Hamburgs Grüne streben Neuwahlen an. Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) reagierte “überrascht und enttäuscht“. Die SPD legt sich bereits fest und will Olaf Scholz als Spitzenkandidaten ins Rennen schicken.

Hamburg. Nach nicht einmal drei Jahren ist die bundesweit erste schwarz-grüne Landesregierung in Hamburg gescheitert. Die Grünen haben das Bündnis aufgekündigt und streben Neuwahlen an. „Wir sehen nicht mehr, dass diese Koalition die Kraft hat, wichtige Zukunftsprojekte für Hamburg zu stemmen“, sagte Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan am Sonntag nach einer Klausurtagung von Fraktion und Parteivorstand. Konkreter Anlass waren Personalquerelen in dem Bündnis. Schwarz-Grün regierte als erste Koalition dieser Art auf Landesebene seit Mai 2008 in Hamburg.

Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU), der vor 96 Tagen Nachfolger des zurückgetretenen Regierungschefs Ole von Beust geworden war, reagierte überrascht und enttäuscht. „Ich empfinde das als Flucht aus der Verantwortung vor großen Aufgaben, die wir in dieser Stadt zu bewältigen haben“, sagte er in Richtung Grüne. Er kündigte an, die drei grünen Senatoren für Schule, Umwelt und Justiz sowie die Staatsräte der Grünen am Montag zu entlassen.

+++ So verlief die Pressekonferenz der GAL +++

Neuwahlen könnten nach dem Wunsch der Grünen schon am 20. Februar stattfinden. Der Entscheidung für Neuwahlen müssen mindestens 61 der 121 Bürgerschaftsabgeordneten zustimmen. Die CDU stellt derzeit 56 Abgeordnete, die SPD 44, die Grünen (GAL) 12, die Linken 8, ein ehemaliger SPD-Abgeordneter ist fraktionslos.

Die GAL-Fraktion werde einen Antrag zur Auflösung des Parlaments für die Bürgerschaftssitzung am 15. Dezember einbringen, kündigte Kerstan an. Die endgültige Entscheidung, die Koalition mit der CDU aufzukündigen, müsse aber die Mitgliederversammlung der Grünen in Hamburg am 13. Dezember fällen.


+++ Carsten Frigge und die Parteispenden-Affäre +++

Die Grünen-Vorsitzende Katharina Fegebank sagte, sie sehe keine Chancen für einen Neuanfang mit der CDU, weil es keine hinreichenden Gemeinsamkeiten mehr gebe. „Das sehen wir vor allem darin begründet, dass der gemeinsame Geist und die große Verlässlichkeit, die diese Koalition bis zum Sommer getragen haben, einfach verflogen sind.“ Konkreter Anlass für das Verlassen der Koalition war für die GAL der Rücktritt von Finanzsenator Carsten Frigge (CDU) am Mittwoch. Gegen ihn wird im Zusammenhang mit einer Finanzaffäre der rheinland-pfälzischen CDU ermittelt. Ahlhaus hatte Rüdiger Kruse (CDU) als Frigges Nachfolger berufen wollen.


+++ Hamburg muss sparen, sparen, sparen +++

„Für uns war das eine schwere Entscheidung, für Hamburg ist es aber die richtige“, sagte Kerstan. Es seien Absprachen zum Beispiel bei der Umsetzung des Sparpakets im Haushalt nicht eingehalten worden. Die GAL-Bildungssenatorin und Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch sagte, nach der Wahl von Ahlhaus sei keine Stabilisierung eingetreten.

Ahlhaus widersprach: „Natürlich waren die vergangenen Wochen der Regierungszusammenarbeit in dieser Koalition nicht einfach.“ Aber es habe auch weiterhin eine gute Grundlage und bis zum Mittwoch eine sehr vertrauensvolle und verlässliche Zusammenarbeit gegeben. Er habe keine Klage wegen eines Verstoßes gegen den Koalitionsvertrag gehört. „Insofern sind wir überrascht.“ Die GAL habe sich weg von der Zusammenarbeit hin zum Machtkalkül bewegt. Sie folge dem Beispiel anderer Landesverbände weg aus der Verantwortung und hin zu einer „Dagegen-Partei“.


+++ Schulreform in Hamburg: Primarschule oder Gymnasium? +++

Die CDU und er hätten keine Angst vor Neuwahlen, versicherte Ahlhaus. CDU-Landeschef Frank Schira erklärte, ab jetzt sei Wahlkampf. Der CDU-Vorstand habe Ahlhaus einstimmig als Spitzenkandidaten nominiert.

