Wieso die Stadt seit Jahrzehnten Schulden macht, obwohl das verboten ist. Weshalb wir noch relativ gut dastehen. Und warum die Ein-Prozent-Regel ein striktes Sparprogramm ist: Im großen Finanz-Dossier analysieren wir, wie es um Hamburgs Gelder wirklich steht
Hamburg. "Eigentlich", sagt der Finanzsenator, hebt bedeutungsschwer die Hand und blickt verschmitzt in den Saal, "eigentlich dürfen wir in Hamburg keine Schulden machen." Es ist nicht so, dass Peter Tschentscher der Erste wäre, der das ausspricht. Nein, bemerkenswert ist vielmehr, dass ihm und allen Finanzsenatoren vor ihm der Artikel 72 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg gut bekannt war, sie ihn aber konsequent ignoriert haben. "Nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken dürfen Geldmittel im Wege des Kredits beschafft werden", heißt es in der Verfassung, und diese etwas altertümliche Formulierung besagt nichts anderes, als dass Schulden machen verboten ist - außer für Investitionen, die einen Wert schaffen ("werbende Zwecke").
Tatsächlich hat die Stadt heute 24 Milliarden Euro Schulden, und niemand behauptet ernsthaft, dass dafür im gleichen Maß Werte geschaffen wurden. So schrieb der unabhängige Rechnungshof in seinem Bericht zur Haushaltslage 2011: Zwischen 1970 und 2010 wurden allein 21,9 Milliarden Euro an Krediten aufgenommen und 26,5 Milliarden Euro an Zinsen gezahlt. Und: Ende 2009 hatte der "Konzern" Hamburg erstmals ein negatives Eigenkapital - die Verbindlichkeiten überstiegen also den Wert aller Vermögensgegenstände der Stadt. Im Prinzip stehen alle Hamburger Senate der vergangenen Jahrzehnte also wegen Verfassungsbruchs mit einem Bein im Gefängnis - und die Bürgerschaftsabgeordneten, die diese Haushalte abgesegnet haben, mit ihnen.
Ein Grund für die desaströse Lage ist, dass der Begriff "Investition" stets falsch interpretiert wurde. Der frühere Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) beschreibt es in seinem Buch "Handeln für Hamburg" sehr anschaulich: "Die Feuerwehr braucht einen neuen Feuerwehrwagen. Dieser Wagen ist eine Investition, und es wird dafür ein Kredit aufgenommen. Fünf Jahre später ist der Wagen veraltet, er wird außer Dienst gestellt, und es wird ein neuer Feuerwehrwagen bestellt. Wiederum eine Investition, für die ein Kredit aufgenommen wird. Fünf Jahre später dasselbe - ein neuer Feuerwehrwagen, ein neuer Kredit. Im Ergebnis sind drei Kredite da, aber nur ein Feuerwehrwagen." Für diese Geschichte gibt es Dutzende Variablen: Ob Polizeiautos, der Unterhalt von Schulgebäuden oder das alljährliche Schlickausbaggern im Hafen - alles Betriebskosten, die dennoch als Investitionen deklariert wurden. Bei jener eingangs geschilderten Diskussion im Kompetenzzentrum der Handwerkskammer bekannte sich Tschentscher daher nicht nur zur Schuldenbremse, sondern kündigte auch an, die missbräuchliche Verwendung des Investitionsbegriffs beenden zu wollen.
Dass sich etwas ändern muss, ist unstrittig. Denn spätestens von 2020 an dürfen die Bundesländer im Normalfall keine Kredite mehr aufnehmen. Diese 2009 vom Bundestag beschlossene "Schuldenbremse" hat vor dem Hintergrund der EU-Staatsschuldenkrise eine ganz neue Bedeutung bekommen. Länder wie Griechenland und Italien führen anschaulich auf großer Bühne vor, welche Folgen es haben kann, wenn ein Land dauerhaft über seine Verhältnisse lebt.
In Hamburg herrscht, immerhin, große Einigkeit, dass man diesen Weg nicht weitergehen will. Doch um die Details des neuen Wegs tobt ein erbitterter politischer Streit. Ist es wirklich eine Herkulesaufgabe, von 2020 an ohne Kredite auszukommen, wie es der SPD-Senat darstellt? Oder geht es der Stadt in Wahrheit so gut, dass sie problemlos früher ohne Neuverschuldung auskommt, wie vor allem CDU und FDP, aber auch die GAL meint? Eine Analyse.
