Datenschützer Johannes Caspar kämpft gegen das unheimliche Sammeln von Informationen und will Aufklärung auch an Hamburger Schulen.
Hamburg. Es ist leicht, Johannes Caspar zu finden, man muss nur seinen Gegenspieler fragen: die Suchmaschine Google. Gibt man seinen Namen ein, spuckt sie eine Wolke aus Schlagwörtern aus, die "Cloud", wie Techniker sagen. Weil sein Name oft auftaucht in Verbindung mit dem Internetriesen, dessen Suchmaschine wir alle täglich benutzen, vor dem wir jedoch irgendwie Angst haben. Wie vor einem Riesenkraken mit großen Augen und Saugnäpfen. Vor Kreaturen erschreckt sich Hamburgs oberster Datenschützer jedoch nicht. Noch bevor man mit ihm gesprochen hat, wirft das Internet ein weiteres Schlagwort aus. Ein kleines nur, es stammt aus seiner Vergangenheit: "Tierschutz". Ein Klick führt zum Vegetarierverband. Dort ist das Foto eines Kalbs zu sehen, darunter steht: "Tierkind hinter Gittern". Aha. Der Herr Caspar ist also ein militanter Tierschützer?
Die Sonne vertreibt die virtuelle Wolke. Hamburgs Datenschützer steht an der Elbe, nicht weit entfernt von seinem Wohnort am westlichen Stadtrand von Hamburg. Er weiß, dass er vor diesem Treffen gegoogelt wurde. "Klar, das machen doch alle", sagt er. Der Wind rüttelt an seiner Krawatte, kurz ist das Markenschild zu sehen: "Joop". An seinem gewöhnlichen dunklen Anzug wirkt das beinahe übertrieben. Berufskleidung trägt er, mehr nicht. Caspar, der es mit seinem Widerstand gegen Google schon in die "New York Times" schaffte, wirkt nicht eitel, eher aufgeräumt und freundlich. Wie einer dieser eher lässigen Juristen, die zu Hause das gebügelte Hemd im Schrank lassen und Zeit mit ihrer Familie verbringen.
Eine grüne Seele also? "Ich stelle gerne grundsätzliche Fragen", sagt Caspar. Der Rechtsprofessor habilitierte Ende der 90er-Jahre zur rechtlichen Stellung von Tieren und setzte sich für eine Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz ein. "Da bekommt man schnell ein Label aufgedrückt, als Ökoaktivist", sagt Caspar und zuckt die Achseln. "Gerade im Internet wird man das nie wieder los."
Und für Inhalte des Vegetarierverbands sei nicht er verantwortlich. Ihm sei es um die wirtschaftliche Ausnutzung der Tiere gegangen, etwa in der Massenhaltung und Forschung. "Die geltenden Verfassungsvorschriften waren für wesentliche Bereiche der Tiernutzung einfach nicht mehr zeitgemäß." Erfolg hatte Caspar erst im Jahr 2002, als der Bundestag das Staatsziel Tierschutz in das Grundgesetz einfügte. Vorausgegangen war die Debatte über ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Schächten, dem religiösen Schlachten von Tieren ohne Betäubung.
"Nach den Terroranschlägen des 11. September war auch die Islam-Kritik in vollem Gange", erinnert sich Caspar. Also wiederholen sich die Motive doch. Im gesellschaftlichen Diskurs muss offenbar erst ein Feindbild entstehen, damit Kritik Wirkung zeigt. Damals der religiöse Extremismus. Heute mit Google eine Suchmaschine, die euphorisch begrüßt wurde und sicherlich das Leben leichter macht.
Zur diffusen Bedrohung wird aber die Datensammelwut, die sich wieder im "versehentlichen" Ausspähen von Daten privater Funknetzwerke zeigte, gegen das Caspar nun vorgeht. "Es ist die Unsicherheit, nicht zu wissen, was der Konzern mit den Daten vielleicht irgendwann mal anfangen kann", sagt Caspar. Oder für wie viel Geld man sie verkaufen könne. Dazu gehöre auch, dass Google für sein Street-View-Projekt in private Grundstücke hineinfilmt.
Blicke über den Gartenzaun, die müsste Caspar kennen. Er stammt aus einer Kleinstadt nahe Hannover. Ein "ganz guter Schüler" sei er gewesen, einer, der nicht auf Demos ging, aber schon früh die Vernunftkritik des Philosophen Immanuel Kant las. "Das Internet bedient auch menschliche Neugier, die es zu allen Zeiten gegeben hat. Voyeurismus fand ich immer schon unangenehm", sagt Caspar. Und dann kommt der Rechtsphilosoph durch: "Anderseits ist der Mensch aber auch ein soziales Wesen, es ist nicht seine Natur, alle Informationen über sich selbst geheim zu halten."
