Das Abendblatt hat sich bei Menschen umgehört, die mit Einwanderung zu tun haben. In Schule, Politik, Gesellschaft, Religion, Sport.
Hamburg. Hamburg ist Migrations-Hauptstadt in Deutschland. Fast jeder dritte Einwohner hat einen Migrationshintergrund. Auch deshalb werden die Thesen aus dem Buch von Thilo Sarrazin "Deutschland schafft sich ab" hier besonders heftig diskutiert.
Das Abendblatt hat sich bei Menschen umgehört, die mit Einwanderung zu tun haben. In Schule, Politik, Gesellschaft, Religion, Sport. Schon früh stand das Thema in Hamburg auf der Agenda. In der ersten bundesweiten Integrationsstudie belegt Hamburg Platz zwei. Experten glauben, dass die Integration in Hamburg weiter ist als die Debatte darüber.
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Ein Miteinander auf Befehl wird nicht funktionieren
Die Wände sind kahl, der Teppich im Gebetsraum ist verschlissen, die Einrichtung spärlich - das Ambiente der Mevlana-Moschee am Heiligengeistfeld ist alles andere als repräsentativ. Dafür fällt der Empfang durch Mehmet Yilmaz, 61, den Vorbeter und Vorsitzenden des Moscheevereins, umso freundlicher aus: "Kommen Sie rein, wir haben nichts zu verbergen." Seit neun Jahren betreibt der Witwer und Großvater von zwei Enkeln mit 20 anderen Vereinsmitgliedern die Moschee. Ehrenamtlich, wie er betont.
Genauso wichtig ist ihm die Unabhängigkeit des Vereins. "Wir sind keinem Dachverband oder einer anderen Institution angeschlossen und finanzieren uns nur über die Spenden der Gemeinde, wir hängen nur ab von Gott." Er lächelt und zeigt mit dem Finger nach oben. Der Verein bietet für Jungen und Mädchen Korankurse an, die Gebetsräume stehen allen Muslimen offen. "Wir würden gerne Deutschkurse und Computerkurse anbieten, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt." Er sieht die Moschee als Anlaufstelle für die Menschen in der Umgebung an und empfängt auch deutsche Gäste, die sich informieren oder die Räumlichkeiten eines muslimischen Gebetshauses einmal von innen sehen wollen. Aber als Schulklassen und deutsche Lehrer mit ihm über den Islam diskutieren wollten, habe er das abgelehnt.
"Natürlich bin ich für einen Austausch, gebe Auskunft über meine Religion, aber wie soll ich mit ihnen über den Islam diskutieren, wenn sie kaum etwas darüber wissen? Es würde mir ja auch nicht einfallen, mit den Lehrern über Pädagogik zu diskutieren." Sein eigenes Wissen über den Islam hat er von religionsgelehrten Hodschas, die ihn in Deutschland unterrichtet haben, und aus Büchern in türkischer Sprache. Und er hat genug Arabisch gelernt, um den Koran im Original zu lesen.
Mehmet Yilmaz fixiert seine gefalteten Hände und holt Luft: "Man kann die Integration nicht erzwingen, sie wird nicht auf Befehl funktionieren. Sie kann nur gelingen, wenn man den Menschen ihre Identität und ihren Glauben lässt. Wenn ein Christ Alkohol trinkt, habe ich das zu respektieren. Er muss aber auch respektieren, dass ich es als Moslem nicht tue." Dabei macht er keinesfalls allein die deutsche Seite für die heutigen Probleme vor allem der zweiten und dritten Generation verantwortlich. "Wir sind in den 60ern und 70ern in dieses Land gekommen, um uns eine neue Existenz aufzubauen, um es zu Wohlstand zu bringen. Und den meisten von uns ist das auch gelungen. Nur haben wir dafür einen hohen Preis bezahlt. Wir haben unsere Kinder vernachlässigt." Die Eltern hätten es versäumt, ihren Kindern Orientierung zu geben, und nicht genug Wert auf eine gute Ausbildung gelegt.
Auch an ihrem schlechten Image seien die Muslime nicht unschuldig, findet er. So hätten unter den früheren Betreibern der Moschee 70 Türken bei ihrer Anmeldung als Wohnort die Adresse der Moschee angegeben. Als manche von ihnen straffällig wurden, stand regelmäßig die Polizei vor der Tür. "Und solche Leute nennen sich Muslime", sagt Yilmaz und schüttelt den Kopf.