Die finanzielle Lage Hamburgs
Jetzt gewinnt die Diskussion wieder an Schärfe. Gestern hat der Finanzsenator die November-Steuerschätzung vorgestellt, und sie sagt Hamburg für dieses Jahr und für 2012 Mehreinnahmen in Höhe von 290 Millionen Euro voraus - zusätzlich zu den 1,3 Milliarden Euro mehr, die die Mai-Steuerschätzung für diese beiden Jahre prognostiziert hatte. Dann muss man ja nirgendwo sparen, werden die Gewerkschaften mit Blick auf die Beamten fordern, und die Opposition mahnt das Vorziehen der Schuldenbremse an. Tschentscher bleibt dagegen bei seiner Linie, dass unterm Strich dennoch ein Loch in der Kasse bleibt und die erwarteten Steuereinnahmen schon 2013/2014 um rund 190 Millionen Euro unter den allzu optimistischen Mai-Prognosen bleiben werden. Tschentschers Credo: "Öffentliche Haushalte werden nicht in schlechten, sondern in guten Zeiten ruiniert."
Doch wie sind die Zeiten denn nun? Schaut man zunächst auf die Schulden, steht Hamburg keineswegs so gut da, wie oft behauptet wird. Grundsätzlich sind die Stadtstaaten, die Land und Kommune zugleich sind, zwar nur eingeschränkt mit den Flächenländern vergleichbar. Aber selbst in Statistiken, die die Gemeindeschulden in den Flächenländern einbezieht, liegt Hamburg per 30. Juni 2011 mit 24,8 Milliarden Euro Schulden nur im Mittelfeld. Obwohl nur Bremen, das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern weniger Einwohner als Hamburg haben, gibt es sieben Länder, die weniger Schulden haben. Bei der Pro-Kopf-Verschuldung liegt Hamburg mit gut 14 000 Euro pro Einwohner gar an drittletzter Stelle - nur in den beiden anderen Stadtstaaten Bremen (27 100) und Berlin (17 400) sieht es noch düsterer aus.
Das Finanzierungsdefizit im aktuellen Hamburger Haushaltsplan beträgt 1,4 Milliarden Euro - das bedeutet, dass die Stadt diesen Teil der Gesamtausgaben von 11,5 Milliarden Euro nicht durch eigene Einnahmen decken kann. Aufgrund der November-Prognose der Steuerschätzer wird diese Lücke zwar rasch kleiner und 2015 nur noch rund 250 Millionen Euro betragen. Legt man allerdings statt der überdurchschnittlich guten Prognosen eine "normale" Entwicklung zugrunde, würden 2015 immer noch 820 Millionen Euro fehlen.
Eine wichtige Kennziffer ist daher das "Strukturelle Defizit" im Haushalt, also die um konjunkturelle Schwankungen bereinigte ständige Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben. Der Hamburger Senat gibt sie mit rund einer Milliarde Euro an - pro Jahr. Die Bundesbank kommt in ihrem Monatsbericht von Oktober hingegen auf "nur" knapp 600 Millionen Euro und sieht Hamburg damit an neunter Stelle im Ländervergleich. Auch hier gilt also: Sieben Länder stehen besser da. Beim Defizit pro Kopf und Jahr schneidet Hamburg etwas besser ab: 320 Euro pro Einwohner bedeuten Platz elf.
Allerdings blenden auch diese Zahlen. Denn um den Substanzverlust an der öffentlichen Infrastruktur, also den Verfall von Straßen, Schulen und Hafenanlagen wenigstens stoppen zu können, müsste die Stadt nach Schätzung von Ex-Senator Peiner eigentlich Überschüsse von 500 bis 600 Millionen Euro pro Jahr erwirtschaften. Davon ist Hamburg meilenwert entfernt.
