Hunderte Millionen sollen gestrichen werden. Senator: “Beim Sparen gibt es keine Denkverbote.“ Möglicherweise auch Kitas betroffen.
Hamburg. "Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt". Jeder kennt dieses Sprichwort, weil es zwar mit dem Zeigefinger zu Disziplin aufruft, dabei aber niedlich klingt, und irgendwie auch nicht ganz ernst gemeint zu sein scheint. Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) hingegen dürfte es mit seinem neuen Slogan ziemlich ernst meinen: "Wer die Menschen liebt, der spart", sagte der Senator angesichts der Haushaltslage. Das Verb "lieben" ist ihm wichtig in diesem Zusammenhang, denn Kürzungen im Sozialbereich gelten als hartherzig. Und Hamburg muss sich auf Kürzungen um viele Hundert Millionen Euro einstellen.
Die Zahlen der Behörde, die dem Abendblatt vorliegen, sprechen jedenfalls eine eindeutige Sprache: Verglichen mit dem Jahr 2008 werden die gesetzlichen Sozialausgaben der Hansestadt bis zum Jahr 2012 um 318 Millionen Euro auf 2,2 Milliarden Euro pro Jahr angestiegen sein. Dies umfasst beispielsweise Sozialhilfe, Erziehungshilfen, aber auch die Kindertagesbetreuung. Um den Haushalt zu stabilisieren, scheinen Kürzungen unausweichlich: Steuerschätzungen gehen bereits für das laufende Jahr von einem Einbruch von rund 14 Prozent aus, mit einer Erholung ist demnach erst ab 2013 zu rechnen.
Erst kürzlich hatte die Sozialbehörde 80 Millionen Euro beim Senat nachgefordert. Zwar liegt ein steter Anstieg der Sozialausgaben seit Jahren im Trend und ist in einigen Bereichen auch politisch gewollt, etwa bei der Kinderbetreuung. "Die steigenden Ausgaben sind nur zum Teil als Auswirkungen der Krise zu verstehen", sagte Wersich. "Bisher waren die steigenden Ausgaben aber von Steuereinnahmen gedeckt."
Senator Wersich zeigt sich fest entschlossen, den Kostenanstieg "in den Griff" zu bekommen. Grundsätzlich sei kein Bereich über den Rotstift erhaben. "Es gibt keine Denkverbote, Schonbereiche oder Scheuklappen. Wir dürfen uns keine Tabus setzen", sagte Wersich dem Abendblatt. Man müsse sich überlegen, wie man mit weniger Mitteln die gleichen Leistungen erreichen könne. "Wir werden uns mit den sozialen Trägern der Stadt zusammensetzen und nach Lösungen suchen."
Es lässt sich nur darüber spekulieren, was das bedeutet. Einzelheiten will oder kann der Senator nicht nennen. Möglich ist, dass die Stadt private Träger dazu bringen will, die gesetzlichen Leistungen für weniger Geld zu erfüllen. Das würde bedeuten, dass weniger Personal mehr Menschen betreut, oder es gibt eingeschränkte Öffnungszeiten, etwa von Beratungsstellen.
Auch das Kita-Angebot scheint auf dem Prüfstand zu stehen. 452 Millionen Euro pro Jahr investiert die Stadt ab 2010 jährlich, wenn, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, auch Zweijährige Anspruch auf einen Kita-Platz erhalten. Laut Bertelsmann-Stiftung investiert Hamburg so viel wie kein anderes Bundesland in die Betreuung von unter Zehnjährigen. Denkbare Sparmaßnahmen: größere Gruppen, höhere Beiträge oder Streichung des letzten kostenlosen Kita-Jahres.
Auch Erziehungshilfe-Angebote, etwa Eltern-Kind-Zentren, wurden in den vergangen Jahren ausgeweitet, angefangen nach dem Hungertod von Jessica aus Jenfeld. Dass diese Maßnahmen gekürzt werden, dafür gibt es bisher keine Anhaltspunkte.Und was wäre, wenn die Sozialbehörde auf den Rotstift verzichtet? Besonderheit des Sozialetats, mit 2,2 Milliarden Euro das Haushalts-Mammut, ist seine Dynamik: 83 Prozent der Leistungen gehen auf gesetzliche Ansprüche zurück. Bei angespannter Wirtschaftslage steigt also die Zahl der Empfänger. Bei steigenden Ausgaben würde sich der Sozialhaushalt also zu Ungunsten anderer Budgets ausdehnen, etwa des Kulturhaushaltes. Allerdings müssen auch alle anderen Behörden kürzen. Auf Kritik hat sich der Senator bereits vorbereitet. Sparen will Wersich nicht negativ verstanden wissen, sondern Verzicht auf Schulden als "Beitrag zur Generationengerechtigkeit". Gefragt, warum der Senat dann eine Elbphilharmonie baue, antwortet Wersich: "Einmal in 50 Jahren die Elbphilharmonie bauen, so viel Geld reicht in unserem Kita-Budget von Januar bis August eines Jahres."