Garantiert nicht handzahm: Barbara Kisseler, die Frau ohne Parteibuch, wechselt von der Berliner Staatskanzlei in die Regierung von Olaf Scholz.
Hamburg. Falls stimmt, was gestern aus der allseits verdutzten Berliner Gerüchteküche zu vernehmen war, dann wusste Barbara Kisseler vor wenigen Tagen noch gar nichts von ihrem Glück, zeitnah von der Spree an die Elbe umziehen zu wollen. Typisch wäre das für den autokratisch-flotten Top-oder-Hopp-Amtsstil des designierten neuen Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD). Der ließ am Sonntag die mit Spannung erwartete Katze aus dem Sack und verkündete, dass die parteilose Leiterin der Berliner Senatskanzlei den vielfältigen Freuden der Hauptstadtkultur den Rücken kehrt und nach Hamburg kommt.
Die 61 Jahre alte Fachfrau muss nun den Image-Scherbenhaufen aufkehren, den die abgewählte Regierung im Herbst bei Krisenherden wie dem Schauspielhaus oder der Museumslandschaft angerichtet hat. Sie soll aber noch mehr als das: "Ich freue mich sehr, dass sie uns bei der Neuausrichtung der Kulturpolitik mit ihren umfangreichen Kenntnissen bereichern wird", erklärte Scholz. Neuausrichtung, das klingt in Optimistenohren schon nach Paradigmenwechsel. Nach Neustart und Aufbruch. Nach dem gewünschten Drang nach oben. Es ist fast ein Déjà-vu-Erlebnis, denn ziemlich genau so war es auch, als Karin von Welck hoffnungsprall antrat, um 2004 die Nachfolge von Dana Horáková zu übernehmen. Diesmal heißt der Vorgänger Reinhard Stuth.
Kaum vorstellbar, dass Kisseler für ihren Ortswechsel nicht auch - wie Karin Beier beim Schauspielhaus-Intendanz-Poker - so einiges an kostenpflichtigen Morgengaben für ihr Ressort ausgehandelt hat. Doch dazu wollte sich Scholz' Sprecher nicht äußern.
Kisseler selbst meldete sich mit ersten wohlwollenden Textbausteinen zu Wort: "Hamburg ist eine Stadt mit einem unglaublichen kulturellen Potenzial. Leider ist dies in der Vergangenheit nicht immer angemessen gewürdigt worden. Es gehört zu den Aufgaben des künftigen Senats, die Kulturinstitutionen zu stärken und ihnen zu neuem Selbstbewusstsein zu verhelfen. Ebenso muss dafür gesorgt werden, dass auch die freie Kultur angemessen ausgestattet wird. In einer Stadt wie Hamburg kommt es darauf an, Stadtentwicklung und Kultur zusammenzudenken. Die Kulturbehörde muss in erster Linie den Dialog mit den Kulturschaffenden organisieren. Ich begreife Hamburg für mich als große Herausforderung und freue mich riesig auf die Aufgabe."
So weit, so geschickt formuliert. Aber Kisseler gilt in der Kulturszene nicht nur als versierte Rednerin. Sie hat den Ruf einer zur Not auch gern beinharten Macherin, die lange und gut genug in der Politik dabei war, um zu wissen, wie man Dinge erledigt bekommt. Ihre Vita liest sich geradezu beispielhaft dafür: Sie hat in Köln unter anderem Theaterwissenschaft studiert, wurde 1982 Leiterin des Hildener und vier Jahre später Chefin des Düsseldorfer Kulturamts. 1993 holte die frühere Hamburger Kultursenatorin Helga Schuchardt sie nach Hannover, um in ihrem Ministerium die Abteilung Kultur zu leiten.
Schuchardts Einschätzung dieser Berufung wird von vielen geteilt, die Kisseler kennen: "Sie wird dieser Herausforderung sicher gewachsen sein. In ihrem Themenbereich ist sie hochgradig kompetent. Und es reizt sie sicher auch, in ihrem Alter jetzt einmal Erste und nicht Zweite zu sein." Ein Leben mit und für Kultur also.
Als Frank-Walter Steinmeier noch SPD-Kanzlerkandidat war, hatte er sich Kisseler als Themenexpertin und Staatsministerkandidatin in sein Schattenkabinett geholt. Daraus wurde nichts. Doch auch unter Berlins Regierungschef Klaus Wowereit lief nur sehr wenig in Sachen Kultur, an dem sie nicht auf die eine oder andere Weise sehr aktiv beteiligt war. Bis 2006 war Kisseler Staatssekretärin der Kulturverwaltung, um dann in einer Posten-Rochade die Plätze mit dem strippenzieherisch nicht minderbegabten André Schmitz zu tauschen - und dabei hin und wieder ein kleines, gut sichtbares Kompetenz-Armdrücken zu veranstalten. Jetzt rückt Kisseler in Hamburg auf, nach ganz vorn ins Rampenlicht. Nach ganz vorn in der Verantwortung.
Viel auszumachen dürfte ihr das nicht, im Gegenteil. Aus ihren Berliner Jahren sind viele schöne Zitate von ihr überliefert. "Ich kann viel Ignoranz ertragen", kommentierte Kisseler jene Politkollegen, die Bücher eher von außen kennen. Die trifft sie auch mit "Nichts ist einfallsloser, als in der Kultur zu kürzen" dort, wo es gehörig wehtun soll. Bei "Der Teufel trägt Prada" hat sie diesen Satz hier gefunden und adoptiert: "Verschonen Sie mich mit den Einzelheiten Ihrer Inkompetenz!" Doch da Realpolitik auch die Kunst des Durchbringbaren bedeutet, darf man gespannt sein, wo und wie Kisseler Schwerpunkte setzt. Oder eben nicht.
Was Scholz' Entscheidung für diese garantiert nicht handzahme Frau in seinem Senat bedeutet, wird sich bald zeigen müssen. Wie die Berufung von Kisselers zukünftigen Schutzbefohlenen beurteilt wird, kann der heutige Nachwahl-Kulturgipfel auf Kampnagel zeigen. Für konkreten Gesprächsstoff wurde ja nun pünktlich gesorgt.