Chancen und Risiken außerhalb des Haushalts
Die Lage Hamburgs bildet der eigentliche Kernhaushalt nur eingeschränkt ab. Denn daneben existiert noch eine Parallelwelt mit weiteren Milliardenschulden, aber auch enormen Vermögenswerten. Die Verwirrung wird noch größer durch den Begriff des "Sondervermögens": Dahinter verbergen sich schlicht auf Pump gefüllte Kassen. Wie berichtet, hat das "Sondervermögen Stadt und Hafen" zur Finanzierung der HafenCity knapp 300 Millionen Euro Schulden, das "Sondervermögen Schulbau" steht mit 102 Millionen Euro in der Kreide, der Hamburgische Versorgungsfonds (für Beamte im Ruhestand) mit 236 Millionen Euro und die HSH Finanzfonds hat sogar 2,554 Milliarden Euro Verbindlichkeiten - allerdings entfallen davon 50 Prozent auf das Land Schleswig-Holstein, mit dem Hamburg gemeinsam die Anteile an der HSH Nordbank hält. Rechnet man die Verbindlichkeiten aller öffentlichen Unternehmen hinzu, hat Hamburg knapp 40 Milliarden Euro Schulden - das geht aus der "Konzernbilanz" hervor, die die Stadt seit einigen Jahren aufstellt, letztmals für 2009.
Ein Grund für die These vom wohlhabenden Hamburg liegt darin, dass dem noch Werte gegenüberstehen. Trotz des Verkaufs von HEW und LBK, der Behördengebäude, von Teilen der Landesbank (heute HSH Nordbank) und des Flughafens ist die Stadt immer noch an rund 150 Unternehmen beteiligt - von der Hochbahn über die HHLA (Hafen), die Messe, die Wasserwerke bis zur Wohnungsgesellschaft Saga-GWG. Gebündelt sind diese Aktivitäten unter dem Dach der städtischen Holding HGV. Diese Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement ist mit 17 500 Mitarbeitern und einer Bilanzsumme von 11,5 Milliarden Euro quasi das Fort Knox der Stadt und wird entsprechend diskret behandelt. Das hat auch mit einem kleinen Trick zu tun. Denn innerhalb der HGV werden Gewinne und Verluste der Beteiligungen verrechnet, was die Steuerlast der städtischen Unternehmen um einige Millionen Euro senkt. Im kleinen Kreis hat daher mancher Finanzsenator schon den Satz fallen gelassen: "Wir in Hamburg müssen keine Steuern hinterziehen, wir haben die HGV." Kein Wunder also, dass dieser Goldschatz von ärmeren Ländern wie Schleswig-Holstein neidisch beäugt wird - Kiel hat fast alle Unternehmungen längst versilbert. Obwohl der Nachbar im Norden eine deutlich geringere Pro-Kopf-Verschuldung aufweist, hat er kaum Spielraum, diese abzubauen - im Gegensatz zu Hamburg.
Die sagenhafte Einnahmeseite
Für die sagenhafte Finanzkraft Hamburgs gibt es einen weiteren Grund: die Steuereinnahmen. Die Stadt gehört mit Bayern, Baden-Württemberg und Hessen fast immer zu den Geberländern im Finanzausgleich, alle anderen kassieren aus diesem Topf. Dem Finanzsenator tränen zwar immer am Monatsende die Augen, wenn wieder 500 Millionen Euro zwecks Umlage überwiesen werden - aber es bleibt immer noch überdurchschnittlich viel übrig. Die entscheidende Rubrik "In Hamburg verbleibende Steuern" wird 2012 mit knapp neun Milliarden Euro vermutlich ein Allzeithoch erklimmen. Diese Prognose der Steuerschätzer vorausgesetzt, hat die Hansestadt gut 5000 Euro pro Bürger nur an Steuern zur Verfügung. Zum Vergleich: In Berlin sind es 4430 Euro je Bürger, in Bremen 4330 und in Schleswig-Holstein nur 3770 - und zwar inklusive der Steuereinnahmen der Gemeinden. Zwei weitere Beispiele des Statistischen Bundesamts: Obwohl Hamburg eine Million Einwohner weniger hat als Schleswig-Holstein, fließen in beiden Ländern etwa drei Milliarden Euro an Lohn- und Einkommenssteuer. Und das Gewerbesteueraufkommen in der Hansestadt lag 2010 bei 1,45 Milliarden Euro - das ist so viel wie in Bremen und Berlin zusammen und etwa doppelt so viel wie in Schleswig-Holstein. Hamburgs Problem war bislang, dass es das viele Geld meistens ausgegeben hat und nun per Gesetz zum Bremsen gezwungen werden muss.