Für ihn ist ein wahrer Moslem rechtschaffen und aufrichtig. Er behandelt seine Mitmenschen mit Respekt und betrügt nicht, weder andere Muslime noch Christen, denn Betrug bleibe Betrug. Vor allem darin sieht er seinen Beitrag zum Gelingen der Integration, in der religiösen Unterweisung. Er möchte seine Auffassung, was ein guter Moslem ist, was er tun darf und was nicht, den Leuten beim Freitagsgebet oder bei alltäglichen Begegnungen vermitteln. Und weiter Vorurteile abbauen, was bisweilen kompliziert ist.
"Beim letzten Zuckerfest, dem Abschluss des Fastenmonats Ramadan, haben wir die Polizeiwache in der Nähe besucht und Süßigkeiten mitgebracht", erzählt er. "Wir mussten den Polizisten erklären, dass die Süßigkeiten kein Bestechungsversuch sind, sondern eine übliche Geste zum Zuckerfest. Erst dann haben sie davon gegessen. Inzwischen schauen sie manchmal auf ein Glas Tee in unserer Moschee vorbei." Autor: Kerim Pamuk
Mehr Migranten ins Ehrenamt
Mannschaften, in denen nur Spieler mit rein deutscher Herkunft kicken, gibt es in Hamburg wahrscheinlich gar nicht mehr." Claudia Wagner-Nieberding sitzt in ihrem aufgeräumten Anwaltsbüro am Klosterstern in Eppendorf und wundert sich ein wenig über den Besuch. Kann ja sein, dass es in Politik und Gesellschaft ein kollektives Versagen in Sachen Integration gegeben hat - "für den Fußball-Sport zählt das ganz eindeutig nicht", sagt sie. "Auch wenn wir nicht auf einer Insel der Glückseligen leben."
Natürlich gebe es punktuell immer wieder Gewalt auf dem Fußballplatz. Gerade hat der Vorstand von Gencler Birligi seine zweite Mannschaft vom Spielbetrieb abgemeldet, um, wie er mitteilte, "ein Zeichen zu setzen". Aber es gebe, so Wagner-Nieberding, jedes Wochenende "Hunderte von konfliktfreien Begegnungen" und "keine dramatische Zunahme der Gewaltproblematik". Auch wenn sie betont, dass "jeder Vorfall einer zu viel ist".
Die Fakten: An einem Wochenende gibt es in Hambug rund 1450 Fußballspiele bei Junioren (900), Mädchen (110), Herren (450) und Frauen (45). Bei 30 von rund 60 000 Spielen im Jahr gibt es eine Gewaltproblematik - das sind 0,05 Prozent.
Seit Ende 2007 ist die 40-Jährige Integrationsbeauftragte des Hamburger Fußball Verbandes (HFV). Sie überlässt das Rampenlicht gerne anderen und wirkt lieber im Stillen. Sie weiß um die "hohe soziale Verantwortung" des Fußballs und hat deshalb fünf Bausteine für ein "Miteinander statt nebeneinander" entwickelt. Die Qualifizierung von Trainern und Betreuern, die Würdigung besonderer Leistungen durch die Ausschreibung des mit 10 000 Euro dotierten Integrationspreises, die klare Positionierung gegen Ausgrenzung, die Schaffung von Chancengleichheit durch Kooperation mit Bildungseinrichtungen und die Integration durch Teilhabe. "Es wäre sehr hilfreich, wenn wir noch mehr Menschen mit Migrationshintergrund und mit kultureller Kompetenz für das Ehrenamt gewinnen könnten", sagt sie.
Deshalb sei die momentane Debatte auch nicht überflüssig, aber in der populistischen Zuspitzung "der Sache nicht zuträglich". Gerade weil der Fußball die "größte Durchdringung in der Gesellschaft" hat, ist für die Rechtsanwältin ein Aspekt in der Diskussion entscheidend: "Es geht weniger um Menschen mit Migrationshintergrund, sondern um die soziale Integration."
Da setzt auch der Verband an. Sie erzählt von einem Sportcamp mit 21 Kindern aus elf Nationen, in dem den Teilnehmern beigebracht wurde, dass man sich begrüßt, sich dabei die Hand gibt und gemeinsam zu Mittag isst. "Für viele waren das neue Erfahrungen", sagt Wagner-Nieberding, die selbst "fußballbegeistert" und St.-Pauli-Mitglied ist. Die Kinder hätten "ein unglaubliches Bedürfnis nach Zugehörigkeit".
