Buchholz/Braunschweig. Nach Sportgerichtsurteil: Lateinformation qualifiziert sich als deutscher Vizemeister. Welche Herausforderungen damit verbunden sind.

„Für Blau-Weiss Buchholz als Verein war das Ganze seit Wochen ein Ritt auf der Rasierklinge“, sagte der Vereinsvorsitzende Arno Reglitzky. „Der Entschluss, Protest gegen die Entscheidung des DTV-Präsidiums einzulegen, musste sehr sorgfältig überlegt werden.“ Letztlich entschied sich die Tanzsportabteilung dazu, gegen die frühzeitige WM-Nominierung zweier anderer Vereine anzugehen. Mit Erfolg, mit doppeltem Erfolg und sogar mit dem größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Doch die nächsten Herausforderungen warten schon.

Als am späten Sonnabendabend bei den Deutschen Meisterschaften der Formationen in Braunschweig die Wertung für Blau-Weiss Buchholz veröffentlicht wurde, kannte der Jubel bei den 16 Tänzerinnen und Tänzern sowie dem Trainerteam keine Grenzen mehr. Sie wussten gar nicht, wohin mit ihren Emotionen, kreischten die Freude heraus, sprangen wie Kinder auf dem Podest herum und fielen sich immer wieder überglücklich in die Arme.

Buchholz gewinnt Silbermedaille hinter Bremen, aber vor Bremerhaven

Zum ersten Mal bei einer Deutschen Meisterschaft gewann Buchholz die Silbermedaille. Serienmeister Grün-Gold-Club Bremen (33,96 Punkte, Choreographie „Freedom and Peace“) holte erneut die Goldmedaille, dahinter sortierten sich Blau-Weiss Buchholz (32,11, „Made to Love 2.0“) und die TSG Bremerhaven (31,23, „Top Gun“) ein. In den vergangenen Jahren war das Team um Cheftrainerin Franziska Becker fast immer Dritter geworden. Nur bei zwei Bundesligaturnieren in der heimischen Nordheidehalle gelang bis dato der Sprung auf Rang zwei.

Unmittelbar nach Bekanntgabe der Wertung jubeln Tänzerinnen und Tänzer von Blau-Weiss Buchholz ausgelassen über die Silbermedaille bei der Deutschen Meisterschaft.
Unmittelbar nach Bekanntgabe der Wertung jubeln Tänzerinnen und Tänzer von Blau-Weiss Buchholz ausgelassen über die Silbermedaille bei der Deutschen Meisterschaft. © HA | vstudio.photos

Der zweite Platz bei der Deutschen Meisterschaft 2023 ist gleichbedeutend mit der ersten Nominierung für eine internationale Meisterschaft. Blau-Weiss Buchholz wird Deutschland am Montag, 18. Dezember 2023, bei den Weltmeisterschaften in Hongkong vertreten. Diese Zusage musste der Verein dem nationalen Verband noch in Braunschweig geben. GGC Bremen wird in Asien als Titelverteidiger antreten.

Sportjuristische Auseinandersetzung um die WM-Nominierung

Um diese Nominierung hatte es im Vorfeld eine sportjuristische Auseinandersetzung gegeben. Erst am Vorabend der Titelkämpfe verkündete das Schiedsgericht des Deutschen Tanzsportverbandes (DTV) seine Entscheidung: Es hob die die frühzeitige WM-Nominierung durch den Bundessportwart auf und erklärte die DM in Braunschweig zum alleinigen Kriterium. Ganz im Sinne von Blau-Weiss Buchholz. „Es ging uns einzig darum, einen offenen, sportlichen Wettkampf für alle Formationen herzustellen“, so Franziska Becker.

Blau-Weiss Buchholz sah sich um seine WM-Chance gebracht

Der DTV hatte sich auf einen in der Turnier- und Sportordnung (TSO) geregelten Ausnahmefall berufen. Um der Bitte des WM-Ausrichters nach Teilnehmer-Meldung bis 30. September nachzukommen und finanzielle Planungssicherheit herzustellen, nominierte der Verband auf Basis der DM 2022 Meister Bremen und Vizemeister Bremerhaven. Buchholz sah sich um seine WM-Chance gebracht. „Ein erstes Vergleichsangebot wurde von Buchholz abgelehnt, ein zweites von Seiten des DTV“, teilte der Tanzsportverband im Nachhinein mit.

Also musste das Schiedsgericht entscheiden, spannte alle Beteiligten aber bis weniger als 24 Stunden vor DM-Beginn auf die Folter. „Das Urteil wird damit begründet, dass der Ausnahmetatbestand in diesem konkreten Fall nicht ausreichend gerechtfertigt ist, da es versäumt wurde, bei der WDSF (dem Weltverband, Anm.d.Red) um Fristverlängerung zu ersuchen“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Nach langer Partynacht geht die Arbeit für Buchholz erst richtig los

Eine Revision des Urteils wäre nur vor einem ordentlichen Gericht möglich. Das DTV-Präsidium kündigte an, auf diesen Weg verzichten zu wollen. Begründung: „Um weiteren Schaden von unseren Mitgliedern abzuwenden und anhaltende Verunsicherung aufseiten der Sportlerinnen und Sportler zu vermeiden.“

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Nach einer langen Partynacht in Braunschweig herrscht bei Blau-Weiss Buchholz längst nicht nur eitel Sonnenschein. Mit der WM-Nominierung und der WM-Zusage stehen abermals heiße Wochen bevor. Auch außerhalb des Parketts: Es geht darum, den einwöchigen Trip nach Hongkong zu planen und vor allem zu finanzieren. Der Tanz-Weltverband zahlt lediglich zwei Übernachtungen. „Natürlich können wir nicht nur für drei Tage dahin fliegen. Wir müssen den Jetlag überwinden und vor Ort trainieren“, sagt Cheftrainerin Franziska Becker

Reise zur Weltmeisterschaft nach Hongkong kostet 35.000 Euro

Im Raum steht ein Gesamtetat von etwa 35.000 Euro. „Wir stehen weitgehend bei null, müssen Sponsoren und Unterstützer suchen und die Reise im Zweifel aus privaten Mitteln vorfinanzieren.“ Seit ihrer WM-Nominierung Anfang September hatte die TSG Bremerhaven die eigene Reise geplant, Flüge und Hotel gebucht. Nach dem Schiedsspruch und dem sportlichen DM-Ergebnis nimmt Buchholz nun den Platz der Lateinformation aus der Nordseestadt ein.

„In den nächsten Tagen werden wir mit Bremerhaven sprechen, ob es eine Option gibt, Flüge oder Unterkunft möglicherweise zu übernehmen“, sagte Becker. „Es geht uns auch darum, die Regressforderungen an den DTV so gering wie möglich zu halten.“ So groß die Freude in der Nordheide, so tief die Enttäuschung an der Nordsee. „Beide Team haben Enormes durchmachen müssen – das war unnötig“, sagt Becker verständnisvoll.

Offener, sportlicher Wettkampf war das Ziel aller Bemühungen

Von Anfang an waren Abteilungsleitung und Gesamtverein sehr vorsichtig vorgegangen. Eine offene Konfrontation mit dem Verband wollten sie bewusst vermeiden. Vielmehr betonte Blau-Weiss Buchholz immer wieder, das Ziel aller Bemühungen sei ein offener, sportlicher Wettkampf. Den hat es nun gegeben – mit der Deutschen Vizemeisterschaft für die Lateinformation aus der Nordheide.