Das fordert die Schuldenbremse
Artikel 109 des Grundgesetzes verpflichtet die Länder, ihre Haushalte grundsätzlich ohne Nettokreditaufnahme aufzustellen - und zwar schon ab diesem Jahr.
Da es aber eine Übergangsfrist bis 2020 gibt, wird meist nur von diesem Datum gesprochen, obwohl diese Schonfrist eigentlich nur für finanzschwache Länder wie Bremen, Berlin, Schleswig-Holstein und das Saarland eingeräumt wurde. Ein Irrglaube ist auch, dass es ein komplettes Schuldenverbot geben wird. In Notfällen, zum Beispiel nach Naturkatastrophen oder im Falle einer weiteren Finanzkrise, dürfen auch künftig Kredite aufgenommen werden - sie müssen allerdings in besseren Zeiten nach einem festen Plan getilgt werden.
Welches Ziel hat sich Hamburg gesetzt?
In Hamburg gilt noch das 2007 von der CDU in einer Boomphase eingeführte Schuldenverbot ab 2013. Außerdem gibt es noch die gesetzliche Verpflichtung, von den 2009/2010 krisenbedingt aufgenommenen Schulden ab 2015 pro Jahr mindestens 100 Millionen Euro zurückzuzahlen. Der SPD-Senat will beide Regelungen abschaffen und sich "nur" an die Vorgabe halten, ab 2020 strukturell ausgeglichene Haushalte vorzulegen.
Sparmittel - Pay as you go und Ein-Prozent-Regel
Der SPD-Senat verwendet zwei Instrumente zur Haushaltskonsolidierung: erstens das vom Ex-US-Präsidenten Bill Clinton entlehnte Prinzip "Pay as you go" (etwa: "Zahl, wenn du loslegst"), wonach jeder Mehrausgabe eine Einsparung in gleicher Höhe gegenüberstehen muss. Und zweitens die "Ein-Prozent-Regel", wonach die Ausgaben gegenüber dem Vorjahr nie um mehr als ein Prozent steigen dürfen. Sie folgt simpler Mathematik: Gemessen an den vergangenen zwei Jahrzehnten steigen die Einnahmen (Steuern plus Abgaben, Gebühren und Sonstiges) der Stadt um 2,25 Prozent pro Jahr. 2020 liegen sie demnach bei rund 12,5 Milliarden Euro. Damit die Ausgaben diese Summe dann nicht überschreiten, dürfen sie im Schnitt sogar nur um 0,88 Prozent steigen.
Die Strategie hinter dem Sparprogramm
Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) will von seinen Senatoren Sätze wie "vielleicht schaffen wir die Schuldenbremse auch etwas früher" nicht hören - das folgt dem Prinzip, bloß nichts anzukündigen, was man nicht definitiv halten kann. Hinzu kommt: Nachdem der CDU/GAL-Senat im Herbst 2010 mit dem angeblich "größten Sparpaket aller Zeiten" (tatsächlich gab es schon größere) die halbe Stadt in Aufruhr versetzt hatte (und von den Sparmaßnahmen kaum etwas übrig blieb), meidet Scholz das Wort Sparprogramm. Tatsächlich ist die Ein-Prozent-Regel aber genau das. Denn rund zwei Drittel des Haushalts - Zinszahlungen, Personalkosten und gesetzliche Leistungen wie Sozialhilfe - steigen jährlich um rund zwei Prozent, ohne dass der Senat echten Einfluss darauf hat. Im Bereich Personal (Jährliche Kosten: 3,5 Milliarden Euro) hat Scholz den Einfluss sogar bewusst aus der Hand gegeben, indem er den Gewerkschaften schriftlich garantiert hat, Tarifabschlüsse künftig immer zu übernehmen. Das bedeutet: Wenn der größte Teil des Haushalts um rund zwei Prozent wächst, alles zusammen aber maximal ein Prozent zulegen darf, muss im kleineren Teil real gekürzt werden. Finanzsenator Tschentscher räumte das bei der Diskussion im Kompetenzzentrum ein: "Ein Prozent klingt so harmlos", sagte er, "in Wahrheit ist das ein scharfes Sparprogramm."
