Fünfter Teil der Gesundheitsserie. Heilkräuter - Der uralte Schatz der Pflanzenmedizin ist gefragter denn je. Jeder zweite Deutsche greift darauf zurück und emanzipiert sich so vom Arzt.
Hamburg. Den langen Hamburger Winter überstehe ich nur mit Johanniskraut." Das erzählt der PR-Berater Oliver K. auf die Frage, ob er pflanzliche Arzneimittel nutze, und seine Freundin Sabine L., eine Physiotherapeutin, Ende 40, ergänzt: "Und ich kann endlich wieder gut schlafen, seit ich Cimicifuga (Traubensilberkerze) gegen meine Wechseljahresbeschwerden nehme." Nur zwei Meinungen - aber typisch, wie Apothekerin Daniela Bohlmann sagt. "Viele Menschen interessieren sich für Heilpflanzen - gerade auch junge Leute fragen danach. Sie kommen sogar mit Teerezepten, die sie in alten Büchern finden und die wir mischen sollen."
Heilkräuter boomen. Laut einer repräsentativen Umfrage der Nürnberger GfK Marktforschung im Auftrag der "Apotheken Umschau" nutzt etwa die Hälfte der Bundesbürger regelmäßig oder gelegentlich pflanzliche Arzneimittel ("Phytotherapeutika"). Vier von fünf Befragten halten Pflanzenheilmittel für besonders verträglich - eine subjektive Einschätzung, die auch wissenschaftlich begründet ist. "Pflanzen sind Vielstoffgemische", erzählt der Mediziner Prof. Volker Fintelmann, Gründer der Carl-Gustav-Carus-Akademie, einer Bildungsinstitution für Ganzheitsmedizin. "Darunter sind auch viele, die den Ab- und Umbau der Wirkstoffe im Stoffwechsel steuern. Damit beeinflussen sie die Wirkdauer, die Verträglichkeit und Wechselwirkungen auch mit anderen Medikamenten."
Wenn man mehrere Pflanzen kombiniert, lassen sich die Synergieeffekte sogar noch steigern. Eine Mischung aus Baldrian, Hopfen und Passionsblume wirkt stärker beruhigend als die Einzelbestandteile, weil die drei Heilpflanzen unterschiedliche Angriffspunkte haben und die Wirkungen sich ergänzen. An der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde bereits vor vielen Jahren ein Versuch gemacht: Wenn aus hochwirksamen Pflanzenextrakten ein Wirkstoff isoliert wurde, nahm die Wirkung ab. Erst mit Kombination der Einzelsubstanzen potenzierte sich die Wirkung wieder.
Heilpflanzen sind ein jahrtausendealter Erfahrungsschatz. Ihre optimale Wirksamkeit ist jedoch der modernen Forschung zu verdanken. "Heutzutage sind das hoch spezialisierte Arzneimittel, die mit großem Aufwand hergestellt werden", so Fintelmann. Das fängt bereits beim Anbau an. Nach einer Schätzung des World Wide Fund for Nature werden weltweit 50 000 Pflanzenarten medizinisch genutzt. Viele werden noch als Wildkräuter gesammelt, doch um den riesigen Bedarf zu decken, der mit steigender Nachfrage entsteht, müssen viele Pflanzen kultiviert werden. Ein weiteres Argument für den Anbau von Arzneipflanzen ist der Gehalt an wirksamen Inhaltsstoffen: Nur bei kontrolliertem Anbau lassen sich die Wetter- und Bodeneinflüsse ausgleichen und Pflanzen mit hohen Wirkstoffmengen produzieren - eine Voraussetzung für ein standardisiertes Arzneimittel. Manche Heilpflanzen widersetzen sich allerdings dem Anbau: Fingerhut enthält nur als Wildpflanze die herzwirksamen Substanzen.
"Heilpflanzen müssen strenge Qualitäts- und Wirksamkeitskontrollen durchlaufen, wenn sie in Arzneimitteln verwendet werden - egal ob sie als Tee getrunken oder als Extrakt in Tabletten verarbeitet werden", sagt Fintelmann. Das gilt allerdings nur für Heilpflanzen, die in der Apotheke verkauft werden. In Drogeriemärkten, Kräuterläden und auf Märkten verkaufte Kräuter sind, auch wenn es sich um Heilpflanzen wie z. B. Kamille handelt, nicht geprüft. Man kann sich also nicht sicher sein, dass die Inhaltsstoffe in ausreichender Menge vorhanden sind, um wirklich die beabsichtigte Wirkung zu entfalten.
Pflanzenheilkunde ist Hilfe zur Selbsthilfe. Das beobachtet auch Apothekerin Bohlmann: "Viele möchten für ihre Gesundheit selbst aktiv werden. Sich mit Pflanzenarzneimitteln selbst zu therapieren ist auch ein Akt der Emanzipation vom Arzt. Ich bekomme nicht etwas verschrieben, sondern entscheide selbst, was mir guttut."
Morgen lesen Sie: Teil 6 der Serie: Gut für die Sinne - Wie Farben und Licht, Aromen und Klänge die Selbstheilungskräfte des Körpers positiv beeinflussen können