Der Hamburger SPD-Vorsitzende Olaf Scholz kündigte an, dass er die Spitzenkandidatur seiner Partei übernehmen werde. „Ich will Bürgermeister werden. In Hamburg müssen Verlässlichkeit und Pragmatismus wieder zu wesentlichen Säulen der Regierungspolitik werden“, sagte Scholz. Über die SPD-Spitzenkandidatur entscheidet ein Landesparteitag am 17. Dezember.


+++ Die schwarz-grüne Regierung in Hamburg +++

Die personellen Probleme in der Koalition hatten schon vor Ole von Beusts Rücktritt im Sommer begonnen. Die GAL hatte zwar keine Personalwechsel zu verkraften, scheiterte aber mit dem Herzstück ihrer Schulreform, der Primarschule, am Widerstand der Bürger bei einem Volksentscheid.

CDU und Grüne hatten nach den Bürgerschaftswahlen im Februar 2008 unter bundesweiter Aufmerksamkeit verhandelt und im April den ersten schwarz-grünen Koalitionsvertrag auf Länderebene geschlossen. Die GAL musste dabei Projekte wie das Kohlekraftwerk Moorburg und die Elbvertiefung akzeptieren, die CDU ließ sich auf eine Schulreform und die Stadtbahn ein.

Stimmen zum Scheitern der Hamburger Koalition:

SPD-Chef Sigmar Gabriel : „Bei den Umfragen liegt die SPD dort bei über 40 Prozent, damit ist sie weitaus stärkste Fraktion oder Partei.“ Das liege daran, dass CDU und Grüne intern zerstritten seien und keines ihrer Wahlversprechen eingehalten hätten. Eines sei klar, fügte Gabriel hinzu: „Die nächste Regierung, dort gibt es ein führendes Zentrum, das wird die SPD sein. Und Olaf Scholz ist dafür der beste Kandidat.“

Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast : „Die Hamburger Grünen haben eine mutige und richtige Entscheidung für Hamburg getroffen.“ In der Hansestadt sei seit August offenkundig geworden, dass nach dem Weggang des Bürgermeisters Ole von Beust (CDU) ein verlässlicher Neuanfang der Koalition mit der Hamburger CDU nicht möglich gewesen sei. „Ich begrüße den einstimmig gefassten Beschluss der Hamburger Grünen-Spitze, nunmehr den Wählerinnen und Wählern das Wort zu geben.“

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt : „Das ist ein neuer Akt im grünen Dagegen-Theater.“ Mit ihrer Entscheidung trügen die Grünen „dieselbe Verantwortungslosigkeit, die sie beim Schienen-Schottern und Castor-Blockieren an den Tag legen, in die deutschen Parlamente hinein“, kritisierte der CSU-Generalsekretär.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD): „Die Entwicklung in Hamburg zeigt, dass Schwarz-Grün dort auf ganzer Linie gescheitert ist. Diese politische Konstellation hat keine Perspektive. Ihr Ende in Hamburg bedeutet auch eine Warnung für die Grünen in Berlin, sich nicht auf den falschen Weg eines Bündnisses mit den Konservativen einzulassen.“

Hamburgs Landes- und Fraktionsvorstand der Linken in einer gemeinsamen Erklärung: „Die GAL hat jetzt endlich den Mut für einen klaren Schnitt gefunden, der das langsame Siechtum und Auseinanderfallen des Senats beendet.“ Das Scheitern der Koalition sei die logische Folge einer schlechten Politik, die an den Interessen und Bedürfnissen der Menschen in Hamburg vorbeigegangen sei. „Die GAL hat eine traurige Bilanz ihrer Regierungszeit vorzuweisen und ihr Profil als Umwelt- und Bürgerrechtspartei ruiniert.“

Schleswig-Holsteins CDU-Landeschef Christian von Boetticher : „Die Art und Weise der Aufkündigung der gemeinsam von CDU und Grünen gebildeten Regierung in Hamburg ist in Form und Stil unanständig“, sagte Boetticher am Sonntag in Kiel. Einzig nachvollziehbarer Grund seien die bundesweiten Umfragewerte der Grünen, „die der Partei offenbar die Bodenhaftung geraubt haben“.

Frank Horch , Präses der Handelskammer Hamburg: „Hamburg braucht in diesen Zeiten einen kraftvollen und arbeitsfähigen Senat. Aufgrund der Spannungen und Probleme, die zwischen den Koalitionspartnern seit den Ereignissen im Sommer aufgebrochen sind, ist dies offenbar nicht mehr gewährleistet. Ich hoffe, dass Hamburgs Handlungsfähigkeit durch Neuwahlen rasch wiederhergestellt wird. Angesichts unserer nationalen und internationalen Wettbewerbssituation ist dies von allergrößter Bedeutung."