Genau hier liege ihr Ansatz: rassistische Äußerungen und kulturelle Konflikte nicht zu negieren, sondern zu ahnden. "Aber der Schwerpunkt liegt im Positiven." Schließlich hat sie ein Ziel: "Ich möchte, dass sich meine Position irgendwann in Luft auflöst." Autor: Jan Haarmeyer
Deutschland hat kein muslimisches, sondern ein soziales Problem
Kay Stöck, 60, kann mitreißend erzählen. Als der Schuldirektor neulich bei der "Nacht der Legenden" im Schmidts Tivoli auf der Bühne von TV-Moderator Reinhold Beckmann gefragt wurde, wie sich Schule in Kirchdorf-Süd anfühlt, hat er in drei Minuten und 30 Sekunden so eindrucksvoll vom turbulenten Alltag mit den kleinen Menschen und ihren großen Augen in der Hochhaussiedlung im Süden Hamburgs erzählt, dass hinterher eine Frau zu ihm kam und schwärmte: "Sie sind der Held des Abends."
Jetzt sitzt der fröhliche Direktor in seinem Arbeitszimmer im Stübenhofer Weg. Und wenn es darum geht, ob Thilo Sarrazin recht hat, dass sich Deutschland abschafft, erklärt Kay Stöck erst einmal, wie "sein Deutschland" mit 800 Schülern, verteilt auf Grund- und Stadtteilschule, aussieht. "Rund 80 Prozent haben einen Migrationshintergrund", sagt er. Und dass an der Schule 19 Sprachen gesprochen werden.
Stöck, das wird schnell klar, findet das Leben an seiner Schule wesentlich aufregender als das Buch von Sarrazin. Er sagt, dass die Integration zum Glück weiter ist als die momentane Debatte darüber. Die aber völlig richtig sei. Denn natürlich gibt es Probleme. Natürlich sei es richtig, diese auch zu benennen. Und natürlich gebe es Migranten, die sich nicht integrieren wollten. "Ich glaube, wir haben die Probleme zu lange nicht ernst genommen. Dann muss man sich nicht wundern, wenn sich die Menschen in ihre Welt zurückziehen."
Stöck sagt, dass einige Väter nur das Wort von Mann zu Mann akzeptieren. Das gelte aber sowohl für türkische als auch für deutsche Väter. Wenn diese ihm sagen, dass ihr Sohn oder ihre Tochter nicht mit auf Klassenreise fahren, dann "verklickert" er ihnen, dass sie doch mitfahren. Kommt das häufig vor? "Das kommt immer wieder vor. Wir müssen neben der Aufklärung auch immer auf Konsequenzen hinweisen."
Das A und O aber sei die Sprache, sagt Stöck. Wenn Kinder keine sprachlichen Vorbilder hätten, werde es schwierig. "Daher betreiben wir seit drei Jahren gezielte Sprachförderung in der Grundschule." Es gebe Kinder in Kirchdorf, die manchmal weder die Muttersprache noch die deutsche Sprache beherrschten. Kinder, die in unvollständigen Kurzsätzen reden. "Ich Toilette." Erstklässler, die sich nicht die Schuhe zubinden können und einfachste Sachverhalte aus ihrer Umwelt nicht kennen. Kinder, die nicht rückwärts laufen oder auf einem Bein hüpfen können. Es gibt Kinder, die keinerlei Anregungen von zu Hause bekommen. "Aber das hat nichts mit Nationalitäten zu tun. Dafür gibt es keine Belege."
Im Gegenteil. Er hat genug Klassen, in denen die Leistungsstärksten aus der Türkei, dem Iran oder Afghanistan kommen. Er hat Schüler mit einem Realschulabschluss von 1,3. Er habe zehn bis 20 Prozent sehr gute, 30 bis 50 Prozent mittlere sowie 30 bis 40 Prozent schwache Schüler, sagt er. Nein, Deutschland habe kein muslimisches, sondern ein soziales Problem. Und vielleicht sollten sich die Politiker einmal fragen, warum die Bevölkerung in Kirchdorf-Süd nicht durchmischter ist. Warum Kinder, die sich nicht ausdrücken können, ihre Probleme anders lösen. 30 Prozent der Grundschüler hätten einen "sehr geringen" Wortschatz.
