Stichwort Patientenrechtegesetz. Beim Bürgerforum ging es darum, wie man sich gegen Behandlungsfehler zur Wehr setzen kann.
Neustadt. Kaum ein Thema beschäftigt die Bürger mehr als das der eigenen Gesundheit . Doch wenn bei den vermeintlichen "Göttern in Weiß" mal etwas schiefläuft, der Facharzt pfuscht und die Folgen für den Patienten gravierend sind, dann ist guter Rat teuer. Und das gilt vor allem für jene, die keine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen haben.
Entsprechend groß war das Echo auf das vom Hamburger Abendblatt und dem Hamburgischen Anwaltverein (HAV) veranstaltete Bürgerforum zum Thema "Patientenrechte: Behandlungsfehler und Pflegemängel".
Mehr als 100 Teilnehmer waren trotz besten Wetters in die Axel-Springer-Passage gekommen, um zu hören, wie man zu seinem Recht kommt, wenn man Opfer von Ärztepfusch geworden ist: Wie Betroffene den Arzt juristisch zur Verantwortung ziehen können; wie sie sich richtig verhalten, um ihre Ansprüche vor Gericht durchzusetzen; wann und in welcher Höhe Schadenersatz und Schmerzensgeld fällig werden.
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Im Fokus der beiden Rechtsanwälte Sven Axel Dubitscher und Oliver Tolmein stand auch das am vergangenen Mittwoch verabschiedete Patientenrechtegesetz und die Frage: Was ändert sich damit? Erste Eìnschätzung der Experten für Medizinrecht: viel zu wenig. Das Hamburger Abendblatt dokumentiert hier die Antworten der Referenten:
Was gilt als grober Behandlungsfehler?
Oliver Tolmein: Das neue Patientenrecht-Gesetz sagt hierzu nichts. Die Rechtsprechung hat als Grundsatz entwickelt, dass es nicht auf das Ausmaß des Schadens ankommt, sondern darauf, ob das Vorgehen des Arztes völlig unverständlich ist und ihm dieser Behandlungsfehler schlechterdings nicht unterlaufen darf. Auch die Summierung von "einfachen Fehlern" kann unter Umständen dazu führen, dass ein "grober" Behandlungsfehler angenommen wird. Aber das zu beurteilen, bleibt dem Gericht überlassen. Es muss in der Bewertung eines Fehlers als "einfach" oder "grob" nicht der Meinung des Sachverständigen folgen. Man kann den Richter daher vereinzelt auch bei einem ungünstigen Sachverständigen-Gutachten von der eigenen Sichtweise überzeugen.
Die Voruntersuchung kam mir seltsam vor. Jetzt habe ich Angst, dass bei der weiteren Behandlung etwas schiefgeht. Wie kann ich mich am besten frühzeitig absichern?
Sven Axel Dubitscher: Man sollte sich unbedingt eine Kopie des unterschriebenen Aufklärungsbogens geben lassen, um nachträgliche Eintragungen auszuschließen. Der Bogen ist ein wichtiger Beweis. Außerdem fragt man am besten bei verschiedenen Stellen nach und holt sich eine Zweitmeinung ein. Es ist auch sehr hilfreich, Vorgänge zu dokumentieren und sich Namen von Gesprächspartnern zu notieren. Unbedingt sollte man alle Dokumente gut durchlesen, besonders bevor man sie unterschreibt. Die Behandlung ist ein Vertrag wie jeder andere, und auch hier kann man durch eine Unterschrift auf Rechte verzichten.
Was kann ich tun, wenn dem Arzt ein Fehler bei der Behandlung unterlaufen ist?
Dubitscher: Es ist wichtig, zeitnah ein möglichst detailliertes Gedächtnisprotokoll anzufertigen. Lassen Sie sich Namen und Adressen von Zeugen geben. Auch die Behandlungsunterlagen sollte man anfordern. Betroffene sollten außerdem baldmöglichst jemanden kontaktieren, der sich mit der Materie auskennt. Den Gang zur Polizei sollte man sich aber gut überlegen - ein solcher Schritt erschwert die Chance auf eine außergerichtliche Einigung.
Mein Mann ist wegen einer OP ins Krankenhaus gekommen, aber dort hat er sich eine Staphylokokkeninfektion zugezogen. Das Behandlungsende ist nicht absehbar. Wann und wie schnell muss ich tätig werden?
Tolmein: Die Verjährungsfrist beginnt mit der Kenntniss des Fehlers und beträgt dann drei Jahre. Sobald die Behandlung in einer Klinik abgeschlossen ist, kann man dort bereits die Krankenunterlagen anfordern.
Mein Arzt hat zunächst einen Tumor übersehen und dann schlecht operiert. Ein anderer Arzt bestätigte mir das. Reicht seine Aussage als Nachweis auch vor Gericht?
Dubitscher: Weil der Fall für Sie und einen Arzt klar ist, muss das Gericht dies nicht genauso sehen. Man kann Gutachten, zum Beispiel bei der Schlichtungsstelle der Ärztekammer, einholen. Aber erst ein gerichtliches Gutachten ist ein Beweis.
In unserer Familie gab es einen Todesfall durch einen mittlerweile nachgewiesenen Behandlungsfehler. Wie berechnet sich der Schadenersatz?
Tolmein: Bei Todesfällen geht ein eventueller Schmerzensgeldanspruch des Verstorbenen aus dem Behandlungsfehler auf die Erben über - allerdings werden in Deutschland eher niedrige Schmerzensgeldbeträge zuerkannt. Ersetzt werden bei Fehlbehandlung zudem der entstandene und voraussichtlich noch entstehende Schaden. Im Fall des Todes eines Patienten sind das vor allem Unterhaltsansprüche, z. B. der Kinder.
Wie viel Geld bekomme ich denn genau?
Dubitscher: Es gibt hierzulande keine Listen für bestimmte Schadensfälle, nur Einzelfallentscheidungen. Für eine verschobene Mittellinie der Schneidezähne gab es beispielsweise rund 1000 Euro, für große Narben nach einer Fettabsaugung gab es rund 4000 Euro, 7000 Euro gab es für einen vermeidbaren Herzinfarkt, 30 000 Euro für eine Teillähmung im rechten Bein und für einen Geburtsfehler mit schwerer Hirnschädigung 500 000 Euro. Aber in jedem Einzelfall können die Summen anders ausfallen.
Welche weiteren Dinge muss ich bei Pflegemängeln beachten?
Tolmein: Hier gilt das künftige Patientenrechtegesetz nicht. Im Bereich der Pflege ist auch von der Rechtsprechung viel weniger geregelt, die Standards sind umstritten. Ansonsten ist das Pflegerecht aber mit dem Arztrecht strukturverwandt. Die Tipps gelten also auch hier. Zusätzlich sollte man sich überlegen, eine Beschwerde beispielsweise an die Heimleitung zu formulieren.