Wo genau wird denn nun gespart?
Die meistgestellte Frage ist und bleibt, wo der Senat sparen will. Zwar wurde mit Vorlage des Haushalts im Mai eine Aufstellung präsentiert, welche Mehrausgaben geplant sind - etwa die Rücknahme der Kitagebühren-Erhöhung - und welche Ausgaben im Gegenzug gekürzt werden. Aber etliche dieser Sparmaßnahmen wirken gar nicht strukturell. So wurden zwar die Planungen für Stadtbahn und Kreisverkehre gestoppt, das sind aber einmalige Ausgaben. Auch der Plan, die Verwaltung pro Jahr um 250 Beschäftigte zu reduzieren und dadurch 12,5 Millionen Euro Jahr für Jahr einzusparen, trägt noch nicht - tatsächlich steigt der Personalbestand (und damit die Ausgaben). Auch das von nahezu jedem Senat propagierte Ziel, Verwaltungsaufgaben zu "entflechten" und "Doppelarbeit" abzubauen, klingt gut - ob und wann das die Ausgaben senkt, ist offen. Und wie die geplante Abschaffung von Studien- und Kitagebühren finanziert werden soll, hat die Öffentlichkeit auch noch nicht erfahren. Wer die konkrete Umsetzung des "Pay as you go" sucht, muss lange suchen - und findet letztlich wenig Konkretes, dafür aber eine grundsätzliche Haltung des Senats. So verweisen SPD-Finanzexperten gern auf die Drucksache 1315 - ein dicker Packen, der die Bürgerschaft im August über Dutzende neue Ansätze im Haushalt informierte. Unterm Strich, das ist in der Tat ungewöhnlich, blieb aber eine leichte Reduzierung der Ausgaben.
Der Finanzsenator, so wird erzählt, soll der Umweltbehörde ihre Unterlagen dreimal zurückgeschickt haben, weil die sich nicht in der Lage sah, ihre Ausgaben im Zaum zu halten. Am Ende habe sich Tschentscher durchgesetzt, wobei ihm zu Hilfe kam, dass er sich des Rückhalts des Bürgermeisters sicher sein kann. Die Anekdote dient SPD-intern auch dazu, sich von der spendablen schwarz-grünen Koalition abzugrenzen. Die habe ihre geplanten Ausgaben 2009 mal eben durch Ergänzungsdrucksachen um 337 Millionen Euro gesteigert, das wolle man anders machen, heißt es. Hier setzt allerdings der Glaubenskrieg an. Denn CDU und GAL verweisen vehement darauf, dass die tatsächlichen Ausgaben in den vergangenen Jahren um mehrere Hundert Millionen Euro unter den geplanten lagen, und fordern die SPD auf, sich am "Ist" zu orientieren - das lag 2010 bei knapp 10,9 Milliarden Euro.
Scholz und Tschentscher haben jedoch die höchstmögliche Basis für ihre Ein-Prozent-Berechnung gewählt: die letzte Fortschreibung des Haushaltsplans 2010, die Ausgaben von gut 11,5 Milliarden Euro vorsah. Haushaltsexperten der Opposition sehen mit Sorge, dass sich die SPD ein mehrere Hundert Millionen Euro dickes Polster unterhalb der Ein-Prozent-Linie verschafft hat. Daher fordern sie - mit Ausnahme der Linkspartei -, die Kreditaufnahme zurückzufahren und die Schuldenbremse schon früher einzuhalten, etwa im Jahr 2015. Unterstützung bekommen sie von unabhängigen Experten. Die Bundesbank warnte jüngst, ohne Hamburg zu nennen, vor einem "Sprungschanzeneffekt durch einen überhöhten Ansatz" und forderte die Länder zu mehr Ehrgeiz auf.
Immerhin: Bislang hat der Finanzsenator alle Mehreinnahmen dafür verwendet, teure Kredite abzulösen, ein Loch im Versorgungsfonds zu schließen und die Kreditaufnahme zu senken. Die Frage ist jedoch, wie künftig mit diesem Puffer umgegangen wird. Denn Hamburg darf ja keine Schulden machen. Eigentlich.