Schwere Vorwürfe gegen eine Mitarbeiterin des Ausländeramtes. Sie soll einer Mutter das Baby weggenommen haben. Politik läuft Sturm.
Hamburg. Den Anwohnern am Billstieg war die Szene vertraut. So wie am vergangenen Freitag hat sie sich Dutzende Male zuvor abgespielt: Während draußen ein Reisebus der Hansa-Rundfahrt wartet, betreten mehrere Polizisten und eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde die Flüchtlingsunterkunft. Viele Roma-Familien leben dort, vielen droht die Ausweisung. Diesmal trifft es Familie A., vor zwei Jahren aus Mazedonien nach Deutschland eingereist, seither geduldet, jetzt reif für die Abschiebung. Die Beamten sollen die "Rückführung" der zwei Erwachsenen und fünf Kinder durchsetzen.
Doch was als Routineeinsatz begann, könnte sich jetzt zum "handfesten innenpolitischen Skandal" ausweiten, so zumindest sieht es der Bundestagsabgeordnete der Linken, Jan van Aken. Grund: Bei der Aktion soll die Mitarbeiterin der Ausländerbehörde die von der Abschiebung bedrohte Mutter regelrecht erpresst und ihr das Baby aus dem Arm gerissen haben. Seit gestern geht die Dienststelle Interne Ermittlungen (DIE) den Vorwürfen nach.
"Mehrere Zeugen haben den Übergriff beobachtet", sagt Reimer Dohrn von der Roma-UnterstützerInnen-Gruppe Hamburg. Demnach tauchen am Freitag, gegen 20 Uhr, rund zehn Beamte und die Mitarbeiterin der Ausländerbehörde in der Unterkunft auf. Doch treffen sie dort nicht sieben Personen an, sondern nur die Eltern Sajda, 25, und Sebastijan, 29. Andrejas, das Nesthäkchen der Familie, liegt im Arm seiner Mutter. Die vier Töchter im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren vergnügen sich in einem Ferienlager der "Falken" auf Föhr - regelmäßig ermöglicht die SPD-nahe Jugendorganisation Flüchtlingskindern die Teilnahme an Ferienfreizeiten. Offiziell hätten die vier Schwestern Hamburg aber gar nicht verlassen dürfen. Familie A. habe für die Kinder zwar eine sogenannte Verlassenserlaubnis, wie sie bei Flüchtlingen vorgeschrieben ist, beantragt, sagt die Sprecherin der Innenbehörde, Swantje Glismann. "Diese ist jedoch nicht ausgestellt worden, gerade weil die Abschiebung bevorstand."
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Ein Hintergrund, der den Beamten am Freitag nicht bekannt ist. Immer energischer fragen sie nach dem Verbleib der übrigen Kinder. Doch die Mutter schweigt. Plötzlich, so die Zeugen, habe ihr die Behördenmitarbeiterin das Baby aus dem Arm gerissen. "Es war klar: Sie wollte die Information von ihr erpressen", sagt Reimer Dohrn. Falls sie sich weiter weigere, so die Drohung der Beamtin, werde sie ihr den einjährigen Jungen wegnehmen. Die verstörte Frau habe ihr darauf die Anmeldeunterlagen für das Feriencamp übergeben.
Die Innenbehörde will Details zu dem Vorgang aus Rücksicht auf die Ermittlungen der DIE zunächst zurückhalten. Nur so viel: Nach den bisherigen Erkenntnissen habe die Mutter einen Schwächeanfall erlitten und sei zusammengesackt. Deshalb habe ihr die Mitarbeiterin das Kind abgenommen.
Ob Schwächeanfall oder Nötigung:
Minuten später, gegen 20.30 Uhr, klingelt das Telefon von Tilman Dieckhoff, dem Landeschef der Hamburger Falken. Die vier gesuchten Roma-Kinder sitzen gerade am Lagerfeuer und singen Lieder. Die Beamtin habe am Telefon erwogen, die Kinder direkt aus dem Zeltlager abzuschieben, so Dieckhoff. "Allein die Tatsache, dass die Kinder nicht mehr mit der Fähre ans Festland gebracht werden konnten, verhinderte vermutlich die Abschiebung aus dem Ferienlager."
Kurz nach dem Telefonat werden in Hamburg die Eltern vor die Wahl gestellt: Entweder reist die Mutter aus oder der Vater, einer müsse gehen. Schließlich ist es Vater Sebastijan, der einwilligt. Bis Mitte Juli war er wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in Behandlung. Noch am Abend wird er nach Skopje ausgeflogen.
Auch der Rest der Familie sieht einer ungewissen Zukunft entgegen - die von der Mutter erstrebte "freiwillige Ausreise" sei nicht mehr möglich, weil die Familie schon zwei Ausreisetermine habe verstreichen lassen. Glismann: "Jetzt schreibt das Aufenthaltsgesetz die Abschiebung ausdrücklich vor." Eine getrennte Abschiebung wie hier sei das "letzte Mittel", um die gesetzliche Ausreisepflicht durchzusetzen.
Die Politik läuft Sturm: Die innenpolitische Sprecherin der Linken, Christiane Schneider, sagt: "Die aus dem kaltblütig inszenierten Drama für die Kinder und ihre Eltern erwachsenden Belastungen sind unabsehbar." Antje Möller (Grüne) kündigt an, den "unerträglichen Vorgang" in den Bürgerschafts-Innenausschuss zu bringen.