Hittfeld/Potsdam. Leichtathletin aus Hittfeld fand ihr Glück in Potsdam. Heute ist sie Vizeweltmeisterin im Zweierbob und träumt von Olympia. Ihr langer Weg.
- Bis 2017 Leichtathletik beim TSV Eintracht Hittfeld im Landkreis Harburg
- Im Januar 2023 Junioren-Vizeweltmeisterin beim ersten Einsatz im Zweibob
- Im Juli 2023 deutsche Staffel-Meisterin mit dem SCC Berlin und Gina Lückenkemper
Nicht immer führt ein Weg geradeaus auf ein konkretes Ziel zu – das gilt für alle Bereiche des Lebens. Was das Sportliche und das Berufliche anbelangt, hat diese Erkenntnis eine junge Frau aus dem Landkreis Harburg in den vergangenen fünf Jahren am eigenen Leib erfahren. Umso schöner ist es zu sehen, dass Leonie Kluwig ihr Glück nun gefunden zu haben scheint – nach einigen Umwegen und neuen Anläufen. Die sportlichen Highlights dieses Jahres: Deutsche Meisterin in der Leichtathletik und Vizeweltmeisterin im Bobfahren.
Sprinterin aus Gemeinde Rosengarten lief für TSV Eintracht Hittfeld
Im Dezember 2017 berichtete das Hamburger Abendblatt über eine talentierte Sprinterin aus Eckel in der Gemeinde Rosengarten. Weil ihr langjähriger Leichtathletiktrainer Teo Tzolow den TSV Eintracht Hittfeld aus beruflichen Gründen verließ und Kluwig mit der Schule fertig war, entschied sie sich für einen Vereinswechsel zum Track & Field Club Hamburg und eine Ausbildung bei der Polizei.
Ihre Bestzeiten über 100 und 200 Meter wurden besser (11,79 sek./24,40 sek.), zahlreiche vordere Platzierungen bei Hamburger und norddeutschen Meisterschaften folgten. Der Durchbruch in die nationale Spitze gelang der Leichtathletin aber nicht – und damit auch nicht der erwünschte Sprung in die Sportfördergruppe. Zu allem Überfluss vermasselte Kluwig die Abschlussprüfung ihrer Polizeiausbildung.
Explosiver Antritt kommt Kluwig beim Bobfahren zu Gute
Ein Neuanfang musste her – in Berlin. Nach drei Jahren Hamburg schloss sie sich zum 1. Januar 2021 der Leichtathletikabteilung des SCC Berlin an und begann eine neue Ausbildung im mittleren Dienst bei der Landespolizei Brandenburg. Die Sprintzeiten stagnierten, dafür gab es eine Begegnung, die Leonie Kluwig zunächst nicht besonders ernst nahm. „Nach einem Wettkampf hat mich eine Trainerin gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mich als Anschieberin im Bobfahren zu versuchen“, erzählt die 24-Jährige. Die für ihre explosiven Antritte bekannte Sprinterin hatte Lust und lieferte beim Anschubwettkampf mit dem Bob gute Zeiten.
„Dann habe ich die Sache zwei Jahre schleifen lassen“, erzählt sie schmunzelnd. Erst durch den Bob fahrenden Bruder ihres Leichtathletiktrainers Sven Buggel kam wieder Schwung in die Sache. Im Herbst 2022 wurde Leonie Kluwig in das Team von Nachwuchspilotin Lena Böhmer (Winterberg) aufgenommen. Nun muss man wissen, dass jede Pilotin drei bis vier Anschieberinnen in ihrem Team hat, von denen natürlich nur jeweils eine im Zweierbob mitfahren kann.
Erst gar keine Bob-Wettkämpfe – dann plötzlich Vizeweltmeisterin
Im Winter 22/23 bekam Leonie Kluwig lange keinen Wettkampfeinsatz. „Eigentlich bin ich zu leicht. Dann stand die Junioren-WM vor der Tür und ich war plötzlich die Einzige, die auf den Bob passte“, erzählt das ehemalige Vereinsmitglied des TSV Eintracht Hittfeld. Kluwig bestritt mit Pilotin Lena Böhmer die Junioren-WM Mitte Januar 2023 in Winterberg und gewann völlig überraschend die Silbermedaille – Vizeweltmeisterin im Zweierbob!
