Der Generalintendant Christoph Lieben-Seutter hält die Eröffnung im Mai 2012 für nicht mehr haltbar: “Darauf müssen wir uns einstellen.“
Hamburg. Zehn bis zwölf Wochen ist der Bau der Elbphilharmonie derzeit in Verzug. Genauso lange, nämlich seit gut zehn Wochen, überlegen die Verantwortlichen aufseiten der Stadt, ob, wann und wie sie die unbequeme Wahrheit verkünden: Der Eröffnungstermin für das Konzerthaus im Mai 2012 ist nicht zu halten, er ist mausetot, intern längst beerdigt. Gestern nun wagte sich mit Generalintendant Christoph Lieben-Seutter erstmals ein Offizieller aus der Deckung: "Ich rechne nicht mehr damit, dass Hochtief in den nächsten Wochen einen belastbaren neuen Terminplan vorlegt, der uns Planungssicherheit für Mai 2012 geben könnte. Darauf müssen wir uns jetzt einstellen", sagte er dem Abendblatt. Der musikalische Leiter ist dennoch optimistisch, auch für eine spätere Eröffnung international renommierte Orchester und Solisten gewinnen zu können.
Der jetzt schon eingetretene Verzug plus die Ankündigung des Baukonzerns Hochtief, dass die Fertigstellung sich um bis zu ein Jahr verschieben wird, plus die vergangene Woche bekannt gewordene Tatsache, dass es bereits Gespräche mit Orchestern wie den Wiener Philharmonikern über eine Verschiebung des Termins gibt, lassen das offizielle Festhalten an der Eröffnung im Mai 2012 nicht mehr zu. Vor allem nicht für Lieben-Seutter, der ein Programm für den Tag X zusammenstellen will und muss, von dem er derzeit nur weiß, dass es eben nicht der Mai in zwei Jahren sein wird.
Doch warum tut sich die Stadt so schwer damit, das einzuräumen? Abgesehen von dem befürchteten politischen und dem Imageschaden liegen drei handfeste Gründe auf der Hand. Erstens: Wer Musiker auslädt, muss ihnen sagen, wann sie stattdessen kommen können. Das ist derzeit aber nicht seriös möglich. Realistisch ist daher eine um ein Jahr verzögerte Eröffnung im Mai 2013. Denn jeder Termin dazwischen, in den Klassik-Kalender würde zum Beispiel September 2012 gut passen, würde das Risiko beinhalten, wieder gekippt zu werden - und das kann sich keiner der Beteiligten mehr leisten.
Zweitens: Auch nachdem sich die Stadt und Hochtief Ende 2008 auf den "Nachtrag 4" geeinigt hatten, wonach sich die Kosten für den Hamburger Haushalt von 114 auf 323 Millionen Euro nahezu verdreifachten und die Eröffnung auf Mai 2012 verschoben wurde, gab es keine endgültige Sicherheit. Folge: Gut ein Jahr später meldete Hochtief erneut Mehrkosten und Verzögerungen an. Wie die Kulturbehörde den Bürgerschaftsfraktionen nach Darstellung der Linkspartei gestern mitteilte, belaufen sich die zusätzlichen Forderungen des Generalunternehmers insgesamt auf rund 36 Millionen Euro, knapp zwei Millionen mehr als noch im Januar.
Das ist aber nur ein theoretischer Wert, denn dem stehen wegen der realen Verzögerungen auch Forderungen der Stadt gegen Hochtief in Millionenhöhe gegenüber. Außerdem, und das ist der Knackpunkt, verhandelt die Stadt mit dem Baukonzern neuerdings über jeden einzelnen Punkt - jede Behinderungsanzeige, jede Schlechtwetteranzeige, jede Forderung, jede Verzögerung. Das ist die Lehre aus Nachtrag 4, als man Hochtief unter anderem pauschal 30 Millionen "Einigungssumme" zahlte. Doch das neue Verfahren dauert - und es schafft Unsicherheit bezüglich des Termins. Drittens: Gibt die Stadt die geplante Eröffnung auf, schwächt sie ihre Position - schließlich will sie Hochtief gerade nachweisen, dass der Konzern die Verzögerungen zu verantworten hat.
Bevor dieser Streit nicht gelöst ist - vermutlich durch einen "Nachtrag 5" -, wird wohl auch der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) zur Elbphilharmonie nicht beginnen. Denn die SPD als Initiatorin möchte die aktuelle Entwicklung gern mit untersuchen lassen. Der Steuerzahlerbund hält einen PUA derzeit "für völlig kontraproduktiv und diplomatisch fatal", so Sprecher Marcel Schweitzer. "Ein Gesamtbild kann erst nach Abschluss der Bauarbeiten entstehen. Bis dahin birgt der PUA nur die Gefahr, dass das Bauprojekt insgesamt darunter leidet."