Ginge es nach einem Integrations-Praktiker wie Stöck, müsste sich Schule ständig verändern. Weg von der Sitzschule, hin zum praktischen Unterricht. Mehr anfassen und aufschreiben. Im Vordergrund steht für ihn eine viel stärkere Berufsorientierung. Stöck kann nicht verstehen, dass man dieses "Riesenpotenzial" an jungen Menschen einfach brachliegen lässt. Die Handwerksbetriebe suchten doch händeringend gute Lehrlinge.
Stöck ist ein vehementer Verfechter des längeren gemeinsamen Lernens. Weil es ihn schmerzt, wenn nach der vierten Klasse die Leistungsträger auf das Gymnasium gehen. "Und ein Teil kommt nach dem Versuch wieder zurück, muss in die Klassenverbände integriert und von den Lehrern aufgebaut werden." Stöck erzählt von einer leistungsstarken siebten Klasse, deren Schüler seit der Vorschule zusammen sind. Kein Vergleich sei das zu einer Siebten, deren Schüler aus verschiedenen Grundschulen stammen.
Stöck wünscht sich mehr Betriebe, die nicht nur nach der Rendite gucken, sondern sagen: "Wir schauen uns den Jungen mit seinen Defiziten erst einmal an und reden dann mit ihm und seinem Lehrer." Und ihn nicht nach zwei Tagen wieder wegschicken, weil er nicht für ein Praktikum taugt. "Was ist denn wichtiger: Kinder oder Kosten?"
Neulich saß eine türkische Mutter bei ihm, die seit 20 Jahren in Deutschland lebt, aber die Sprache nicht spricht. Sie brachte zum Übersetzen ihre Tochter mit und wollte ihren jüngsten Sohn anmelden. "Ich nehme Ihren Sohn nur, wenn Sie sich für einen Deutschkurs anmelden", hat Stöck gesagt. Da hat sie gelacht. Und er auch. "Haben Sie mich verstanden?" Wieder ein Lachen. Und ein Zurücklachen. "Ich meine das ernst", hat er gesagt. "Ja, ja", hat sie gesagt und gelacht. "Ich werde überprüfen, ob Sie sich angemeldet haben", hat er gesagt und gelächelt. "Ja, Herr Stöck", hat sie gesagt und gelacht.
Kay Stöck findet, dass mit Humor alles leichter geht. Aber ohne Konsequenz, sagt er, geht gar nichts. Autor: Jan Haarmeyer
Wo Thilo Sarrazin recht hat
Hüseyin Aydin sitzt in Büro 2.29. Ein roter Zettel hängt an seiner Bürotür. "Beratung" steht darauf. Hüseyin Aydin ist 36 Jahre alt, seit vier Jahren arbeitet er für die Arbeitsagentur Harburg. Er wurde nicht nur eingestellt, weil er Volkswirtschaft studiert hat, höflich und effektiv ist. Sondern auch, weil seine Eltern Türken sind und er die Sprache beherrscht.
Aydins Eltern kamen in den 60er-Jahren nach Hamburg, sie waren ungelernte Arbeiter, sie kamen nach Deutschland, weil sie hier den Wohlstand vermuteten. Der Vater arbeitete bei der Norddeutschen Affinerie auf der Veddel, zusammen mit vielen anderen Türken. Sie sprachen Türkisch in den Arbeitspausen. Und zu Hause sprach die Familie Aydin auch Türkisch. Eigentlich sprechen seine Eltern bis heute nicht gut Deutsch, sagt Hüseyin Aydin. Mittlerweile ist sein Vater Rentner.
Aydin hat sein akzentfreies Deutsch von seinen Geschwistern gelernt, er war das dritte von vier Kindern. Seine Eltern sagten ihm, Schule sei alles, er solle sich anstrengen. Er strengte sich an, machte Abitur, studierte, bewarb sich. Er schrieb über 100 Bewerbungen, ohne Erfolg. "Ich glaube schon, dass man mit ausländischem Aussehen und Namen Nachteile bei Bewerbungen hat", sagt er. Heute ist er froh, dass er bei der Arbeitsagentur als Arbeitsvermittler gelandet ist. Hier kann er etwas tun für Integration.
