In vielen Kliniken lässt das an sich funktionierende Arztsystem zu wünschen übrig
Das ist ja dann noch einmal gut gegangen mit der kleinen Mila aus Bergedorf, die sich so in Rage gebrüllt hatte, dass ihre jungen und unerfahrenen Eltern glaubten, ihre Tochter könnte ersticken - und daraufhin eine unerfreuliche Bekanntschaft mit der deutschen Notfallmedizin machen mussten. Dem Bethesda-Krankenhaus in Hamburg ist prinzipiell jedoch kein Vorwurf zu machen, letztendlich stimmte die rasch getroffene Diagnose des diensthabenden Arztes. Doch wenn für gewöhnlich panische Patienten in einer überfüllten Zentralen Notaufnahme auf gestresstes Krankenhauspersonal treffen, sind nicht nur Kommunikationsprobleme programmiert. Sondern auch Fehler, die im Extremfall tödlich enden können.
Vor allem wer noch selbst in eine Notaufnahme kommen kann, etwa weil es in der linken Brusthälfte zwickt (vielleicht ein Herzinfarkt) oder ein unerklärliches Schwindelgefühl mit schwerer Zunge einhergeht (eventuell ein Schlaganfall), der ist häufig vom medizinischen Urteilsvermögen eines grauhaarigen Pförtners oder einer Telefonistin abhängig, die dann auch noch gleichzeitig nach der obligatorischen Versicherungskarte fragt, Ausnahme sind stark blutende Patienten. Wer wie und vor allem wann und von welchem Facharzt behandelt wird, entscheidet jedoch meist dieser "erste Blick". Wenn dann nach zwei oder mehr Stunden Wartezeit endlich der Mediziner erscheint, könnte bereits wertvolle Zeit vergangen sein.
Unser Gesundheitssystem brennt schon seit Langem an allen Ecken und Enden. Dass dabei häufig gerade der schwer kranke "Patient Notfallmedizin" übersehen wird, liegt am umfassenden Ausbau unseres Notarztdienstes, der dafür gesorgt hat, dass die Entwicklung der klinischen Notfallmedizin noch immer sträflich vernachlässigt wird. So kann es in der Konsequenz leicht passieren, dass ein Notfallpatient - eben noch von gut fortgebildeten Notärzten und erfahrenen Rettungsassistenten erstklassig erstversorgt - sich in der Notaufnahme der Klinik plötzlich wenig routinierten, nicht speziell weitergebildeten und manchmal sogar regelrecht unmotivierten Assistenzärzten gegenübersieht, die dienstverpflichtet wurden. Es gibt keinen Bereich, in dem der derzeitige Fachärztemangel dramatischer ist als in der Notfallmedizin, obwohl pro Jahr rund 16 Millionen Patienten in den Notaufnahmen registriert werden.
Diese Zahl stammt von der Deutschen Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA), der jedoch erst 54 Kliniken in Deutschland angehören. Deren Vorsitzende Dr. Barbara Hogan, die als Chefärztin die neue Zentrale Notaufnahme in der Asklepios-Klinik Altona zu einer Art "Emergency Room" ausgebaut hat, will dafür sorgen, dass die Notfallmedizin "in unseren Kliniken nicht länger als Anhängsel betrachtet wird". Ihr neues Konzept beinhaltet ein dichtes Netz von Kliniken mit zentralen Notfallaufnahmen, in denen ausgeklügelte Ablaufpläne für eine erste Untersuchung des Patienten existieren, die von speziell geschultem Pflegepersonal durchgeführt werden, das die medizinische Dringlichkeit erfasst. Spätestens nach 15 Minuten, so Hogans Traum, soll ein Facharzt jeden Patienten gesehen haben.
Zu befürchten ist leider, dass Dr. Hogan noch ziemlich lange von diesen paradiesischen Zuständen träumen muss, während in den Notaufnahmen der angelsächsischen Staaten sowie der meisten Länder Europas längst eine hochprofessionelle Behandlung durch speziell qualifizierte Mediziner geboten wird. Bei uns dagegen wird die Mehrzahl der klinischen Notaufnahmen nebenbei mitversorgt, und eine notfallmedizinische Weiterbildung existiert ebenfalls nicht. Natürlich fehlt wie immer das Geld. Wie war das noch mal mit dem Milliardenüberschuss der Krankenkassen?