Das beobachtet Caspar auch bei dem Nachwuchs, "digital Natives", die sich wie selbstverständlich im Internet bewegen. Bei diesem Vorsprung kann man schon mal ratlos hinterher staunen. Schließlich nutzte Hamburgs Datenschützer erst in den 80er-Jahren einen Computer regelmäßig. Damals war er Mitte 20 und ebenso von dieser "Zeitvernichtungsmaschine" gebannt, wie er sagt. Das Computerspiel "ZackMcKracken" zum Beispiel kostete ihn viele Stunden. Dabei geht es um einen Reporter, der Aliens aufspüren will und Rätsel lösen muss. "Heute schaut man einfach nur ins Internet, und man findet die Komplettlösung", sagt Caspar, der allerdings auch gerne mal den Nährwert von Gemüse googelt, wenn er für seine Familie und Freunde asiatisch oder italienisch kocht. Fleisch isst er bis heute kaum.
Außerirdische Phänomene oder Untergangsszenarien will Caspar im Internet nicht erkennen. "Man darf nicht paranoid werden." Allerdings bereite ihm eine Entwicklung besonders Sorgen: "Die Gnade des Vergessens, die gibt es im Internet nicht mehr." Selbst im polizeilichen Führungszeugnis werden kriminelle Taten irgendwann gestrichen. "Die Einträge im Internet aber bleiben", sagt Caspar. Wie auch bei der Presse. "Früher waren Berichte in Zeitungen nach einigen Tagen nicht mehr wichtig. Heute halten Online-Archive alles und ständig bereit." Da komme auch auf die Verlage noch eine wichtige Debatte zu.
Caspar sieht sich deshalb auch als Pädagoge. "Wir müssen unseren Kindern beibringen, bewusst mit diesem Medium umzugehen, bevor wir sie alleine laufen lassen. Wir müssen sie vor einer ,digitalen Tätowierung' schützen." Auf seine Initiative soll Datenschutz deshalb an Hamburger Schulen unterrichtet werden, das Motto lautet: "Meine Daten kriegt ihr nicht".
Früher sei es vor allem der Staat gewesen, der im Dauerverdacht der Überwachung stand. "Heute betreffen fast 80 Prozent der Beschwerden private Unternehmen", sagt Caspar. So sei die Suchmaschine von Google zwar ein kostenloses und hochwertiges Angebot. "Aber wir zahlen jeden Tag mit unseren persönlichen Informationen." Eine E-Mail-Adresse bei Google besitze er nicht, "weil die Post nach Schlagwörtern durchgescannt wird". Taucht beispielsweise das Wort "Urlaub" auf, dann begleiten den Empfänger plötzlich Werbebanner über Last-Minute-Angebote. "Das ist schon unheimlich."
Wenn Google tatsächlich ein stählerner Riesenkrake ist, dann fühle sich Caspar manchmal so, als würde er nur an einem seiner Tentakel kratzen. Zwar hat er ein Ultimatum gestellt, bis Mittwoch soll der Konzern die Daten herausgeben, die aus privaten W-LAN-Netzen erfasst wurden. "Die Gespräche mit den Mitarbeitern hier in Deutschland laufen sachlich und kooperativ", sagt Caspar. Mit den wahren Entscheidern aus Kalifornien komme er allerdings selten in Kontakt. Ein kurzfristiges angebotenes Treffen mit Google-Mitbegründer Larry Page hatte er auch aus Termingründen absagen müssen.
Im Prinzip geht es aber auch dem Datenschutzbeauftragten nicht viel anders als den vielen Internetbenutzern, die bei Fragen oder Unsicherheiten nur eines dieser Standardformulare im Netz ausfüllen können, um das Unternehmen zu erreichen, das sie erreichen wollen. In Zeiten des Web 2.0, der benutzererstellten Beiträge und der scheinbar grenzenlosen Kommunikation, läuft der Austausch mit den großen Firmen oft nur in eine Richtung.
Caspar lehrt auch als Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Hamburg. Vor seiner Tätigkeit als Datenschutzbeauftragter war er stellvertretender Leiter des wissenschaftlichen Dienstes am Landtag in Schleswig-Holstein. Da ging es auch schon häufig um Datenschutz. Das ist wohl ein bisschen so wie bei der Massentierhaltung: Erst wenn man sich mit der Qualität von Fleisch beschäftigt, wird man sensibilisiert für gute und schlechte Angebote. "Für die vielen Überwachungskameras in der Stadt habe ich mittlerweile einen Blick bekommen", sagt Caspar.
Das Handy klingelt. Ein Journalist ist dran, mal wieder. Caspar ist ein gefragter Interviewpartner in diesen Tagen. Es ist ein altes Mobiltelefon, das er aus der Tasche zieht, nicht mal tauglich für das Internet ist es. "Ich bin kein ,Victim' der digitalen Technik, das sofort alle neuen Geräte kauft", sagt Caspar. Es klingt weniger nach einer Entschuldigung als nach einer Lösung: Vielleicht braucht man genau diese Einstellung, um auch in Zukunft noch genügend Privatsphäre zu haben.