Hier in der Arbeitsagentur Hamburg, Geschäftsstelle Harburg. Von den knapp 10 200 Arbeitslosen im August war jeder Dritte Ausländer. Von den 7600 Hartz-IV-Empfängern war ebenfalls jeder Dritte Ausländer. Das sind die höchsten Werte aller Bezirke in Hamburg. Der Ausländeranteil in Harburg liegt bei 15,5 Prozent. 24 000 Ausländer leben in dem Bezirk. Der Anteil der Menschen, die einen Migrationshintergrund haben - und teilweise einen deutschen Pass -, beträgt 35 Prozent.
"Thilo Sarrazin hat mit vielem recht", sagt der nette Herr Aydin. Er sagt über Integration Dinge, die auch in Sarrazins Buch stehen könnten. "Wir brauchen hier im Land keine Ungelernten", sagt er. Die Anreize, als Ungelernter Arbeit in Deutschland aufzunehmen, seien viel zu gering. Man müsse Migration regulieren, sodass nur qualifizierte Arbeitnehmer nach Hamburg kommen.
Aydin wurde auch eingestellt, damit er türkische Migranten besser betreuen kann. Die Arbeitsagentur will in den kommenden Monaten mehr Menschen mit Migrationshintergrund einstellen. Menschen wie Hüseyin. Viele arbeitslose Ausländer seien betreuungsresistent, weil sie nicht Deutsch sprächen, sagt er. Wütend macht ihn, wenn Türken nach 30 Jahren in Deutschland noch nicht die Sprache beherrschen. Außerdem sagt er: "Es gibt viele Türken in Hamburg, bei denen der Bildungsehrgeiz nicht ausgeprägt ist."
Letztens hat er gelesen, dass Einwanderer in Israel binnen weniger Monate die Sprache können müssen, sonst müssen sie wieder gehen. Nicht schlecht findet er das. "Die Einwanderung nach Deutschland war über Jahrzehnte zu einfach. Die Politik ist viel zu lasch gewesen", sagt er.
Aydin ist jedoch häufig auch machtlos. Die Arbeitsvermittler dürfen Migranten nicht zu Integrationskursen schicken, das dürfen nur die Jobcenter für Langzeitarbeitslose tun. Und häufig, sagt Aydin, vermittelt er Menschen, die nicht Deutsch können, einfach an Landsleute. Einen Türken zu einem türkischen Restaurantbesitzer in die Küche. Ein Beitrag zur Integration ist das nicht, sagt Aydin. Aber was soll er machen? Im Dezember organisiert er eine "Woche der Migration" - Migranten können sich dann in der Arbeitsagentur über Jobs, Bewerbungstrainings und Förderungen informieren. Es liege an den Migranten, daraus etwas zu machen - trotz aller Probleme. Hüseyin Aydin sagt, dass er es als Volkswirt völlig in Ordnung findet, Kosten und Nutzen der Integration zu betrachten.
In diesem Jahr will Hüseyin Aydin heiraten, seine Frau ist auch Migrantin, zu Hause sprechen sie Deutsch. Manchmal wechseln sie ins Türkische. Er sagt: "Ich fühle mich als Deutscher." Autor: Volker ter Haseborg
Brücken bauen für die Kinder
Wenn Integration etwas mit Fischen zu tun hat, dann ist sie selbst der Köder. Ein iranisches Sprichwort fällt Hourvash Pourkian zu Migranten ein, die sich angeblich abschotten: "Egal, wann man den Fisch fängt, er ist immer frisch." Es sei also nie zu spät, Menschen einen Zugang zur "Mehrheitsgesellschaft" zu verschaffen.
1974 kam sie als Teenager aus Teheran nach Hamburg. Über eine Bekannte ihres Bruders fand sie deutsche Freunde. Der Rest ihrer Vita liest sich so, wie Thilo Sarrazin sich wohl alle Migranten in Deutschland wünscht: BWL-Studium, Chefin einer Textilfirma, Unternehmerin. Zwischen den Welten bewegte sich ihre Familie aber schon vorher. Gemeinsam mit ihrem Vater, einem Kritiker des iranischen Schah-Regimes, veröffentlichte sie 1998 ein Buch, das mehr Macht für Frauen in der Gesellschaft fordert.
Es ist die Sozialisation einer Bildungsbürgerin.
Hamburg, im Januar 2001: Im Wahlkampf war Hourvash Pourkian "gesellschaftliche Beraterin" des Bürgermeister-Kandidaten Ole von Beust (CDU). Die Schill-Partei erlangt aus dem Stand 19,4 Stimmen und bildet mit CDU und FDP die neue Regierung.
