hamburgs Ärzte haben im vergangenen Jahr mehr verdient, als ihnen eigentlich zusteht. Rund 61 Millionen Euro müssen sie nun einsparen.
Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVH) hat den 4210 Hamburger Vertragsärzten und Vertragspsychotherapeuten in den ersten drei Quartalen 2009 rund 688 Millionen Euro Honorar überwiesen. Wie das Abendblatt jetzt erfuhr, hat die KVH aus dem großen Topf, in dem die Beiträge aller deutschen Krankenversicherten landen, aber nur rund 627 Millionen Euro bekommen. Die fehlenden 61 Millionen Euro musste sie trotzdem an die Hamburger Ärzte auszahlen. Deshalb verklagt die KVH jetzt sogar ihren Dachverband, die Kassenärztliche Bundesvereinigung.
"Die Honorarreform zwingt uns, im Vorfeld zu kalkulieren, wie viel Geld ausgezahlt werden wird", sagt Walter Plassmann, Vizechef der KVH. "Und die Ärzte bekommen das Honorar, das sich aus der Kalkulation ergibt." Das Problem: Die KVH hat sich bei ihren Kalkulationen für das Jahr 2009 um 61 Millionen Euro verschätzt. Die Hamburger Ärztehonorare hätten von 2008 zu 2009 nicht um 14,9 Prozent, sondern nur um sechs Prozent steigen dürfen.
"Das Wachstum von fast 15 Prozent beruht auf einer falschen Berechnungsgrundlage", sagt Plassmann. Dass sich die KVH bei ihrer Kalkulation für 2009 verrechnet habe, liege an einer rückwirkend in Kraft gesetzten Änderung des "Fremdkassenzahlungsausgleichs". Der Hintergrund: Jeder vierte Patient, den Hamburger Ärzte behandeln, wohnt gar nicht in Hamburg, sondern in einem anderen Bundesland. Das Honorar für die erbrachten Leistungen machen die Ärzte trotzdem bei der KVH geltend. Die holt es sich dann von der jeweiligen Krankenkassenvereinigung, die für den Patienten eigentlich zuständig ist, zurück. Für jeden Schleswig-Holsteiner, der in Hamburg zum Arzt geht, muss also die KV Schleswig-Holstein der KV Hamburg Geld überweisen. Doch seit dem 1. Januar 2009 erhält die KVH nicht mehr das Honorar, das der Hamburger Arzt für die Behandlung geltend gemacht hat, sondern nur noch einen Teilbetrag.
Wegen dieser laut KVH "empörenden Benachteiligung" hat sie ihren Dachverband, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, jetzt sogar verklagt. Denn die hat die Regelung rückwirkend in Kraft gesetzt. "Kein anderes Bundesland ist davon so stark betroffen wie Hamburg", sagt Plassmann.
Die 61 Millionen Euro, um die sich die KVH verkalkuliert hat, hätten nur mit Krediten und Auflösung der eigenen Rücklagen aufgebracht werden können. Doch die sollen nun wieder aufgestockt werden: Die KVH will sich das Geld nämlich von Hamburgs Ärzten zurückholen. "Die Honorare steigen 2010 nicht in dem Maße, wie es eigentlich angemessen wäre", sagt Plassmann. Für den einzelnen Arzt könne das "durchaus schwierig" sein. Man habe aber die Ärzte frühzeitig - Ende 2009 - über den Rechenfehler informiert. Bei der Hamburger Ärztekammer hat man von dem Problem bis heute aber noch nichts gehört. "Das ist höhere Abrechnungsmathematik", sagt eine Sprecherin. Das System sei sehr ausgeklügelt, einen Überblick darüber, welcher Arzt welches Honorar für welche Leistung bekomme, habe nur die KVH.
Das Nachsehen haben nun die Ärzte - und die Patienten. Denn ob bei Öffnungszeiten, Ausstattung oder Dauer der Beratung - irgendwo muss gespart werden. "Es geht ja gar nicht um das Honorar, sondern um die Versorgung", sagt Siegfried Götte, Präsident der Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände. "Die technischen Geräte in einer Praxis kosten zum Beispiel bei Radiologen mehrere Millionen Euro und dieses Geld muss ja irgendwo herkommen."
Übertragen auf die Statistik der Krankenkassen, die Hamburg als Spitzenreiter beim Anstieg der Ärztehonorare führt, bedeutet die Fehlkalkulation des KVH, dass Hamburg eigentlich nur im Mittelfeld liegt. Der wahre Gewinner heißt Sachsen-Anhalt, dort stiegen die Ärztehonorare seit 2007 um 24,6 Prozent. Dass die Statistik auch in anderen Bundesländern durch Fehlkalkulationen beeinträchtigt ist, glaubt Plassmann nicht. Das höhere Einkommen der Ärzte ist eine Folge der Honorarreform der Großen Koalition aus dem Jahr 2008. Diese sollte auch das Einkommen der Ärzte in den verschiedenen Bundesländern angleichen. Für Patienten aus anderen Bundesländern dürfte es nun jedenfalls nicht einfacher werden, einen Termin beim Facharzt in Hamburg zu bekommen.