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft : „Der Schritt der Grünen ist konsequent. Er zeigt, dass bei schwarz-grünen Koalitionen die gemeinsame Basis fehlt“, so die SPD-Landesvorsitzende am Sonntag. Jetzt müsse es schnell Neuwahlen geben. „Ich bin mir sicher, dass mit Olaf Scholz die SPD in Hamburg wieder stärkste Kraft wird“, fügte SPD-Bundesvize Kraft hinzu.

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles : "Schwarz-Grün ist nach einer ruhmlosen Skandal- und Pannenserie gescheitert. Die SPD nimmt diese Herausforderung an. Sie ist mit Olaf Scholz und anderen bestens aufgestellt, um Regierungsverantwortung zu übernehmen.“

Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, Jürgen Trittin , sagte der "taz": "Nachdem Kapitän Ole von Beust von der Brücke flüchtete, erwies sich die Hamburger CDU als nicht mehr regierungsfähig. Mehrere Rücktritte von Senatoren in wenigen Monaten zeugen davon.“

Hans-Peter Friedrich , CSU-Landesgruppenvorsitzender im Bundestag: „Die Zeit für Blütenträume von Schwarz-Grün ist vorbei. Wer daran festhalten will, ist nicht auf der Höhe der Zeit.“ Zugleich bezeichnete er das Scheitern des Regierungsbündnisses in Hamburg als „bedauerlich“. Die so wichtige Wirtschaftsregion brauche eigentlich Stabilität und politische Verlässlichkeit. Friedrich interpretierte den Entschluss der Grünen, Neuwahlen anzustreben, als Beweis für „einen schon seit längerem anhaltenden Linksrutsch an der grünen Basis“. Dieser führe „zwangsläufig zu einem Verschwinden möglicher Gemeinsamkeiten“. Hamburg stehe nun vor einer Grundsatzauseinandersetzung „zwischen links-grüner Verweigerungshaltung und bürgerlich-liberalem Fortschritt“.

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP): „Die Realität zeigt: Es trennt sich, was nicht zusammengehört.“

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach hat das Ende der schwarz-grünen Koalition in Hamburg begrüßt. „Hamburg zeigt, dass es kein hinreichendes Maß an politischen Gemeinsamkeiten zwischen der CDU und den Grünen gibt“, sagte Bosbach „Spiegel Online“. Der Innenexperte, der als Kritiker von Schwarz-Grün gilt, räumt dem Modell auf Bundesebene kaum noch Chancen ein. „Hamburg ist nun wirklich kein Indiz dafür, dass Schwarz-Grün ein Erfolgsmodell wäre“, sagte Bosbach. „Ich kann mich nur wundern, wenn manche meiner Kollegen immer noch ernsthaft der Ansicht sind, wir könnten im Bund mit den Grünen eine tragfähige Regierung schmieden.“

Hamburgs FDP-Landesvorsitzender Rolf Salo : "Diese Koalition hatte schon lange den Rückhalt in der Stadt verloren. Die GAL hatte ihre Glaubwürdigkeit total aufgebraucht. Der Ahlhaus-Senat erweist sich als regierungsunfähig. Nur durch Neuwahlen kann die desolate Lage Hamburgs wieder in geordnete Bahnen gelenkt werden. Hamburg benötigt eine stabile Politik der Mitte und eine starke FDP-Fraktion in der Bürgerschaft."

Kurt Beck , rheinland-pfälzischer SPD-Vorsitzender: „Der Ausstieg der Grünen aus der Koalition in Hamburg zeigt, es gibt keine zukunftsfähige und tragfähige politische Schnittmenge zwischen Grünen und der CDU.“. Dies zeige sich insbesondere an der Atompolitik der Bundesregierung, die „verantwortungslos“ sei.

Die Parteivorsitzenden der Grünen Claudia Roth und Cem Özdemir erklärten in Berlin, die Entscheidung der Hamburger Grünen sei konsequent und richtig. „Wenn die gemeinsame Vertrauensgrundlage in diese Koalition verloren gegangen ist, sind Neuwahlen die logische Konsequenz.“ Seit dem Rücktritt des früheren Ersten Bürgermeisters Ole von Beust (CDU) sei die „Entfremdung“ beider Koalitionspartner immer deutlicher spürbar geworden. „Mit zu vielen personellen Querelen und einem inhaltlichen Abrücken von vereinbarten Zielen hat die CDU die Fortsetzung des Bündnisses unmöglich gemacht“, stellte das Spitzenduo fest.