Sie hat große Hoffnungen. Aber erst mal passiert nichts.
"Viele CDUler haben mit dem Kopf geschüttelt und gesagt, ihnen seien durch die Schill-Partei die Hände gebunden", erinnert sich Pourkian, die keiner Partei angehört. Die Erinnerung macht die 50-Jährige, die viel lacht, noch heute zornig. Die "Partei Rechtsstaatlicher Offensive" hatte im Wahlkampf gepunktet mit einem "harten Vorgehen gegen kriminelle Ausländer".
Dabei hatte Pourkian schon damals erkannt, dass Zuwanderer sich zurückziehen, wenn niemand für sie Brücken baut. Dass es nicht immer gut sei, wenn sie nur untereinander wohnen und nur die Sender ihres Heimatlandes über Satellitenschüssel verfolgen. Zuwanderer geballt auf einem Raum unterzubringen, das war vor der Jahrtausendwende die Politik in vielen Großstädten.
Nicht Deutsch lernen, das bedeute, kein Selbstvertrauen entwickeln zu lernen. Deshalb suchten auch viele Zuwanderer eine Heimat in den Moscheen. "Aber zu viel Religion ist für keinen Menschen gut", sagt Pourkian, "das ist auch bei Christen so." Wenn Menschen leicht beeinflussbar werden, sei das gefährlich.
Der Einfluss der Schill-Partei schrumpfte offenbar, 2002 wurde jedenfalls der Integrationsbeirat gegründet. Pourkian war von Anfang an dabei. "Zunehmend beherzigten auch Politiker unsere Ratschläge", sagt sie.
Als Ole von Beust im Jahr 2006 in der "FAZ" davon sprach, er habe Angst vor "Pariser Verhältnissen", nach Jahren der Wirtschaftsförderung müsse man nun den Zusammenhalt der Bürger stärken, da hatte die Nicht-Politikerin längst die Kulturbrücke e. V. gegründet. Das Projekt "Switch" organisiert Begegnungen von Kindern verschiedener Herkunft. Mit ihren Eltern reisen sie vier Tage durch die Stadt. Da treffen Kinder aus Wilhelmsburg auf die Mittelschicht in Poppenbüttel. Mal gibt es südafrikanisches Essen, mal wird "typisch deutsch" gebastelt.
Erst sei ihr abgeraten worden, weil sie ja Sozialneid schüre, sagt Pourkian. "Aber Kinder sind frei davon, sie begegnen sich offen, das ist unsere Chance." Nun will sie auch Erwachsene zusammenführen. "Es gibt Eltern, die sind nicht mit einem einzigen Deutschen befreundet." Das müsse man sich vorstellen: in einem fremden Land leben, ohne Kontakt zu den Menschen. Wie unsicher man dann sei, auf "die anderen" zuzugehen.
Die größten Fehler der Vergangenheit seien überwunden, auch wenn längst nicht alles gut sei, sagt Pourkian. Über Mangel an Aufmerksamkeit kann sie sich nicht beklagen: 2008 zeichnete Bundespräsident Horst Köhler ihr Projekt als "Ort der Ideen" aus. Seinem Nachfolger Christian Wulff hat sie geschrieben, ob er Schirmherr werden wolle. Die Antwort steht noch aus. Autor: Philip Volkmann-Schluck
Hamburger Korrekturen
Als Thilo Sarrazin 2001 aus dem Vorstand der DB-Netz - einer Tochter der Deutschen Bahn - entlassen war und gerade Finanzsenator in Berlin wurde, da schuf die Zweite Bürgermeisterin in Hamburg längst politische Fakten zur Integration. Birgit Schnieber-Jastram (CDU), von 2001 bis 2008 Senatorin für Soziales und in diesem Amt zuletzt abgekämpft, wirkt in diesen Tagen entspannt.
Es muss ein gutes Gefühl sein, einen Wechsel gestaltet zu haben, den man Jahre später noch richtig findet.
"Entscheidend war, Migranten selber über ihre Bedürfnisse beraten zu lassen, anstatt nur über sie zu bestimmen", sagt Schnieber-Jastram. Sonne scheint durchs Glasdach auf die vorbeieilenden Anzugträger in den Gängen des Europäischen Parlaments. Die CDU-Politikerin läuft mit ruhigen Schritten. Seit einem Jahr ist sie Abgeordnete in Brüssel. Aber an damals erinnert sie sich noch gut.
