Siebter Teil der Gesundheitsserie. “Heilung bedeutet, der zu werden, der du bist“, lautet das Motto der anthroposophischen Medizin nach Rudolf Steiner.
Die Schulmedizin hat einfach nicht genug Fantasie", sagt Peter Neumann, der an den Spätfolgen einer Strahlentherapie in den 1970er-Jahren leidet: seine Hüfte ist kaputt, vor drei Jahren erlitt er einen Herzinfarkt, bekam zwei Stents, die seine Herzkranzgefäße offen halten sollen, zwei Jahre später wurden ihm noch einmal drei Stück gesetzt. Oft sei die konventionelle Medizin "mit ihrem Latein am Ende gewesen", sagt er. Daher lässt sich Peter Neumann inzwischen immer wieder von Ärzten behandeln, die auch anthroposophisch-medizinisch qualifiziert sind.
Diese Mediziner verstehen ihre Heilmethoden als erweitertes Konzept der Humanmedizin, um Körper, Lebenskräfte, Seele und Geist, die vier Organisationsebenen des Menschen, in Einklang zu bringen. Die anthroposophische Medizin stützt sich auf Arzneien in homöopathischer Dosierung, auf die Bewegungsform Eurythmie sowie auf die Anthroposophische Kunsttherapie, bei der innere Kräfte zum Wirken kommen sollen. Rhythmische Massagen sollen den Körper stärken und seine Selbstheilungskräfte unterstützen.
Vor gut einem Jahr wurde im Krankenhaus Rissen (Asklepios-Kliniken) die Station für Integrative Medizin neu organisiert. Sie verbindet die Schulmedizin mit Elementen der Anthroposophischen Medizin wie der Misteltherapie und bezieht dabei die Palliativmedizin und der Homöopathie mit ein.
"Wir behandeln Menschen mit schweren internistischen Erkrankungen, darunter Krebs, Autoimmunkrankheiten oder Herzkreislauferkrankungen", sagt der Leitende Oberarzt Dr. Michael Iskenius. Wichtig ist den Ärzten die Teamarbeit mit dem Krankenpflegepersonal sowie den Kunst- und Musiktherapeuten und den Experten für Heileurythmie und Rhythmische Massage. "Wir besprechen, was den Einzelnen bei den Patienten auffällt", sagt Iskenius. Dabei haben sie jedoch nicht so viel Zeit, wie sie es sich wünschen würden, denn auch diese Station muss nach Fallpauschalen abrechnen.
Als Peter Neumann dort behandelt wurde, regelmäßig seit 1998, erhielt er neben konventionellen Herzmedikamenten auch Salbenkompressen über die Herzregion. Diese werden nachts auf die Brust in Höhe des Herzens aufgelegt und sollen das Organ stabilisieren, Leberwickel sollten den Stoffwechsel anregen. Auch an der Musiktherapie hat er teilgenommen, bei der unter anderem zwei riesige Gongs zum Einsatz kommen, nach Erde und Kosmos benannt. "Wie ein Patient auf den Gong schlägt, spiegelt die jeweilige Stimmung wider", erklärt Gesangstherapeut Theodoros Rigas. "Es geht um Schwingungen des Menschen und die eigene Resonanz, um Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung: Die Selbstheilung soll angeregt werden."
Die Behandlung der Patienten fängt bei der Anamnese an. "Wir fragen die Patienten auch nach Besonderheiten in der Biografie", sagt Kramm. "Wenn ein Patient mit Magenschmerzen oder Sodbrennen zu mir in die Praxis kommt, frage ich nach Ereignissen im Leben", sagt die anthroposophische Fachärztin für Allgemeinmedizin, Ulrike Steurer. Seien die Beschwerden auf Stress zurückzuführen, so verschreibe sie nicht die sonst üblichen Protonenpumpenhemmer, sondern ein Medikament aus dem anthroposophischen Arzneimittelsortiment. Dieses muss von den Patienten bezahlt werden.
Ulrike Steurer verschreibt auch Misteltherapien für Krebspatienten. Die eingesetzten Mistelextrakte stammen von Misteln verschiedener Wirtsbäume. "Je nach Tumorart, Geschlecht, Gesamtzustand des Patienten und Begleiterkrankungen werden unterschiedliche Misteln verwendet, zum Beispiel von Weißdorn, Eiche oder Linde." Die Wirkung der anthroposophischen Medikamente ist teils umstritten. Zur Misteltherapie bei Krebs gibt es zahlreiche Studien. Insgesamt sind positive Effekte auf die Lebensqualität der Patienten beschrieben, widersprüchlich bleibt, ob die Misteltherapie auch direkten Einfluss auf das Tumorwachstum nehmen kann.
Morgen lesen Sie Teil 8 der Serie: Chiropraktik hilft nicht nur bei Rückenschmerzen. Durch Manipulationen an der Wirbelsäule werden auch innere Strukturprobleme behandelt.