Parallel trieb sie die Polizeiausbildung voran und schloss diese im April 2023 nach zweieinhalb Jahren erfolgreich ab. „Ich bin jetzt Obermeisterin. Das sind die mit den drei blauen Sternen“, erzählt sie stolz. Und was als Leichtathletin nie geklappt hat, gelang als Bobfahrerin: zum 1. Juni 2023 ist Leonie Kluwig am Standort Potsdam in die Sportfördergruppe der Landespolizei Brandenburg aufgenommen worden. „Ich muss nur mindestens 40 Dienste pro Jahr im Streifendienst absolvieren. Die habe ich schon voll, mache aber mehr, weil es mir Spaß macht.“
Mehrfacher Olympiasieger und Weltmeister Kevin Kuske ist ihr Trainer
Aktuell sechsmal pro Woche trainiert sie am Olympiastützpunkt im bekannten Stadion Luftschiffhafen in Potsdam. Trainer der zwölfköpfigen Gruppe ist der vierfache Olympiasieger und siebenfache Weltmeister Kevin Kuske (44), der als erfolgreichster Bobsportler bei olympischen Winterspielen gilt. „Die Läufe sind kürzer und beim Krafttraining arbeiten wir mit höheren Gewichten. Ansonsten gibt es beim Training für Leichtathletik und Bob viele Überschneidungen“, so Kluwig, Mitglied im SC Potsdam.
Zum Leichtathletiktraining im Berliner Mommsenstadion geht sie so gut wie gar nicht mehr, auf der SCC-Homepage wird sie unter „Anschluss-Team“ geführt. In Einzelrennen ist Leonie Kluwig in dieser Freiluftsaison nicht in Erscheinung getreten. Wenn die Staffel aber eine explosive Startläuferin benötigt, ist sie immer zur Stelle. So auch im Juli bei den Deutschen Meisterschaften.
Deutsche Meisterin mit der SCC-Staffel und Gina Lückenkemper
In Kassel stellte sich auch Deutschlands Vorzeigesprinterin Gina Lückenkemper in den Dienst ihres Vereins. Wechseltraining konnte das Quartett des SCC Berlin, zu dem auch Michelle Janiak und Nadine Reetz gehören, im Vorfeld nicht absolvieren, nur in der Aufwärmzone des Auestadions. „Das haben wir mit Erfahrung gemacht“, erzählte die aus Hannover stammende Janiak später.
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Jedenfalls waren die Staffelwechsel und die Sprintqualitäten so gut, dass die vier jungen Damen aus Berlin in 43,91 Sekunden – etwa eine halbe Sekunde schneller als VfL Sindelfingen und LG Stadtwerke München – deutsche Meisterinnen über 4x100 Meter wurden. „Das ist auf jeden Fall mein größter Erfolg in der Leichtathletik“, sagte Leonie Kluwig.
Bescheiden: „Mein erster und wohl auch einziger deutscher Meistertitel“
„Mein erster und wohl auch einziger deutscher Meistertitel.“ Schön zu sehen, dass sich nach der Siegerehrung nicht alles auf Gina Lückenkemper fokussierte, sondern einige Kinder und Jugendliche auch Autogramme von und Selfies mit den drei weiteren SCC-Sprinterinnen haben wollten.
Fortan gilt der sportliche Fokus von Leonie Kluwig wieder voll dem Zweierbob. Zur neuen Saison fährt sie mit einer anderen Pilotin. „Maureen hat mich gefragt, ob ich in ihr Team kommen möchte“, so Kluwig. Eben jene Maureen Zimmer (BSC Sachsen Oberbärenburg) hatte bei der Junioren-WM den Titel vor Böhmer/Kluwig gewonnen und wird vom Bob- und Schlittenverband für Deutschland (BSD) als Mitglied des Olympiakaders geführt, Leonie Kluwig (SC Potsdam) im Perspektivkader.
Ihre neue Pilotin Maureen Zimmer gehört zum Olympiakader
Die nächsten Winterspiele finden 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo statt. „Natürlich würde ich gern mal bei Olympia starten. Ich muss aber erstmal gucken, dass ich meine Leistung auf die Bahn bringe und wir nicht stürzen“, sagt Leonie Kluwig auf das große Ziel einer jeden Sportlerin angesprochen.
Für den kommenden Winter geht sie davon aus, vor allem in Europacuprennen zum Einsatz zu kommen. Ansonsten sei es Aufgabe der gerade nicht aktiven Anschieberinnen, den Bob technisch vorzubereiten. „Schrauben ist eigentlich gar nicht mein Ding. Aber man fuchst sich da rein.“ Die bisherigen Fahrten durch den Eiskanal – immerhin mit Geschwindigkeiten bis zu 130 km/h – haben Leonie Kluwig offenbar nicht allzu sehr beeindruckt.
Bobfahren ist ein bisschen wie Achterbahn fahren – mit 130 Sachen
„Man kann es ein bisschen mit einer Achterbahnfahrt vergleichen. Durch die enormen G-Kräfte wird man nach unten gedrückt. Es kann auch passieren, dass man mit dem Helm auf die Knie schlägt. Das gibt blaue Flecke. Und der Nacken tat mir nach den ersten Fahrten ziemlich weh.“ Die Nackenmuskulatur werde allerdings nicht speziell trainiert, erzählt Leonie Kluwig
Alle blauen Flecken und gelegentliche Schmerzen sind verkraftbar, denn die junge Frau, die sich einst aus dem Landkreis Harburg aufmachte, hat es endlich gefunden: ihr sportliches und berufliches Glück.