2002 gründete sie den Integrationsbeirat mit 45 Mitgliedern, Vertreter verschiedener Kulturen und Organisationen. Allerdings keine religiösen, auch islamische Gemeinden sind nicht beteiligt, was immer wieder diskutiert, aber bisher nicht aufgeweicht wird. Schnieber-Jastram lud damals zu einem Integrationsgipfel, zum Gefallen der oppositionellen Grünen. Das fand bundesweit Beachtung. Und Hamburg erließ als eines der ersten Bundesländer Leitlinien zur Integration.
"Für einige war das schon überraschend, schließlich galt die CDU nicht unbedingt als Partei, der man so etwas zutraute", sagt die 64-Jährige, die dem linken Flügel ihrer Partei zugerechnet wird. Integration sei dann gelungen, wenn Zuwanderer gleichberechtigt am wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben teilhätten, sagte sie damals.
Vor einer Dekade noch bestritten viele Unions-Spitzenpolitiker, dass Deutschland überhaupt Einwanderungsland sei. Erst 1998, mit der rot-grünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder, sollte die Einbürgerung von Zuwanderern historisch erleichtert werden. Auch in Hamburg, zu diesem Zeitpunkt allerdings seit Jahrzehnten von der SPD regiert, war bis dahin wenig von Migrationspolitik zu spüren.
"Das Boot ist voll", sagte der damalige SPD-Bürgermeister Henning Voscherau in einer Diskussion über Asylbewerber - und bekam dafür mehr Applaus von rechts außen, als ihm hätte lieb sein dürfen.
Günter Apel, der "Ausländerbeauftragte des Senats" - so hieß das Amt damals -, zog Ende des 20. Jahrhunderts zum Abschied eine negative Bilanz. "Von einer Vision, einem Konzept für das Zusammenleben mit Ausländern ist nichts in Sicht." Damit meinte er auch seine eigene Partei.
Der Senat, so Apel, habe auch seinen Vorschlag nicht berücksichtigt, Zuwanderer zur besseren Integration in Mietwohnungen statt in Pavillon-Dörfern unterzubringen. Damals wurden Flüchtlinge, etwa aus Jugoslawien, in Containerdörfern im Stadtgebiet untergebracht. Das schien auch deshalb praktisch, weil diese provisorischen Dörfer schon seit der Wiedervereinigung standen. Eigentlich waren sie für Mitbürger aus Ostdeutschland gebaut worden.
"Damals kamen viele Zuwanderer in Schüben. Die wurden dann in ohnehin schon belasteten Gebieten untergebracht", sagt Birgit Schnieber-Jastram. Die CDU-Politikerin spricht freimütig über diese Zeit, in der noch die SPD am Ruder war. "Dieser Fehler wurde aber in vielen Städten gemacht", sagt sie.
So kamen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion viele russisch-stämmige Menschen, die vorzugsweise in Hamburgs Osten lebten. "Heute gibt es diese massiven Einwanderungswellen aber nicht mehr", sagt Schnieber-Jastram. Tatsächlich ist der Saldo negativ: Es gehen mehr Zuwanderer als kommen.
"Die Zuwanderung findet im Kreißsaal statt", jene Polemik des damaligen Ausländerbeauftragten Günter Apel ist nicht ganz falsch: In den 90er-Jahren hatten 16 Prozent der Hamburger einen Migrationshintergrund, heute sind es 25 Prozent. Hamburg setzt auf frühkindliche Bildung, darunter auch Sprachkurse. Auch wenn es deshalb irritiert, dass der heutige Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) die Gebühren für Kitas erhöht hat - laut Anmeldungen für das beginnende Kita-Jahr besuchen 94 Prozent der unter Vierjährigen eine Kita. Etwa die Hälfte von ihnen hat auf irgendeine Art ausländische Wurzeln. Fast alle von ihnen werden also staatlich erreicht.
"Das grundsätzliche Ziel sollte sein, dass Kitas eines Tages umsonst sind. Das ist aber bei dem derzeitigen Zustand der Haushalte nicht zu erreichen", sagt Schnieber-Jastram. Von der These Sarrazins, dass nachfolgende Generationen von Zuwanderern stärker in Abhängigkeit gerieten, will sie nichts wissen. Sie habe viele Kinder aus Migrantenfamilien erlebt, die ehrgeiziger seien als Kinder aus deutschen Mittelstandsfamilien. Autor: Philip Volkmann-Schluck